Wenn Julia erkältet ist, dann trieft nicht nur ihre Nase, sondern sie muss sich auch mit schmerzhaften Schwellungen der Haut und Schleimhäute herumplagen. Wie 1.600 weitere Deutsche leidet die 20-Jährige an der seltenen Erkrankung HAE. SPIESSER-Autorin Mireille sprach mit Julia über die Krankheit und ihren (fast) normalen Alltag.
04. March 2015 - 15:22 SPIESSER-RedakteurIn whiteblankpage.
Auf den ersten Blick wirkt Julia wie eine völlig gesunde, junge Frau. Wenn sie nicht gerade für die Abschlussprüfungen bei ihrer Krankenschwesterausbildung büffelt, treibt die Blondine viel Sport, verbringt Zeit mit ihrem Freund und engagiert sich ehrenamtlich beim DRK – klingt wie ein ganz normaler Alltag, oder?
Julias Vater machte sich zu Beginn viele Vorwürfe,
dass er ihr HAE vererbt hat.
Doch dann sind da wieder diese Momente, wie beispielsweise vor rund zwei Jahren, als ihr bei der Arbeit zunächst der Daumen anschwoll und schließlich der gesamte Unterarm so dick wurde, dass sie nicht einmal mehr einen Pulli überstreifen konnte.
Julia leidet am Hereditären Angioödem (HAE), einer seltenen Erkrankung, die in Deutschland bislang nur 1.600 Mal diagnostiziert wurde. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Typische Symptome sind Schwellungen der Haut und Schleimhäute, häufig klagen Betroffene auch über starke Bauchschmerzen.
Eine schockierende Diagnose
HAE kennt die junge Frau bereits ihr Leben lang – sowohl ihre Oma als auch ihr Vater haben diese Krankheit. Dennoch dachte die Azubine bis zu ihrem 16. Lebensjahr nicht daran, dass auch sie von den schmerzhaften Schwellungen der Haut und Schleimhäute betroffen sein könnte. „Meine gesamte Familie war felsenfest davon überzeugt, dass ich nicht HAE habe“, erinnert sich die heute 20-Jährige. Denn bis zu diesem Zeitpunkt lebte der Teenager ohne jegliche Symptome – im Gegensatz zu ihrem Vater, der bereits als Kind über Schwellungen klagte.
Auch in ihrer Freizeit engagiert sich Julia für andere.
Umso größer war dann der Schock. „In der ersten Zeit fragte ich mich oft, ob ich überhaupt normal weiterleben kann?“ Wie viele Menschen, die an einer seltenen Erkrankung leiden, wussten ihr die Ärzte in der ersten Zeit nicht zu helfen. Im Gegensatz zu ihrem Vater, der jahrelang Tabletten mit männlichen Hormonen einnahm, gab es für Julia als Frau angeblich keinerlei Therapiemöglichkeiten. Da hätte sie einfach Pech. Ängste plagten die Azubine in dieser Zeit. Was, wenn der Hals einfach zuschwellt, sie sich in akuter Lebensgefahr befindet – und sie kann dann keine Medikamente dagegen bekommen?
Keine Medikamente für Frauen?!
Was ist HAE?
Ihr wollt euch ausführlicher über HAE informieren? Informationen und Kontaktdaten für HAE-Betroffene findet ihr bei der HAE-Vereinigung.
Doch damit wollte sich Julia nicht zufrieden geben. Sie stellte eigene Recherchen an – und fand schließlich die HAE-Vereinigung. Die Vorsitzende vermittelte das Mädchen und ihren Vater an einen Spezialisten, einige Stunden von ihrem Heimatörtchen entfernt. Dieser schlug die Hände über seinem Kopf zusammen, bei all den Fehlinformationen, die Julia von ihren bisherigen Ärzten vermittelt wurden. Natürlich gäbe es auch für sie Therapiemöglichkeiten. So lernten Julia und ihr Vater, sich selbst ein Medikament in die Vene zu spritzen.
Eine unglaubliche Erleichterung für Julia und ihren Alltag. Die Spritzen kann sie nun einfach überall mitnehmen und muss keine Angst mehr davor haben, sich tagelang mit den schmerzhaften Schwellungen herumzuplagen. „Ich kann ein normales Leben führen. Ich kann reisen, in den Urlaub fahren, weggehen. Wie jeder normale Gesunde eigentlich auch“, freut sie sich. Auch für ihren Freund ist das eine enorme Hilfe. Nach Julias erster Schwellung hatte er häufig Angst um seine Freundin – nun kann auch er zur Not das Medikament spritzen.
„Es gibt doch viel, viel schlimmere Sachen als HAE.“
Julia weiß zu schätzen, dass ihr Leidensweg bis zur Diagnose und dem richtigen Medikament recht kurz war. In der Regel dauert es 15-20 Jahre, bis die Erkrankten das erste Mal von HAE hören. Genau deshalb versucht die junge Frau, so viele Leute wie möglich über die Krankheit zu informieren. „Ich hoffe, dass ich mit meiner Geschichte andere Betroffene auf die Erkrankung aufmerksam machen kann, so dass sie und auch ihre Hausärzte für HAE hellhöriger werden“, erklärt sie ihren Einsatz.
Auch wenn sie in Zeiten von Stress oder Erkältungen fast wöchentlich mit Schwellungen zu kämpfen hat, kann Julia ihren Alltag mittlerweile ohne größere Probleme bewältigen. „Ich bin trotzdem gesund. Es gibt doch viel, viel schlimmere Sachen als HAE.“
Allein in Deutschland sind vier Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen. Am 28. Februar wird jährlich weltweit auf diese „Waisen der Medizin“ hingewiesen. Alles rund um den „Tag der seltenen Erkankungen“ und weitere Informationen zu verschiedenen Krankheiten findet ihr unter www.rarediseaseday.org.
Text: Mireille Huditz
Fotos: Privat
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