Ausreiserin Almuth hat all ihren Mut und ihre Geduld zusammengenommen, um in der scheinbar stressfreien Zone Bosnien-Herzegowina zu bestehen: von abenteuerlichen Zugfahrten, langwährendem Kaffeetrinken und, na ja, deutscher Ungeduld.
20. December 2012 - 14:30 SPIESSER-Autorin regentrude.
Ein Jahr Freiwilligendienst in Bosnien-Herzegowina: Ausreiserin Almuth arbeitet dort seit August in einem Tageszentrum für Menschen mit Behinderung.
Als ich mich im August zu meinen einjährigen Freiwilligendienst nach Bosnien-Herzegowina aufmachte, wusste ich, dass ich noch viel in meiner neue Heimat zu lernen hatte: die Sprache, die Landesgeschichte, das Alleinewohnen. Doch meine allererste Lektion war eine ganz andere: Geduld.
Alles polako?!
Eines der am häufigsten gehörten Worte in meinem Alltag hier ist „polako“ – langsam. Und tatsächlich läuft hier vieles gemächlicher als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Viele Bosnier treffen sich zum Beispiel sehr häufig zum Kaffeetrinken - und das kann dann auch über mehrere Stunden gehen. Das ist hier so etwas wie das wichtigste Hobby. Dabei nippen sie nur ab und zu an ihrem Kaffee, etwas, woran ich wirklich noch arbeiten muss: Hier bekommt man nämlich nicht den üblichen deutschen Filterkaffee, sondern nur einen Espresso serviert, den ich normalerweise innerhalb von fünf Minuten ausgetrunken hätte. Aber nein: In Bosnien-Herzegowina hält man sich mit dieser winzigen Tasse sehr viel länger auf. Polako eben.
Langsamer Zug? Mehr Zeit für die Landschaft!
Von wegen zügig mit dem Zug
Ebenso polako sind die öffentlichen Transportmittel. Das Schienennetz ist nicht sonderlich gut ausgebaut, so dass jede Zugfahrt einem kleinen Abenteuer gleicht. Meine erste Zugreise hier gestaltete sich dementsprechend ereignisreich. Der Zug war alt, stammte aus Schweden, fuhr mit gefühlten 50 km/h durch wunderschöne Landschaften, während die Leute drinnen saßen und dem vergilbten „Rauchen-Verboten“-Schild zum Trotz eine Zigarette nach der anderen qualmten.
Im Gegensatz zu den den deutschen ICE-Fahrten, bei denen ich immer permanent den Zugfahrplan und die digitale Anzeige checke, um ja den Anschlusszug nicht zu verpassen, musste ich hier öfter mal mein rudimentäres Bosnisch auspacken, um herauszufinden, ob ich nicht vielleicht schon an meinem Ziel vorbeigefahren war. Nix Anzeige: Wenn man eine Station erreicht, ruft der Schaffner den Namen der Stadt. Wer das aber nicht hört, muss sich eben aus seine Ortskenntnis verlassen – oder in meinem Fall auf die seiner Mitmenschen. Aber auch hier gilt: Nur kein Stress.
Langsam ernährt sich das Eichhörnchen
Hilft gegen die deutsche Ungeduld: Schneller,
höher, breiter lächeln.
Für mich als Großstadtkind ist diese Gelassenheit ungefähr den ersten Monat lang total spannend und neu gewesen – dann wurde sie unerträglich. Mittlerweile merke ich aber, wie ich immer geduldiger werde. Dennoch gibt es auch Situationen, in denen mir immer noch klar wird, dass ich die deutsche „Schneller-höher-weiter“-Moral so schnell wohl doch nicht komplett ablegen werde: zum Beispiel bei meinen sich allzu langsam entwickelnden Sprachfortschritten.
Obwohl ich wusste, dass ich die ersten Monate wenig verstehen und viel vor mich hin radebrechen würde, spüre ich allmählich wieder die gewohnte Ungeduld in mir hochsteigen. Wenn ich mich zum 1000. Mal im Fall irre, das rollende r einfach nicht rollt und mir klar wird, wie viel ich noch zu lernen habe. Da helfen dann weder die „Polako, Alma, Polako“-Ermahnungen der Bosnier noch der „Das wird schon noch“-Trost aus Deutschland weiter.
Geduld, bitte!
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Geduld ist nun einmal nichts, was man auf die Schnelle lernen kann. Stattdessen muss ich langsam entdecken, wie schön es sein kann, alles mal polako zu sehen. Für den Anfang empfehle ich, einen Espresso zu trinken. Und zwar eine Stunde lang.
Text: Almuth Richter, Fotos: privat
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