Brief an …

Brief an...den Streik

SPIESSER-Autoren schreiben Briefe. Diesmal regt sich Isabel über den Streik auf - und überlegt, gegen ihn zu streiken.

31. March 2012 - 15:06
SPIESSER-Autorin isabelli.
Noch keine Bewertungen
isabelli Offline
Beigetreten: 23.03.2012

Lieber Streik,

als ich heute mit der Straßenbahn fahren wollte, habe ich dich mal wieder gesehen. Du warst zwar eigentlich schon wieder weg – vermutlich auf dem Weg ins nächste Bundesland – aber deine Anwesenheit habe ich deutlich gespürt. Du setzt dich ja auch gerne in Szene: Menschenmassen stauen sich wegen dir an überfüllten Haltestellen, sehen verwirrt aus und tippen panisch auf ihr Handy ein.

Mir ist klar geworden: Unsere Freundschaft steht auf wackeligen Beinen. Früher haben wir uns gut verstanden. Wenn wegen dir der Bus nicht kam, musste ich nicht in die Schule. Du hast dich mit uns Dorfkindern verbündet, wir durften zu Hause bleiben und faulenzen. Ja, damals war es schön mit dir. Leider bist du nur zu selten aufgetaucht, weil du die privaten Busunternehmen auf dem Land meidest, im Gegensatz zum städtischen öffentlichen Nahverkehr.


Du kotzt mich manchmal trotzdem an!

Dafür treffen wir uns heute umso öfter in der Stadt. Sobald ein Tarifvertrag ausgelaufen ist, tauchst du mit deinen Freunden auf. Du hast viele Fans, vor allem die Mitarbeiter am Frankfurter Flughafen der Deutschen Bahn, und im öffentlichen Dienst. Gut für dich, denn du kannst schlecht alleine sein. Aber wo es Freunde gibt, da gibts auch Feinde. Die Arbeitgeberverbände mögen dich zum Beispiel überhaupt nicht, weil du dich auf die Seite der Gewerkschaften stellst. Und so gerne ich an unsere glückliche Vergangenheit zurück denke, du kotzt mich manchmal trotzdem an. Ich stehe ewig an irgendwelchen Haltestellen rum und warte darauf, dass etwas passiert. Wenn eine Bahn dann endlich kommt, ist sie mit nervigen kleinen lauten Grundschulkindern total überfüllt und fährt nur die Hälfte der Strecke. Am Ende stehe ich im Nirgendwo und komme weder vor noch zurück.

Ich verstehe ja, dass du dich mit den Arbeitnehmern solidarisierst. Euch verbindet eine lange Erfolgsgeschichte, die bis zum Bau der Königsgräber im Alten Ägypten zurück geht. Aber ist dir mal aufgefallen, dass heute nicht mehr irgendwelche Pharaonen, sondern vor allem unschuldige Mitbürger unter dir leiden? Ein Beispiel: Kommen Arbeitnehmer wegen dir zu spät zur Arbeit, müssen sie von ihrem Arbeitgeber Sanktionen befürchten. Wenn du dich aber im Flugverkehr breit machst, giltst du plötzlich als „höhere Gewalt“, weswegen die betroffenen Passagiere keinen Schadensersatz erhalten. Hältst du dich nur einen Tag lang im Flugtower auf, betrifft das 300 000 Passagiere. Ich finde das ungerecht. Hast du gar kein schlechtes Gewissen, wenn wir nicht in den Urlaub fliegen können, weil du mal wieder mit den Fluglotsen abhängst. Oder noch schlimmer, wenn ein Schüler zu spät zu seiner Abiklausur kommt, weil sein Bus nicht gekommen ist. Hast du kein Herz? Ich meine, warum nervst du uns überhaupt? Wir haben doch gar nichts gegen höhere Gehälter! Aber uns fragt ja keiner. Wir dürfen nur dastehen, und uns ärgern.


Sprich dich doch mit uns ab!

Wie wäre es denn zum Beispiel, wenn du dich ein bisschen früher ankündigen würdest? Viele sagen, dass dein Auftritt dann nicht mehr so viel Wirkung zeigt. Aber ich finde das nicht immer logisch. Klar, du machst darauf aufmerksam, wie abhängig wir von Kindergärtnern und Bahnfahrern sind, wenn sie plötzlich ausfallen. Diese Menschen leisten wichtige Arbeit und sollten entsprechend entlohnt werden. Aber eigentlich geht es doch hauptsächlich darum, den Arbeitgebern einen finanziellen Schaden zuzufügen und sie so zu Verhandlungen zu zwingen. Sprich dich doch mit uns ab! Dann würden wir alle mit dem Auto zur Schule, in die Uni und auf die Arbeit fahren und es würden keine Bahntickets verkauft. Schlecht für die Betriebe, gut für uns.

