Es musste ja so kommen: Mein Vater explodiert. Wie wild wirft er Gegenstände von meinem Bett in den Flur – Gegenstände, die meiner Meinung nach eigentlich in die Kisten gehören, die ich in Polen benötige. Papa sieht das ein bisschen anders. „Kannst du mir mal bitte erklären, wofür du ZWEI Packungen Haushaltstücher brauchst, wenn du in Oświęcim direkt neben einem Supermarkt wohnst? Und musst du wirklich fünf Kuscheltiere mitnehmen? Ich dachte du willst erwachsen werden!“ Verschreckt ob dieses Ausbruches räume ich eine Packung Haushaltstücher wieder weg und verstecke drei Kuscheltiere im Handgepäck. Woher soll ich denn wissen, was ich im nächsten Jahr alles brauche? Schließlich ist das mein erster Auszug von zuhause. Brauche ich da nicht ein bisschen Geborgenheit? „Geborgenheit, ja, sicher. Aber du gibst dem Neuen ja gar keine Chance, wenn du drei Kisten mit altem Kram mitschleppst!“, entgegnet mir der entnervte Vater. Seine Verzweiflung gipfelt in einer Anklage, an das Schicksal oder Gott: „Was habe ich nur falsch gemacht, dass aus dir so ein Spießer geworden ist?“ Daraufhin muss ich ein bisschen lachen. Und dann lacht mein Vater mit und hilft mir, zwei Umzugskisten mit altem Kram vollzustopfen.
Nicht nur das Packen ist eine aufregende Sache: Die letzten Tage in Stuttgart sind vollgestopft mit Terminen und hektischem Betrieb. Vor allem die unzähligen Verabschiedungen sind gar nicht so leicht zu koordinieren. Natürlich will ich nochmal alle Freunde sehen, möglichst viel Zeit mit dem Meinen verbringen und vielleicht dabei auch noch manchmal zuhause sein. Nebenbei räume ich komplett mein Zimmer frei, registriere mich für ein Online-Stipendium und bemühe mich, möglichst alle guten Filme im Kino zu sehen – manchmal habe ich das Gefühl, ich bräuchte einen Assistenten, um alles unter einen Hut zu bekommen. Aber letzten Endes wird doch noch alles gut und die Verabschiedungen sehr schön: Von den Hühnern bekomme ich ein riesiges Plakat (das nur durch den Einfallsreichtum meiner Schwester unter dem Autodach befestigt werden kann) und alle anwesenden Freunde nehmen sich noch einmal Zeit, um mit mir durch die Stadt zu schlendern und Zukunftspläne auszutauschen. So fällt der Abschied nicht ganz so schwer – „und überhaupt, in vier Monaten bin ich schon wieder da!“
Natürlich widme ich mich auch nochmal ein bisschen intensiver der polnischen Sprache. Aber trotz scheinbar unzähliger Apps und Lehrbücher fällt es mir echt schwer, Kontinuität in meine Übungen zu bringen. Zu kompliziert die Grammatik, zu verwirrend die Aussprache – ich bin froh, dass ich in Oświęcim Sprachunterricht nehmen kann. Vorerst bemühe ich mich, den wichtigsten aller Sätze für den Polen-Touristen zu lernen: „Nie mówie po polsku“, ich spreche kein Polnisch. Trotzdem gelingt es mir am ersten Abend in Krakau (meine Eltern und ich sind über einen Zwischenstopp in Prag mit dem Auto nach Kleinpolen gefahren), den freundlichen Kellner im „Ariel“ zu beeindrucken, indem ich – sicherlich mit grausigem Akzent – eine Flasche Wasser bestelle und sogar auf die Frage ob Kohlensäure oder nicht zufriedenstellend antworten kann. Augenblicklich überkommt mich die Freude am Sprachenlernen, und ich beschließe, nächstes Jahr um diese Zeit fließend polnisch zu können. Koste es was es wolle!
Die Gefühle bei meiner Ankunft in Oświęcim sind gemischt. Einerseits bin ich froh, die Ungewissheit hinter mir zu haben (die Vermieterin scheint nett, die Wohnung ist groß und Oświęcim eine sehr schöne und lebendige Kleinstadt), andererseits wird es jetzt ernst. Ich muss mich von meinen Eltern verabschieden und bin damit offiziell auf mich selbst gestellt. Die Tatsache, dass wir uns unmittelbar nach einer Führung durch das ehemalige Konzentrationslager verabschieden, schafft zusätzlich eine seltsame Stimmung. Aber schließlich haben wir es hinter uns: Es gab keine Tränen und keinen finalen Streit. Die Eltern sind sicher ins Auto verfrachtet und auf dem Weg zurück nach Krakau, und ich erlebe die erste Überraschung des Jahres: Ohne dass etwas geschehen wäre, bin ich bereits in einen Freundeskreis integriert. Meine Vormieterin, die ebenfalls Freiwillige in der IJBS (im Folgenden auch MDSM genannt, nach der polnischen Version des Namens) war und jetzt zum Studieren nach Wien geht, stellt mich einer Gruppe aus neuen und alten Freiwilligen sowie zwei „locals“ vor, die mich herzlich begrüßen und ohne große Überlegungen in die Planung des weiteren Abends mit einbeziehen. Fühlt sich an, als wäre ich schon zuhause.
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woraus ein Musikvideo zu meinem Song LIMITS entstanden ist:
https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
Bei meinem letzten Sturz fiel ich in Kunst hinein:
[Bild:1]
Viel Spaß
mxk
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