Am 1. Juli ist Kroatien als 28. Staat der Europäischen Union beigetreten. Viele junge Leute dort sind unsicher, ob das eine gute Idee ist. Doch eine andere Perspektive bietet sich ihnen kaum. SPIESSER-Autor Theo war für uns in Zagreb und hat mit jungen Kroaten über den Beitritt gesprochen.
03. July 2013 - 11:23 SPIESSER-AutorIn anonymer Nutzer.
Nähme man die Werbeplakate an den Ausfallstraßen Zagrebs zum Maßstab, müsste man den Kroaten geradezu EU-Verrücktheit unterstellen. An der Straße zum Flughafen verheißen die Plakatwände billigste Preise, immer mit Hinweis auf den nahenden EU-Beitritt. Geflügelwurst, Wandfarbe und Orangensaft sollen günstiger werden. Kein Wunder, denn zum 1. Juli fallen die Zölle im Handel mit den anderen EU-Staaten weg. Zehn Jahre nach Beginn der Beitrittsgespräche und viele Reformen später tritt mit Kroatien der erste Balkanstaat der Union bei.
Nachkriegsgeneration auf der Suche
Nun haben gerade junge Kroaten in diesen Tagen größere Sorgen als zu teuren Orangensaft. Diejenigen unter ihnen, die im letzten Jahr des Kroatienkrieges 1995 zur Welt kamen, werden in diesem Jahr volljährig. Sie haben die Schrecken dieser Zeit nicht persönlich erlebt, bekommen aber die Nachwirkungen umso stärker zu spüren. In der Gesamtbevölkerung sind 18,1 Prozent arbeitslos, was aber nur sieben Prozentpunkte mehr sind als im EU-Schnitt. Unter den 15- bis 25-Jährigen lag die Quote im April dagegen bei erschreckenden 51,8 Prozent. Nur in Griechenland und Spanien sind noch mehr junge Leute arbeitslos. Und die Wirtschaft schrumpft weiter, im vergangenen Jahr um zwei Prozent. Deswegen wundert es niemanden, dass sich der Enthusiasmus für den anstehenden Beitritt Kroatiens bei allen Beteiligten abgekühlt hat. "Ich glaube nicht, dass Kroatien bereit für die EU ist", meint Silvija Perić. Die 23-jährige Kroatin ist in Zagreb Vorsitzende der Studentenorganisation AEGEE. "Wir bräuchten noch Jahre, um fit zu werden. Aber es war gut, dass die EU unsere Regierung zu Reformen gedrängt hat."
Solche Skepsis möchte die EU-Kommission unbedingt zerstreuen, soll Kroatien doch eine Schlüsselrolle in den Beitrittsgesprächen etwa mit EU-Anwärter Mazedonien spielen. In der vergangenen Woche ließ die Kommission 200 Jugendliche aus 36 Ländern in die kroatische Hauptstadt einfliegen. Sie wurden in Vier-Sterne-Hotels einquartiert und hatten Gelegenheit, während einer dreitägigen Konferenz über Chancen und Risiken des Beitritts zu diskutieren. Ihnen und den mitgereisten Journalisten wurden sorgsam ausgewählte "Kampagnen-Stimmen" präsentiert, etwa ein Wissenschaftler und drei Unternehmensgründer, die Auskunft über ihre Hoffnungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt gaben.
Von wegen Retter aus Brüssel
Zur Konferenz gekommen ist auch Sandra Petrović Jakovina. Mit ihren 28 Jahren zählt sie ihres Verdienstes wegen, glaubt man der Bild-Zeitung, zu "Europas glücklichsten Kroaten". Denn die vormalige Abgeordnete des kroatischen Parlaments ist von diesem Montag an eine der zwölf Abgeordneten Kroatiens im Europäischen Parlament. Bei der Wahl im April reichten der Sozialdemokratin wegen der extrem niedrigen Beteiligung von knapp 21 Prozent dazu ganze 3.806 Stimmen. Ihre Wahl wurde von der Öffentlichkeit kritisch beäugt, seit sie im Februar überraschend den kroatischen Landwirtschaftsminister Tihomir Jakovina heiratete. Ende des Jahres erwartet das Paar ein Kind. Beide Politiker gehören der sozialdemokratischen Regierungspartei SDP an – und einer neuen Generation von Politikern, die sich eigenem Bekunden nach dem Kampf gegen die immer noch vorhandene Korruption verschrieben haben.