Ich halte dir zu Gute, dass du dich hier noch nicht so breit gemacht hast wie in Frankreich. Dort steht der Name des Pariser öffentlichen Nahverkehrs „RATP“ bereits inoffiziell für „rentre avec tes pieds“ („Kehre zu Fuß heim“). Und auch im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts, als du Seite an Seite mit den Bergarbeitern des Ruhrgebiets das Land beinahe in einen Bürgerkrieg gestürzt hast, bist du heute eher moderat unterwegs. Trotzdem: Du bist nicht immer so gerecht, wie du gerne tust. Wenn du mich weiter ärgerst, werde ich gegen dich streiken.

Bis hoffentlich nicht so bald,

deine Isabel

Fotos: Svenya Fritzsche, Andreas Gutmann (Jugendfotos.de)

Dir gefällt dieser Artikel?

Kommentare

Sieben Kommentare
  • Jeder sollte das Recht haben, für seine Arbeit, und öffentlicher Nahverkehr ist sicher nicht immer nur lustig, auch vernünftig bezahlt zu werden, und dafür sind Streiks immernoch das beste Werkzeug der Arbeitnehmer!

  • wenn sie genug geld bekähmen. das ist eine wirttschaftliches problem, kein ökologisches.

  • Ich finde den Artikel richtig gut und es wurden ein paar interessante Fakten mit rein gearbeitet.
    Ich finde das ist ziemlich verwirrend: auf der einen Seite soll man mehr öffentlichen Verkehrsmitteln nutzen, der Umwelt zu Liebe, auf der anderen Seite weiss man nicht mal ob sie fahren.
    irgendwie sinnlos ;)

  • Is toll geschrieben und mich nerven Streike auch, obwohl ich noch normal (7.Klasse) zur Schule gehe. Ich will nix verpassen.

  • Zwei Sonnen über diese Worte ;-)

    (P.S.: Onlineredaktion: Keeein Like, sondern diesen Spruch! Bitte bitte bitte!)

  • Sonne über deine Worte

  • formal toll, aber inhaltlich kann ich dieser darstellung nicht zustimmen.

Mehr zum Thema „Brief an …
  • Onlineredaktion
    Brief an …

    Brief an...
    Omnivoren

    Lange leiden „schrille Öko-Tanten“ wie unsere Praktikantin Sylva schon unter ihren Kommentaren - jetzt macht sie ihnen mal eine Ansage.

  • Kathi99
    5
    Brief an …

    Brief an...
    den Corona-Virus

    SPIESSER-Autorin Katharina wendet sich in ihrem Brief an jemanden, der ihre Welt von einen auf den anderen Tag veränderte.

  • rasolara
    Brief an …

    Brief an...den Mundschutz

    SPIESSER-Autorin Lara wendet sich in ihrem Brief an jemanden, der sie in letzter Zeit täglich begleitet hat.

  • VeryMary94
    Brief an …

    Hallo, meine liebe Sackgasse!

    Ich nehme an, so eine Ansprache wundert dich, und ich muss zugeben, zu der Einsicht dahinter kam ich auch nicht leicht. Früher habe ich gedacht, dass du das Schlimmste bist, was mir je passieren könnte. Aber jetzt habe ich eine andere Meinung: Dank dir, meine Sackgasse, habe ich vieles über

  • VeryMary94
    Brief an …

    Liebes Russland, ...

    Gastautor Ivanuschka* schreibt an Russland, seine Heimat, die er schweren Herzens verlassen muss.

  • VivElla
    5
    Brief an …

    Liebe (deutsche) Sprache

    SPIESSER-Autorin Viv sinniert über die deutsche Sprache.

  • Onlineredaktion
    Brief an …

    Liebes Flüchtlingskind, ...

    SPIESSER-Autorin Patricia wendet sich in ihrem Brief an ihren Schützling.

  • Schokoballerina
    Brief an …

    Brief an… meine Essstörung

    Eine anonyme Autorin über Mut und Kontrolle.

  • KlarO
    Brief an …

    Brief an ... HIP

    Ein Brief an HIP, die hypothetische SPIESSER-Partei.

  • nicohaji
    Brief an …

    Brief an ... Stephen Hawking

    Ein Dankesbrief, eine Trauerrede, ein Abschiedsbrief an einen genialen Wissenschaftler.

  • Alaniel
    Brief an …

    Brief an ... H&M

    SPIESSER-Autorin Annika ist der Modekette H&M gegenüber zweigespalten.

  • Lil
    Brief an …

    Brief an... den Schweiß

    Autorin Lilly freut sich in den seltensten Fällen über Schweiß, weiß ihm dann aber auch etwas Gutes abzugewinnen.

  • Helen16
    Brief an …

    Brief an...1984

    Unsere Überwachungstechnik hat die Science-Fiction längst überholt. Google und Co. bestimmen unsere Meinungen... oder etwa doch nicht? SPIESSERin Helen schreibt an das Dystopiejahr 1984...

