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Coming Of Age – Folge 2

Das Kennenlernseminar oder Ist Elitenförderung ein Dienst an der Menschheit?  

22. July 2014 - 08:36
von SPIESSER-Autorin pippi.langstrumpf.
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pippi.langstrumpf Offline
Beigetreten: 28.03.2014

Das Kennenlernseminar

oder

Ist Elitenförderung ein Dienst an der Menschheit?

 

 

Mit klammen Fingern sitze ich im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe auf meinem Koffer und warte auf den kleinen Bummelzug, der mich nach (Moment, schnell nochmal nachschauen) Felsberg-Gensungen bringen soll. Es ist ein klarer Donnerstagvormittag im März, und ich bin auf dem Weg zu meinem ersten Assessment-Center. 

Jedenfalls stelle ich mir das „Kennenlernseminar“, zu dem ich vom Internationalen Bund eingeladen wurde, so vor: Zwanzig Musterschüler, eingepfercht in ein Pfadfinder-Vereinsheim (oder wo immer auch Pfadfinder ihre Zeit verbringen, wenn sie nicht Pfade finden), werden gezwungen, wieder und wieder ihre Liebe zur Menschheit zu beteuern, während sie bei kaltem Früchtetee und angebrannten Spaghetti die Frage „Warum möchte ich einen internationalen Freiwilligendienst ableisten?“ beantworten müssen – zwanghaft bemüht zu verbergen, dass es jedem einzelnen eigentlich nur um eine Schönheits-OP für den Lebenslauf geht. 

Auch ich habe beschlossen, mir in der Hinsicht nichts vorzumachen. So sehr ich auch nach der Mutter Theresa in mir forsche, der „unbändige Wunsch, Gutes zu tun“ (O-Ton einer Mitbewerberin. Die hat sich wohl auch auf eine Prinzipienprüfung vorbereitet) stellt sich einfach nicht ein. Sicher, die Welt retten wollte ich auch schon immer, nur: Wenn’s geht nicht sofort. Aber was soll man schon groß anfangen mit seiner Zeit? Für das Studium zu jung, für einen High-School-Aufenthalt zu reifegeprüft – ein sogenanntes „Gap Year“ scheint perfekt, um das unerfahrene Ding in ein wertvolles Vernunftwesen zu verwandeln. Und obwohl mir der Lebenslauf im Moment nicht gleichgültiger sein könnte, habe ich doch das Gefühl, dass „was dazwischen“ einfach dazugehört. Studieren kann ja schließlich jeder.

Trotz dieser Einsicht hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich die Richtung meines „was dazwischen“ eingeschlagen habe: Am letzten Tag der Online-Frist habe ich mich beim „IB VAP“ (Internationaler Bund, Volunteer’s Abroad Programs) beworben mit dem Versprechen, alle angeforderten Unterlagen so schnell wie möglich nachzusenden. Eine Woche lang bin ich wie eine Irre durch die Gegend gerannt, um Referenzen, Bescheinigungen und Zeugnisse einzusammeln, bis ich schließlich einen Bewerbungspacken losschicken konnte. Der Wunsch: Ein Jahr als Freiwillige an einer Deutschen Schule in Mailand – oder in der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz. Um diesen Freiwilligendienst zu ergattern, bin ich bereit, wenn nötig das Blaue vom Himmel herunter zu lügen. Gutmenschentum, ich komme!

Ein paar Stunden später muss ich zu meiner Überraschung feststellen, dass ich mich in den Veranstaltern dieses Kennenlernseminars gründlich getäuscht habe. Weit und breit keine Konkurrenz-Stimmung – vielmehr fühle ich mich wie auf meiner eigenen Konfi-Freizeit. Nach einem gemeinsamen Essen wird in einer großen Runde besprochen, was wir uns vom Seminar und unserem Dienst erwarten, welche Eigenschaften wir mitbringen und wovor wir Angst haben. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Betreuer und „Teamer“ ernsthaft dafür interessieren, was die Bewerber zu sagen haben – mehrmals wird betont, dass bei diesem Treffen größter Wert auf Authentizität und Ehrlichkeit gelegt wird. „Es bringt nichts, wenn ihr euch hier verstellt“, stellt die Hauptverantwortliche gleich zu Anfang klar. „Ihr müsst euch hier nicht verkaufen, sondern ihr seid da, um ein Projekt zu finden, dass möglichst gut zu euch passt. Und dafür müssen wir wissen, wie ihr seid.“ Meine Erleichterung und Begeisterung steigt schlagartig – authentisch kann ich seit der Wiege.

So wird das Wochenende denn auch wesentlich lustiger als angenommen: Zwischen den sehr intensiven Arbeitsrunden spielen wir Twister, unterhalten uns über das bevorstehende Abitur (von zwanzig Freiwilligendienstbewerbern stehen neunzehn am Ende des Gymnasiums – erstaunlicher Zufall oder traurige Wahrheit?) und kochen gemeinsam. Die Selbstreflexion, die von den Bewerbern verlangt wird, ist interessant und unterhaltsam, schlaucht jedoch auch ganz ordentlich. Mehr als einmal gehe ich mich hochroten Ohren vor die Tür, um mir im Märzregen ein bisschen das Gehirn durchpusten zu lassen und darüber klar zu werden, was ich denn nun will von diesem „Jahr dazwischen“. Bin ich geeignet für die Arbeit, die von mir verlangt wird? Kann ich mir vorstellen, ein Jahr im Ausland zu verbringen? Und stimme ich mit der Vereinsphilosophie des Internationalen Bundes so weit überein, dass ich mich in die Hände der Verantwortlichen begeben möchte?

Die letzte Frage beantwortet sich recht schnell für mich: Ich bin begeistert von der Offenheit und Diskussionsfreudigkeit der Runde. Gleich am ersten Abend wird die Frage aufgeworfen, wem ein Freiwilligendienst denn nun diene. Mache ich die Welt tatsächlich zu einem besseren Ort? Oder bin nicht vielmehr nur ich selbst diejenige, die von diesem Jahr profitiert? Ziemlich unmissverständlich wird uns klargemacht: Letztendlich ist es nicht viel mehr als ein Lerndienst, primär zu unserer Entwicklung gedacht. Elitenförderung also. Stimmt das denn überein mit dem Wunsch, etwas Sinnvolles und Gutes zu tun?

Am Ende des Wochenendes habe ich nicht nur eine Entscheidung über meine Zukunft (ich werde mich für die Stelle in der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz bewerben), sondern auch bezüglich dieser Frage getroffen: Ja, ich kann diese „Elitenförderung“ mit meinen Prinzipien vereinbaren. Ich habe als Weltbürger die Pflicht, ein Potenzial auszuschöpfen und die mir gegebenen Möglichkeiten zu nutzen. Ich glaube nicht, dass ich dadurch ein besserer Mensch werde oder die Welt ein schönerer Ort. Aber es reicht mir schon, wenn ich sagen kann: Ich habe meine Zeit nach dem Abi nicht verschwendet.

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