nun haben wir es also geschafft. Nach mehr oder weniger zwölf Jahren Schule steht der Abiturjahrgang 2014 nun also an der Schwelle zum Erwachsensein – und Ihnen, Eltern und Lehrern, fällt bestimmt ein gewaltiger Stein vom Herzen: Endlich keine Dramen mehr vor Klausuren, keine GFS-Vorbereitungen und keine hastig hingekritzelten Entschuldigungen, die unterschrieben oder eingetragen werden müssen. Zumindest bis der nächste Abiturjahrgang dran ist, zumindest, bis das Kind an die Uni geht. Verschnaufpause.
Und wir? Wir sind die Superhelden, die jetzt so langsam losfliegen. Wir dürfen endlich raus, sollen die Welt entdecken und sie wenn möglich auch noch retten. Sollen etwas aus uns machen, etwas schaffen und am besten dabei auch noch glücklich werden. Ja, aber – geht das denn überhaupt? Sind wir nicht „Generation Stubenhocker“, die neuen Spießer, die unfähigen Langweiler?
Ich möchte uns und Ihnen zu diesem Thema ein Zitat mit auf den Weg geben. Kein Zitat aus den kleinen gelben Büchern, sondern eins aus dem echten Leben – verfasst von einer jungen Dame, die ihre und unsere Generation sehr gut zu kennen scheint. Die Rede ist von Julia Engelmann, die Anfang des Jahres durch ein YouTube-Video schlagartig Berühmtheit erlangte. Sie trägt in diesem Video bei einem Poetry-Slam ein Gedicht vor, das angelehnt ist an Asaf Avidans Hitsong „One Day“ und über Nacht die Herzen der Netzgemeinde eroberte. Julia Engelmann beschreibt folgendes Lebensgefühl:
ich denke zu viel nach. ich warte zu viel ab
ich nehm mir zu viel vor, und ich mach davon zu wenig
ich halt mich zu oft zurück, ich zweifel alles an
ich wäre gerne klug - allein das ist ziemlich dämlich
ich würd gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still, weil
wenn ich das alles sagen würde, wär das viel zu viel
ich würd gern so vieles tun, meine Liste ist so lang, aber
ich werd eh nie alles schaffen, also fang ich gar nicht an
stattdessen häng ich planlos vorm Smartphone,
wart bloß auf den nächsten Freitag
„ach, das mach ich später!“ ist die Baseline meines Alltags
ich bin so furchtbar faul, wie ein Kieselstein am Meeresgrund
ich bin so furchtbar faul, mein Patronus ist ein Schweinehund!
unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf,
unser Dopamin, das sparn wir immer, falls wir’ nochmal brauchen
und wir sind jung und haben viel zeit, warum solln wir was riskieren?
wir wolln doch keine Fehler machen, wolln auch nichts verliern
und uns bleibt so viel zu tun, unsre listen bleiben lang
und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land.
Das ist ein ganz schön düsteres Bild, das Frau Engelmann da zeichnet. Ist es denn wirklich so schlimm um uns bestellt? Manchmal möchte man sagen: Ja, leider. Es gibt aber auch Tage, an denen das ganz anders aus sieht: Tage, an denen man wieder an sich und die Menschheit glauben will. Momente, in denen alles ausnahmsweise so läuft, wie es soll. Und Orte, an denen man das Gefühl hat, dass noch nicht alles verloren ist bei dieser Jugend. In den vier Jahren, die ich an dieser Schule verbracht habe, erschien mir diese Schule als ein solcher Ort. Was haben wir nicht alles erlebt hier: U-Discos, Exkursionen, Kuchenschlachten im Matheunterricht. Eine Schulband, die vom Dach aus Weihnachtslieder spielt, und einen Physiklehrer, der die Schwerkraft im Handstand besiegt. Sogar eine parlamentarische Monarchie hatten wir – mit allem Drum und Dran, inklusive Inflation.
Wenn es neben dem Elternhaus eine Institution gibt, die junge Heranwachsende prägt und sie auf das Leben vorbereitet, dann ist es sicher die Schule. Und wir, die Superhelden von morgen, haben es hauptsächlich den Superhelden von heute zu verdanken, wenn wir ab morgen die Welt erobern. Diese Superhelden fallen uns auf den ersten Blick oft gar nicht auf, tun aber umso mehr Wunder: Es sind Lehrer, die mit endloser Geduld eine Frage auch zum zigsten Mal beantworten, Hausmeister, die zu jeder Zeit jede Tür aufschließen, und Sekretärinnen, die auch dann noch freundlich und hilfsbereit sind, wenn man kurz vorm Wochenende noch „ganz dringend ein paar Sachen kopieren“ muss.
Aber auch Eltern können unsere Superhelden sein: Wenn sie uns nach einem langen Tag doch mal schnell von der Schule abholen. Wenn sie zähneknirschend bestätigen, dass der liebe Sohn-Schrägstrich-die liebe Tochter wirklich und wahrhaftig am Freitag vor den Osterferien Kopfschmerzen hatte. Und wenn sie in der Nacht vorm Matheabitur noch und noch beteuern, dass Mathe eigentlich wirklich überbewertet wird.
All diese Superhelden haben uns darauf vorbereitet, in der echten Welt zu überleben. Dank ihnen sind wir gewappnet, dem düsteren Bild von der „Generation Smartphone“ entgegenzutreten, und ihnen sind wir es auch schuldig. Und so möchte nicht mit den eigenen, sondern noch einmal mit den Worten Frau Engelmanns enden – ich bin mir sicher, dass sie meine Wünsche für uns alle besser ausdrücken können als irgendein betulicher Spruch.
lass mal an uns selber glauben. ist mir egal ob das verrückt ist
und wer genau guckt, sieht, dass Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist
und wer immer wir auch waren: lass mal werden wer wir sein wollen
wir haben schon viel zu lang gewartet, lass mal dopamin vergeuden
lass uns möglichst viele Fehler machen
und möglichst viel aus ihnen lernen
lass uns jetzt schon gutes säen damit wir später gutes ernten
lass uns alles tun, weil wir können und nicht müssen,
weil jetzt sind wir jung und lebendig
und das soll ruhig jeder wissen
und unsre zeit, die geht vorbei, das wird sowieso passieren
und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren
denn das leben das wir führen wollen, das können wir selber wählen
also, los! schreiben wir Geschichten, die wir später gern erzählen.
Ich danke Ihnen.
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woraus ein Musikvideo zu meinem Song LIMITS entstanden ist:
https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
Bei meinem letzten Sturz fiel ich in Kunst hinein:
[Bild:1]
Viel Spaß
mxk
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