Mit der Zunge bis zur Lunge: Liebe auf dem Schulhof
Deutschlands Schüler fallen in den Pausen übereinander her. Sie stehen auf dem Hof, sitzen im Chemiezimmer oder lümmeln auf der Werkbank immer in engem Kauleistenkontakt.
01. February 2007 - 11:00 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Vergnügt zwitschern die Vögel ihre Melodie. Grillen zirpen vor dem Gymnasium Coswig. Die Sonne scheint für den Herbst ungewöhnlich stark. Am Geländer vor dem Haupteingang lungern ein paar Viertelstarke und fachsimpeln über Sex. Du musst halt gucken, wie du das am besten hinbekommst , überhebt sich ein großer, schlanker Typ von ungefähr 15 Jahren. Er lehnt sich zurück und gafft den vorbeitippelnden Mädels auf die Hintern.
Es gibt Themen, die Schüler ständig bewegen: Sex und Liebe, Mädels und Jungs, Hose und Rock. Danach kommt eine ganze Weile nichts. Die Theorie vom Têteà-Tête läuft ständig im Kopfkino, spannender aber ist die Praxis: also Knutschen in der Kantine, Fummeln im Physikzimmer, Lippenbekenntnisse in der Schulbibo. Am besten vor den Augen Schaulustiger.
Das Lager der Liebenden wächst: 17 Prozent der zwölfjährigen Mädchen haben schon einen Freund, sagt die Jugendstudie Bravo. Immerhin elf Prozent der Jungen halten in diesem Alter Händchen. Mit 15 Jahren sind es bei den Mädchen sogar 34, bei den Jungen 18 Prozent, die sich Schulhofliebeleien hingeben. Die Knutscher sind überall aktiv so wie Sergey und seine Stefanie.
Sergeys Geschmackslappen in Stefanies Hals
Am Dresdner Wirtschaftsgymnasium lassen sie nicht die Finger voneinander. Sie stehen eng umschlungen nebeneinander, er schiebt seine linke Hand auf ihre rechte Pobacke Ihre Mähne weht im Wind, seine Füße wackeln vor Vorfreude. Schließlich fahren beide ihre Zungen aus. Das ist doch nicht schlimm. Man darf es nur nicht übertreiben , sagt die 18-jährige Stefanie. Das Geknuddele mit Sergey sei ihr nicht peinlich. Erst die Pausenklingel läutet Sergeys Geschmackslappen aus Stefanies Hals zurück in die eigene Mundhöhle seine Füße tragen ihn zurück zur Tristesse des Unterrichts. Aber in der nächsten Pause geht das Spiel von vorn los.
Das Pärchen hat sich sogar in der Schule kennen gelernt. Ein Lehrer meinte mal, wir sollten doch bitte Partner-Vermittlungsgebühren ans Gymnasium zahlen , erzählt Stefanie. Denn die beiden hatten das volle Programm: Mit Anbahnung im Wirtschaftsraum und ersten Streicheleinheiten in Englisch. Mittlerweile verlassen Sergey und Stefanie den Schulhof gemeinsam.
So sind sie, die Schulhof-Liebhaber. Hängen aufeinander, klemmen ineinander, sind nur noch untereinander und gehen nie auseinander. Aber das ist nicht immer und in allen Altersklassen so. Denn nach der Grundschulzeit trennen sich die Wege von Jungen und Mädchen erstmals grundlegend. Da stellen beide Geschlechter fest, dass sie verschiedene Interessen haben, dass die Mädchen nicht auf den Bolzplatz wollen , sagt Entwicklungspsychologin Dr. Sabrina Pauen von der Universität Heidelberg.
Alpha-Weibchen und Mister Mucki
Vorher waren die einzigen Unterschiede zwischen beiden die Frisur und die Wahl der linken oder rechten Toilettentür. Nun entwickeln sich Persönlichkeiten. Die Mädels merken: Ich habe Lust auf US5. Die Jungs fahren eher auf Golf IV ab. Das ist eine Übergangsphase, in der man Abstand hält , sagt Sabrina Pauen. Die angehenden Damen und Herren beäugen sich kritisch, bleiben auf Distanz und klauen sich höchstens den Schulranzen. Da findet Lisa-Marie den Timo aus der Parallelklasse einfach doof.
Aber das kann sich ändern. Spätestens, wenn die ersten Damen Oberweite bekommen, werden sie die Alpha-Weibchen ihrer femininen Cliquen bei den Jungs behält Mister Mucki die Oberhand. Meistens ist es so, dass sich diese ranghöchsten Cliquenmitglieder zusammenfinden und als erste den Mut aufbringen, miteinander zu gehen , sagt Pauen.
Zunächst treffe man sich nur innerhalb der Cliquen, gehe zusammen ins Kino und halte Händchen. Das war's aber auch: Ans Knutschen oder gar Mitnachhausenehmen denkt da noch keiner. Erst später lösen sich diese Cliquen langsam auf, man braucht den Schutz der Gruppe nicht mehr, und bald trauen sich auch die anderen Cliquenmitglieder, einen Partner zu suchen.
16 Prozent der Jungen halten sich für sexy
Ganz plötzlich findet Lisa-Marie den süßen Timo also nicht mehr nur furchtbar, sondern furchtbar toll. Die Mitschüler glotzen, das Pärchen genießt die Blicke das weiß auch die Jugendstudie: 44 Prozent der Mädchen und 16 Prozent der Jungen halten sich für sexy und aufregend.
Zumindest den Schulleitern müssen die verliebten Verführer tierisch auf die Nerven gehen, oder? Weit gefehlt. Ich verhindere da überhaupt nichts , sagt Bernhard Hupe. Er ist Direktor des Heinrich-Hertz-Gymnasiums in Erfurt. Er wolle ein angenehmes Schulklima schon deshalb dürfe man nicht dazwischenfunken. Es ist doch nicht schlimm, wenn sich mal jemand gerne hat , sagt Herr Hupe. In manchen Fällen muss er der Liebe dann aber doch einen Riegel vorschieben: Wenn es ausartet, sage ich freundlich: Bitte haltet euch zurück. Da muss man vor allem auf die jungen Schüler achten. Verhindern lässt sich nichts.
Mädels starten mit neun bis zehn Jahren in die Pubertät, Jungs warten zwei Jahre länger. Deshalb haben viele junge Frauenzimmer auch ältere Schränke zum Freund. Wenn sie älter wird, schießt sie ihn meist wieder ab. Und er? Er steht dann vor der Schule und tönt über Tussis. Bis Mutti ihn abholen kommt.
Text: Martin Machowecz
Fotos: Frank Grätz
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