Es sind Semesterferien und der Campus der Berliner Charité ist wie leer gefegt. Wir sitzen etwas abseits. Melanie erzählt mir von ihrer Abiturfeier. Vier Jahre sind seitdem vergangen. „Bei der Abifeier hatte ich nur Nicaragua im Kopf“, erinnert sich die 23-Jährige. Ein Vierteljahr hat sie dort nach ihrem Abschluss in einer Schule gearbeitet und Kinder unterrichtet. An diese schöne und unbeschwerte Zeit erinnere sie sich gerne zurück.
„Ich stand heulend im Pferdestall“
Melanie ist eine echte Frohnatur. Dass sie schon
sehr harte Zeiten durchmachen musste, sieht
man ihr gar nicht an.
Nach ihrer Rückkehr im September 2011 begann Melanie eine Ausbildung als Tierpflegerin. Was da noch keiner ahnen konnte: Sie wird die Lehre in einem halben Jahr unterbrechen müssen. Die körperlichen Arbeiten in der Tierklinik konnte sie kaum noch bewältigen: „Ich stand heulend im Pferdestall, weil ich mich so schwach gefühlt habe.“ Zu ihrer permanenten Erschöpfung kam Fieber hinzu. Eine Woche lang litt sie unter einer erhöhten Körpertemperatur und Nachtschweiß. Die damals 20-Jährige spürte: Irgendwas stimmt nicht.
Melanie ging zu ihrem Hausarzt. Der vermutete zunächst einen Infekt und nahm ihr Blut ab. Zwei Tage später klingelte das Telefon. Am anderen Ende hörte sie die besorgte Stimme ihres Arztes: Mit Melanies Blutbild stimme etwas ganz und gar nicht! Sie solle den Bluttest wiederholen.
Die zweite Probe bestätigte nur, was sich bereits angedeutet hatte: Melanies CRP-Wert war deutlich erhöht. CRP ist ein Eiweißstoff, den der Körper immer dann in größeren Mengen bildet, wenn eine Infektion in einem Körperteil eine Entzündung ausgelöst hat und das Immunsystem aktiviert ist. „Dieser Wert ist ein zuverlässiger Indikator für gewebszerstörende Prozesse“, erklärt mir Melanie.
Verborgen hinter dem Brustbein
Melanie hat sehr erwachsen auf die Diagnose
reagiert und die Hoffnung nie aufgegeben.
Was folgte, war ein längerer Aufenthalt im Krankenhaus. Ganze 14 Tage lang dokterten Ärzte und Schwestern an ihr herum, überwachten ihre Werte, untersuchten ihr Blut, entnahmen Gewebeproben. Diese Zeit der Ungewissheit war für Melanie und ihre Familie enorm belastend. Schließlich wurden auf einem Röntgenbild verdickte Lymphknoten entdeckt – verborgen hinter ihrem Brustbein. Am 4. April 2012 folgte dann die sichere Diagnose: Krebs.
„Es war ganz unwirklich“, erinnert sich Melanie. Viele Fragen seien ihr damals durch den Kopf geschossen: „Wie wird es sein?“, „Wie fühlt sich Krebs an?“ und vor allem: „Werde ich die Chemotherapie schaffen?“
Diagnose: Morbus Hodgkin
SPIESSER-Autorin Saskia hat sich mit Moderatorin und Sportskanone Shary Reeves auf einem Bolzplatz getroffen. Dort haben sie aber nicht nur fleißig gekickt, sondern auch ernste Themen besprochen – Shary ist nämlich Botschafterin der Kampagne Bewegung gegen Krebs. Worüber sich die beiden genau unterhalten haben, lest ihr hier.
Die Krebsart, die bei Melanie diagnostiziert wurde, ist eine höchst seltene: Morbus Hodgkin, auch Hodgkin-Lymphom genannt. Das ist eine bösartige Erkrankung des Lymphsystems, das sehr wichtige Aufgaben innerhalb unseres Immunsystems hat und beispielsweise die Bildung von Antikörpern einleitet, wenn wir krank sind. Derzeit erkranken in Deutschland etwa 2.200 Menschen pro Jahr an Morbus Hodgkin – zum Vergleich: Brustkrebs bekommen hierzulande jährlich mehr als 75.000 Frauen.
„Warum ausgerechnet ich?“ Diese Frage hat sich Melanie damals oft gestellt. Beantworten kann sie sie noch immer nicht. Ein anderer Lebensstil hätte ihre Krebserkrankung wahrscheinlich nicht verhindern können – zumal Melanie regelmäßig Sport machte und Nichtraucherin ist. Krebs sei eben nicht fair: „Wenn man Leute sieht, die nur am Rauchen sind und mit 80 Jahren noch keinen Lungenkrebs haben – da wundert man sich doch schon.“ Die Ärzte sagten ihr, Morbus Hodgkin hänge vermutlich mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber zusammen. Das hatte Melanie mit 15 Jahren.
