Ausreiser Carsten erkundet alleine das Inland von Island.
Ich sitze in der Küche im ersten Stock eines Hauses in einer der besseren Wohngegenden Reykjaviks nahe des Hafens. Nein, ich bin nicht bei einem isländischen Bekannten zum Essen eingeladen. Ich möchte gerne für drei Tage auf eigene Faust die Insel erkunden und brauche dafür einen fahrbaren Untersatz – von Autovermieter James soll ich ihn bekommen.
Auf die Sitze fertig los
James, der mit seinem Kassengestell auf der Nase, dem dichten Drei-Tage-Bart und seinem Wollpullover eher wie ein Philosophie-Student als ein Geschäftsmann aussieht, erledigt den Papierkram. Meinen Führerschein will er sehen, mehr nicht. Keine Kreditkarte. Keine Kaution. Wo in Deutschland vorab zig Versicherungspolicen unterzeichnet werden müssen, drückt mir James den Schlüssel zwischen Töpfen und Tellern in die Hand. „Der Rest erklärt sich von selbst“, schmunzelt er, „Wir sehen uns Mittwoch.“
Auf los gehts los.
Zugegeben, etwas mulmig ist mir schon, als ich mich in den weinroten Opel-Astra setze. Ich drehe den Zündschlüssel um und der Wagen springt sofort an. Meine Mutter würde mir jetzt einen Vogel zeigen: Der Junge fährt los ohne irgendeine Sicherheit in der Tasche. Denn weder den Fahrzeugbrief noch irgendeinen Versicherungsschein habe ich bei mir. Andererseits ergeht es James ähnlich – mit der Nummer meines Führerscheins ließe sich ein Blechschaden nur schwer begleichen. Und überhaupt, was wäre, wenn ich mit dem Auto abhaute? Ich ertappe mich direkt dabei, wieder typisch deutsch gedacht zu haben. Wohin sollte ich mit dem Auto flüchten, wo so viel Wasser zwischen Island und dem europäischen Festland liegt?
Über kurz oder Langfinger
Was manchmal wie eine Barriere erscheint, erweist sich in diesem Fall als wohl effektivster Diebstahlschutz der Welt. Nichts gelangt von der Insel, was nicht tatsächlich auch runter soll. Ohnehin wäre es den Ordnungshütern ein Leichtes, den Opa-Opel binnen kürzester Zeit aufzuspüren.
Grenzenloses Island? Nicht ganz.
Das Land ist klein und der Kreis der Verdächtigen schnell eingegrenzt. Man sollte sich also zweimal überlegen, ob man hier zum Langfinger wird. Denn der Spruch, dass sich Verbrechen nicht auszahlt, gilt für den Inselstaat ganz besonders. Wer einmal erwischt wird, ist unten durch und hat fortan nichts mehr zu melden. Da die Isländer eine dermaßen starke Gemeinschaft pflegen, wäre es, als würden sie ihre eigenen Verwandten bestehlen. Was andernorts vielleicht öfter passiert – in Island ist es undenkbar.
Nach Drei-Tage-Fahrt zurück zum Drei-Tage-Bart
Der Opel trägt mich drei Tage lang schnurrend über die Straßen der Insel. Mit der Zeit beginne ich mich zu entspannen und genieße die Landschaft. Ob meine Mutter das in einer solchen Situation könnte, frage ich mich und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Am letzten Tag meiner Tour, die wie im Flug vergangen ist, rufe ich James an. Wir hatten keinen Rückgabetermin des Autos abgemacht. In zehn Minuten sei er zu Hause, dann könnte ich vorbeikommen, sagt er. Ich schlängle mich durch die engen Gassen und suche einen Parkplatz. James kommt mir freudestrahlend auf der Treppe seines Hauses entgegen. „Wie war's“, will er wissen. „Toll“, sage ich knapp und reiche ihm das vereinbarte Geld. Er steckt es ein ohne nachzuzählen. Das Auto will er nicht sehen. „Wenn du es in dieser Straße geparkt hast, finde ich es schon“, winkt er ab.
Sicher ist ...
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Einen Tag später besuche ich in Reykjavik ein Handballspiel. Als ich in der Pause aufstehe, um mir im Foyer der Halle einen Hot-Dog zu kaufen, lasse ich meinen Rucksack einfach auf meinem Sitzplatz stehen – obwohl mein Laptop darin ist. „Das hätte ich nicht gemacht“, gibt mir meine Mutter hinterher am Telefon zu verstehen. Ich ertappe mich dabei, isländisch gedacht zu haben. Irgendwie ein schönes Gefühl – aber eben nur in Island.
Text: Carsten Reimer, Fotos: privat
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