Petrović Jakovina hofft auf Geld aus Brüssel, sieht aber auch Kroatien selbst in der Verantwortung. "Die Europäische Union ist nicht hier, um unsere Probleme zu lösen, die Lösung liegt in unserem eigenen Land", sagt sie. "Wenn Kroatien die Möglichkeit hat, auf die Strukturfonds der EU zuzugreifen, dann wird es dabei erfolgreich sein. Wenn es nicht funktioniert, ist allein Kroatien daran schuld, nicht die EU." Sie könne deshalb auch keine der vielen Absolventen verurteilen, die auf der Suche nach besseren Chancen ins Ausland abwandern.
... oder doch eine kalte Dusche?
Ein paar Kilometer weiter, abseits der offiziellen Konferenz, ärgert sich Kresimir, 35, Jurist und Autor, über diese Worte. Er sitzt mit seinem Hund, der verrückt nach geworfenen Tennisbällen ist, auf der Veranda des "Peron 8", einer Mischung aus Künstlerbar und Jugendzentrum. Seinen Ärger über die Haltung der Politikerin Petrović Jakovina kann er kaum verbergen. Er nennt sie nur beim Vornamen und hält sie für opportunistisch. "Das ist typisch Sandra. Ihre Partei ist doch in der Regierung, sie kann doch selbst etwas ändern!" Er erhofft sich nicht viel von der EU. Kroatien produziere nichts, sondern habe nur seine Strände, das sei keine Grundlage für einen gemeinsamen Markt. Auch sorgt er sich wegen der Brüsseler Bürokratie, obwohl auch er sich grundsätzlich vorstellen könnte, für seine Projekte EU-Gelder zu beantragen.
Für die kommenden zwei Wochen lädt er europäische Künstler ein, zu einem Pop-up-Festival unter dem Titel "EU-Beitritt – wie eine kalte Dusche?" beizutragen. Das Fragezeichen im Titel ist ihm wichtig, "ich habe nicht gesagt, dass die EU wie eine kalte Dusche sein wird!" Nur rein vorsorglich haben er und seine Mitstreiter im großen Garten schon einmal eine Holzkonstruktion aufgestellt, aus der sich mit Flaschenzug, Eimer und etwas Fantasie eine Dusche machen ließe. Man weiß ja nie, was kommen wird. Und dennoch: Wäre Kresimir zum Zeitpunkt des Referendums zum Beitritt in der Stadt gewesen (Briefwahl ist kompliziert in Kroatien), hätte auch er für "Ja" gestimmt. "Es ist unsere einzige Chance."
So bleibt am Ende dieses Tages das Bild eines verunsicherten Landes, das vor seiner eigenen Courage zurückschreckt und kaum einzuschätzen weiß, was die Zukunft bringen mag. Die meisten jungen Leute wünschen sich einstweilen nur eins von Europa: endlich Arbeit zu finden.
Kroatiens Nachbarstaaten sind Slowenien im Nordwesten, Ungarn im Nordosten und Bosnien und Herzegowina im Südosten. Die 4,4 Mio. Einwohner stellen von jetzt an etwa 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union. Obwohl Kroatien nun zur EU gehört, gibt es weiterhin Kontrollen an der Grenze, denn das Land ist noch nicht Teil des sogenannten Schengen-Raums. Vorerst behält das Land seine Währung, die Kuna. Mittelfristig will Kroatien aber sowohl Teil des Schengen-Raums werden als auch den Euro einführen, sobald die Bedingungen dafür erfüllt sind.
Text und Fotos: Theo Müller
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