Sie selbst habe auf den Befund sehr erwachsen reagiert. „Eigentlich hatte ich keine Zweifel, dass ich es nicht schaffen sollte“, so Melanie. Bei ihrer Familie fand sie starken Rückhalt. Enttäuscht war sie dagegen von einigen Freunden. Viele hätten sich einfach nicht mehr gemeldet. Klar, sie könne verstehen, dass diese Situation auch für ihre Bekannten nicht leicht gewesen sei. Aber sich einfach nicht mehr melden – das sei dann doch nicht die beste Art. Darum rät Melanie Freunden von Betroffenen: „Keine Scheu haben, ehrlich sein, Unsicherheiten ansprechen. Aber vor allem: den Menschen nicht abschreiben!“
Das Lachen nicht verloren
Der Haarausfall während der Chemotherapie
war für Melanie besonders schlimm.
Vor der Chemotherapie, also der Behandlung des Patienten mit Medikamenten, die das Wachstum der Krebszellen hemmen oder diese bestenfalls abtöten, hatte Melanie wenig Angst. Lediglich die damit verbundene Übelkeit fürchtete sie. Nach den meisten Infusionen hatte sie einen flauen Magen und keinen Appetit. „Aber einmal ging es mir so richtig elend und nichts half. Den Tag werde ich wohl nie vergessen“, erinnert sie sich.
Viel schlimmer noch als die Übelkeit sei aber der Haarverlust gewesen. „Wenn die Kopfhaare ausfallen, Wimpern nicht mehr da sind und sich die Augenbrauen lichten, sieht man einfach nur noch krank aus“, sagt Melanie und zeigt mir Fotos aus jener Zeit. Die „fehlende Weiblichkeit“ hat sie dann mit Mützen kaschiert – vor allem, um von Fremden nicht so angestarrt zu werden. Eine Perücke wollte sie nicht, denn: „Das war ja nicht ich. Meine Glatze gehörte eben irgendwie zu mir.“
Melanie spricht deutlich, ist offen, findet klare Worte – und hat trotz allem ihr Lachen nicht verloren. „Eigentlich fand ich es total toll, meinen Kopf auch mal eincremen zu können. Man muss die Glatze mit Humor nehmen!“
Türöffner zum Medizinstudium
Mehr Informationen zu der Kampagne „Mit aller Kraft gegen den Krebs“ findet ihr auf der Homepage der Kampagne: mit-aller-kraft.de
Melanie sagt, die Krebserkrankung habe ihr auch Türen geöffnet, an die sie vorher nur schwer herankam. So wurden ihr aufgrund ihrer möglichen geringeren Lebenserwartung die Wartesemester erlassen und die sofortige Zulassung zum Studium genehmigt. Mittlerweile ist sie im vierten Semester an der renommierten Berliner Charité, an der sie selbst vorher Patientin war.
Das Medizinstudium ist nicht leicht, doch Melanie beißt sich durch. Aufgeben ist ja sowieso nicht ihr Ding. Ihre Kommilitonen wissen von ihrer Krebserkrankung. Die Narbe am Brustkorb ist verräterisch, dazu die kurzen Locken. Im ersten Semester war sie zudem noch nicht so fit. Fachbegriffe konnte sie sich nur schwer merken. „Chemobrain wird diese kognitive Beeinträchtigung genannt“, erklärt mir die 23-Jährige.
Melanie ist ein Gesicht der Kampagne „Mit aller Kraft gegen den Krebs“ der Deutschen Krebshilfe. Auf dem Plakat ballt sie kämpferisch die Faust. Sie rät allen Betroffenen, ihr Schicksal anzunehmen und das Beste daraus machen: „Trübsal blasen bringt nichts. Glaubt daran, dass die Behandlung klappt und habt Vertrauen in die Medizin!“
Dann stellt sie uns doch einfach hier oder gleich in den Kommentaren. Die Expertin Dr. Jutta Hübner von der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin, beantwortet sie euch ab dem 13. Oktober hier auf SPIESSER.de.
Unter allen Fragestellern verlosen wir zweimal den Loop Activity Tracker von Polar sowie mehrere Exemplare des Romans "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" von John Green.
Am 25. September 1974 gründete Dr. Mildred Scheel die Deutsche Krebshilfe. Großes persönliches Leid und sehr begrenzte Behandlungsmethoden – so erlebte die damalige Frau des Bundespräsidenten die Situation von Krebspatienten. Unter dem Motto „Helfen. Forschen. Informieren.“ hat die Organisation in vier Jahrzehnten maßgeblich dazu beigetragen, die Situation Krebskranker zu verbessern.
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit der Deutschen Krebshilfe.
Ihr habt Fragen zum Thema Krebs? Dann wendet euch doch an die persönliche Beratung der Deutschen Krebshilfe:
Text: Anne Juliane Wirth
Fotos: Janis Westphal