Haiti, Sri-Lanka oder Jamaika – Traumreiseziele für uns. Für Einheimische lebt es sich in unseren Urlaubsparadiesen oft buchstäblich unmenschlich: Das dokumentiert der just erschienene Menschenrechtsreport von Amnesty International. Darf ich dort trotzdem meinen Urlaub genießen? Wie kann ich helfen? Fragen an die Chefin von Amnesty International Deutschland, Selmin Çaliskan.
09. July 2013 - 12:07 SPIESSER-Autorin Gluemylips.
SPIESSER: Der neue Report beschreibt die menschenrechtliche Situation in 159 Ländern. Kehren wir erst einmal vor der eigenen Haustür. Wie sieht es in Deutschland in Sachen Menschenrechten aus?
Çaliskan: Ein Problem ist der Einsatz von Polizeigewalt in Deutschland. Dazu haben wir eine Kampagne gestartet. Es wäre ein großer Fortschritt, würde es eine Kommission geben, die jeden Vorwurf von rechtswidriger Polizeigewalt unabhängig aufklärt.
Also müssen wir auch in Deutschland wachsam sein. Beliebte Urlaubsziele wie die Türkei oder Marokko haben im Report auch nicht gut abgeschnitten. Wie handele ich bei so einer Reise korrekt?
Urlaub ist für uns ein schöner Luxus. Aber man darf nicht die Augen verschließen. Stichwort Sextourismus: Wenn ich merke, dass so etwas in meinem Hotel stattfindet, sollte ich mich an den Betreiber oder Reiseveranstalter wenden. Denn jeder Reiseveranstalter hat die Verantwortung, die Menschenrechte zu achten. Es ist wichtig, eine Öffentlichkeit zu schaffen. 2009 sollte in Kambodscha ein riesiger Hotelkomplex entstehen. Rund 160 Familien hätten ihre Unterkunft verloren. Durch Protestaktionen konnten wir das verhindern. Auch Wasserknappheit ist in vielen Ländern ein Problem und kann durch Tourismus verschärft werden. Über solche und andere Probleme kann man sich vorher erkundigen.
Menschenrechtskämpfer
Amnesty International kämpft seit 1961 für Menschenrechte. Die weltweit größte nicht-staatliche Menschenrechtsorgani-sation mit Sitz in London hat dafür 1977 sogar den Friedensnobelpreis erhalten. Amnesty setzt sich für die Einhaltung der Menschenrechte wie Gleichberechti- gung, Freiheit, Respekt, geistige und körperliche Unversehrtheit für den Einzelnen ein. Aber auch für Projekte in der Entwicklungshilfe. Dies geschieht vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch Lobbyarbeit und Kampagnen. Ihr kennt sicher Unterschriftenaktionen für politische Gefangene. Selmin Çaliskan leitet und koordiniert die Arbeit von Amnesty in Deutschland und vertritt die Organisation nach außen. Die 46-Jährige bringt dafür das passende Rüstzeug mit. Sie hat bereits für verschiedene Frauenrechts-, Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisationen in Afrika und Asien, unter anderem in Afghanistan, gearbeitet. Sie selbst sieht sich als „Verteidigerin der Menschenrechte“.
Was kann ich als Reisender denn gegen Menschenrechtsverletzungen konkret tun? Ihr habt festgestellt, dass in 112 von 159 untersuchten Ländern im vergangenen Jahr wurde gefoltert wurde.
Zum Beispiel sich auf unserer Amnesty Website über die Länder informieren und unser Engagement unterstützen mit einer Unterschrift. Gegen Folter, Todesstrafe und Diskriminierung kann jeder etwas tun.
Sie waren selbst als Entwicklungs- und Menschenrechtshelferin in Afrika und Asien unterwegs. Nutzen auch Touristen prekäre Menschenrechtslagen aus?
Beispielsweise in Liberia gibt es eine massenhafte Ausbreitung der Prostitution. Das war dort Alltag. Das hat mir den Atem verschlagen. Prostitution am Strand und überall sonst war Normalität. Sie wurde hingenommen. Vor allem Frauen aus der unteren Armutsschicht gelangen in die Prostitution. Ihre Freier sind Touristen, Businessmänner aus dem arabischen Raum oder UN-Soldaten. Ich kann nicht oft genug sagen, dass man davor nicht die Augen schließen darf. Die Frauen prostituieren sich häufig nicht freiwillig, sondern unter Zwang. Manchmal sind sie sogar Opfer von Menschenhändlern.
Wie verhalten Sie sich dann selbst, wenn Sie in ein Land reisen, indem Menschenrechte verletzt werden?
Es kommt auf die Gefährlichkeit der Situation an. Ich bin eine Einmischerin. Ich schreite aktiv ein, wenn ich sehe, dass etwas nicht stimmt. Aber natürlich nur, wenn es nicht zu gefährlich ist und ich nicht in gewalttätige Aktionen verwickelt werde.
Menschenrechte weltweit
Wer von euch Menschenrechtsver-letzungen genau so wenig hinnehmen will wie Selmin Çaliskan, der kann sich schon mal mit dem Menschenrechts-report 2013 informieren. Hier findet ihr alles über die Lage der Menschenrechte im Jahr 2012 – egal ob in Afrika, Europa, Asien, Amerika oder Ozeanien und natürlich hier in Deutschland! Wir verlosen zehn Exemplare an alle Menschenrechtsfreunde.
Aber viele Jüngere sind nicht der Einmischer-Typ. Was macht man dann?
Wenn man eine Menschenrechtsverletzung beobachtet, sollte man stehen bleiben. Man sollte Fragen, was da los ist. Man kann auch die Polizei um Hilfe rufen, das ist aber abhängig vom jeweiligen Land. Infos dazu gibt es genug im Internet.
Stellt sich zum Abschluss die Frage, in welchen Ländern die Menschenrechte denn am massivsten verletzt werden. Kann man dorthin überhaupt noch reisen?
Amnesty macht keine Rankings von Platz eins bis 159. Wir wollen eine umfassende Darstellung der Menschenrechtslage veröffentlichen und so Information für jeden ermöglichen. Man kann auch nicht pauschal sagen, sie sind in diesem oder jenen Land massiver. Menschenrechtsverletzungen müssen nicht zwingend massenhaft in einem Land sein, aber die Schwere des Verstoßes bleibt. Es geht dabei schließlich auch um Menschen und deren Schicksale. Ob man dann in ein Land wie Nordkorea reist muss jeder für sich selbst abwägen und moralisch vertreten
Wenn wir genau überlegen, sind sie Werte, für die es sich lohnt sich täglich einzusetzen.
Wirtschaftswachstum, Neo-Liberalismus, Sozialismus, Konservatismus, Kommunismus sind verlorene Werte, hinter die wir nicht mehr hinterher Hecheln müssen. - Menschenrechte dagegen sind von den meisten Staaten verbürgte Werte, an die sich aber leider niemand hält: "Recht auf Leben", "Recht auf Asyl", "Recht Frei von Folter", "Recht auf Gleichbehandlung", "Recht auf (Trink)Wasser", "Recht auf Nahrung", "Recht auf freies Reisen", "Recht auf Meinung", "Recht auf Bildung", "Recht auf Urlaub und Erholung", ...
Um so wichtiger ist es, dass sich jeder von uns mit seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten für die Menschenrechte sich täglich einsetzt, unabhängig vom eigenen Prestige oder Ansehen.
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