  • Little Miss Wonder
    Brief an …

    Brief an… meinen Körper

    Liebe Augen, Finger, Füße, Muskeln, Beine, Sehnen und und und… mit anderen Worten: Lieber Körper!

  • Em
    Brief an …

    Brief an...
    die Prokrastination

    „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe ... Ach, Mist! Das war wohl wieder nix. SPIESSERin Ema über die Hassliebe zur Prokrastination.

  • Valentina Schott
    Brief an …

    Brief an...
    Den (Sc-)Heißkleber

    SPIESSERin Valentina widmet ihren Brief dem Heißkleber.

  • k0librix
    4.2
    Brief an …

    Brief an ... den Migrations-
    hintergrund

    SPIESSERin Alexandra widmet ihren Brief ihrem Migrationshintergrund.

  • schneewibchen
    Brief an …

    Brief an meine Wahlbenachrichtigung

      Liebe Wahlbenachrichtigung,   vor ein paar Wochen habe ich dich aus dem Briefkasten gefischt. Du bist meine Berechtigung zur Wahl, meine Berechtigung zur Mitbestimmung in Deutschland. Seitdem hängst du an meiner Pinnwand, wirst von Notizzetteln und Einkaufslisten umrahmt und wartest

  • pippi.langstrumpf
    Brief an …

    Brief an ...
    Die Erstwähler

    Das erste Mal zur bei einer Wahl die Stimme abgeben. Für manche von euch ist es dieses Jahr soweit, bei der Bundestagswahl. SPIESSERIN-Astrid hat einen Brief an alle neuen Erstwähler verfasst.  

  • Badbobby666
    Brief an …

    Brief an ...
    das Fernweh

    Fast alle von uns plagt es im Alltag regelmäßig, das Fernweh. Bei SPIESSER-Redakteur Tom scheint das nicht so zu sein. In einem Brief versucht er seinen entfernten Bekannten endlich dazu zu bewegen ihm mal einen Besuch abzustatten.

  • jennifer
    Brief an …

    Brief an ...
    die Pickel

    Sie sind klein, sie sind fies und man wird sie kaum los. Die Rede ist von den Plagegeistern der Pubertät: den Pickeln. SPIESSERin Jenni kann sie echt nicht mehr sehen und lässt ihrem Frust in ihrem Brief freien Lauf.

  • MissCuriosity
    2.52941
    Brief an …

    Brief an ...
    den Like-Button

    Wenn Freunde sich nicht mehr mögen, ist das meistens traurig. Mona verabschiedet sich in ihrem Brief jedoch von einem sehr schlechten Freund – von dem Like-Button.

  • Gradl mim Radl
    Brief an …

    Brief an ...
    die Jogginghose

    Am 21. Januar ist jährlich der internationale Tag der Jogginghose. Und ja, dieses Kleidungsstück hat es sowas von verdient einen eigenen Tag im Kalender zu haben. Findet zumindest SPIESSERin Franzi. Eine Liebeserklärung an das bequemste tragbare Stück Stoff.

  • la rana
    Brief an …

    Brief an... Silvester

    SPIESSER.de-Autoren schreiben Briefe. Dieses Mal gibt la rana Feedback an Silvester.

  • PaulausMdorf
    Brief an …

    Brief an ... Odin

    Ein bestandenes Mathe-Abi oder Frieden auf der Welt – oft wünschen wir uns Hilfe von oben. Paul hofft auf die Weisheit Odins und hat einen Hilferuf geschrieben.

  • Elektroprinzessin.
    Brief an …

    Brief an ...
    die Secondhandkleidung

    Was andere ausmisten, findet bei SPIESSER–Autorin Lara einen Platz. Sie findet: Secondhandmode ist ein Wundermittel gegen Uniformität, Sweatshops und das Pleitesein.

  • mia.
    Brief an …

    Brief an... den Herbst

    SPIESSER-Autoren schreiben Briefe. Diesmal hat mia. ein paar Takte mit dem Herbst zu reden.

  • lea58
    Brief an …

    Brief an ...
    den Neid

    Ihr kennt das: Was andere haben, wollen wir auch, was wir selbst haben, erscheint uns nicht gut genug. Neid! Lea will sich jetzt erstmal von ihm verabschieden.

  • Gradl mim Radl
    Brief an …

    Brief an ...
    das Internet

    In ihrem Brief gratuliert SPIESSER-Praktikantin Franzi dem Internet zum 25ten Geburtstag. Happy Birthday, liebes Internet!

  • FranziFranzzz
    Brief an …

    Brief an ...
    das WG-Leben

    SPIESSER-Praktikantin Franziska hat mit ihrem WG-Leben Klartext gesprochen und dabei positive und negative Seiten entdeckt – und letztendlich ihre Liebe gestanden!