SPIESSER unterwegs

Noch zu retten?

Ausreiserin Marie ist weltwärts unterwegs. In Indien verbringt sie ihr Freiwilliges Soziales Jahr bei einer NGO, die nun ein neues Projekt hat: Die Childline. Aber ob hier „gut gemeint“ auch „gut genug“ ist? Da ist sich Marie nicht so ganz sicher.

21. July 2013 - 08:52
SPIESSER-Autorin mary_makes tea.
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mary_makes tea Offline
Beigetreten: 29.04.2011


"Ihr seid noch zu jung zum Arbeiten",
erklärt ein NGO-Mitarbeiter.

Wenn ich durch die Straßen von Hassan laufe, sehe ich in dem bunten Alltagstrubel immer viele Kinder, die auf der Straße leben oder sich ihr täglich Brot hart verdienen müssen. Theoretisch könnte ich sofort zum Handy greifen und die „1098“ wählen. Jeder, der ein Kind sieht, das arbeitet, nicht zur Schule geht oder in irgendeiner Weise misshandelt wird, kann bei dieser „Childline“ anrufen. Kostenlos und rund um die Uhr. Sofort rückt ein Team aus, um das Kind aus seiner misslichen Lage zu retten. Das ist in der Theorie schön und gut. Aber in der Praxis greife ich oft nicht zum Telefon, denn auch wenn das Projekt zunächst super klingt, hat es doch auch seine Schattenseiten.

Erfolgsgeschichte?

Das Projekt „Childline“ ist vor 16 Jahren als Experiment in Mumbai gestartet und hat sich mittlerweile im ganzen Land entwickelt. Die Organisation, in der ich mein weltwärts-FSJ mache, ist nun in unserem Landkreis dafür zuständig.


An der örtlichen Schule wird über das
Childline-Projekt informiert.

Eigentlich eine tolle Sache. Nehmen wir Vijays* Geschichte als Beispiel: Er stammt aus einer sehr armen Familie, lebte mit ihr auf der Straße und musste sich seinen Lebensunterhalt als Tagelöhner verdienen. Ein Großteil des geringen Verdienstes gab die Familie für Alkohol, Zigaretten und Tabletten aus. Die Eltern sind Analphabeten und auch Vijay hat noch nie eine Schule von innen gesehen. Er ist 13 Jahre alt und kann weder seinen Namen schreiben, noch bis fünf zählen.

Vor zwei Wochen wurde das Childline-Team auf ihn aufmerksam gemacht und sammelte ihn ein. Der Junge lebt nun in einem Kinderheim, wo er bereits die ersten Buchstaben des Alphabets gelernt hat. Er ist wohl schon zu alt und es ist zu spät für eine realistische Chance auf den Schulabschluss. Lesen, Schreiben und ein bisschen Rechnen ist aber auf jeden Fall noch drin. Damit hat er später Chancen auf einen besseren Job. Seine Eltern verstehen das nicht. Das einzige was sie sehen ist, dass ihnen ihr Kind weggenommen wurde, wodurch die Familie noch weniger Geld zur Verfügung hat.

Das Blatt wendet sich

Im Kinderheim gibt es eine tägliche
Routine von Pflanzen gießen über Yoga
bis hin zum Lesenlernen.

Dennoch zählt diese Aktion als geglückt. Das ist nicht immer so. Ich erinnere mich daran, wie zwei Jungen aus einem Alkoholgeschäft geholt werden sollten. Der Ladenbesitzer weigerte sich, seine Arbeiter herzugeben. Überall waren betrunkene Männer und es grenzte an ein Wunder, dass die Situation nicht eskalierte. Bis die Polizei vor Ort war, hatten die Kinder längst den Trubel genutzt, um auf und davon zu rennen. Wohin weiß niemand. Der Ladenbesitzer kassierte nur eine Abmahnung und das wars.

Aus Angst davor, ins Heim gesteckt zu werden, wollen viele Kinder überhaupt nicht gerettet werden. Da die Einrichtungen oft in absolut katastrophalen Zuständen sind und die überforderten Aufseher teils keine anderen Erziehungsmethoden außer Schläge kennen.

Teufelskreis

Bereits ein halbes Jahr nach Einweihung der Childline in Hassan sind alle Kinderheime im Landkreis heillos überfüllt. Zwar gibt es bundesweit Initiativen, die sich bemühen, den Standard dieser Einrichtungen permanent zu verbessern, doch gegen die Flut an Kindern sind sie machtlos. Einen Aufnahmestopp zu verhängen, ist in den staatlichen Heimen allerdings weder möglich noch erwünscht.


Aus Kinderarbeitern werden Schulkinder

In der Realität kehren viele Kinder freiwillig auf die Straße zurück. Sie wollen zurück zu ihren Familien und Freunden, von denen sie getrennt wurden. Verlassen von allem, was sie kennen, büchsen sie bei erster Gelegenheit wieder aus. Dann werden sie wieder aufgegriffen, ins Kinderheim gebracht und rennen erneut davon. Es ist eine aussichtslose Endlosschleife.

Die Rettungsaktionen laufen trotzdem weiter. Ich frage mich, ob die wenigen nachhaltigen Erfolge den ganzen Aufwand wert sind. Doch jedes Kind zählt, oder?

*Name von der Redaktion geändert

 

Text: Marie Graef
Fotos: Marie Graef

 

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