Ausreiserin Lina macht sich auf den Weg ins portugiesische Studentenleben.
Mein Plan mit dem Zug nach Portugal zu reisen, erntet bei meiner Familie Gelächter. 30 Stunden Fahrt für eine wie mich – unmöglich. Unter Verwandten bin ich als Zappelphillipp verschrien, der keine fünf Minuten stillsitzen kann. In meiner Kindheit spielten Opa und ich deshalb manchmal „Stillliegen“. Wer zehn Minuten ohne Hampelei auf dem Sofa entspannte, bekam eine Tafel Schokolade. Es blieb ein zahnfreundliches Spiel für mich.
Zügig unterwegs?
Warten auf Zug Nummer eins von acht.
Seitdem sind 15 Jahre vergangen und ich bin Meister im Nichtstun. Meine Dozenten wissen das – nur meine Familie braucht offenbar noch Beweise. 30 Stunden Meditation im Zug sollten dazu genügen. Im Vergleich zur Anreise mit dem Flugzeug spart die Fahrt mit der Bahn außerdem 500 Kilo CO². Zwar kostet das Interrail-Ticket mit 175 Euro etwas mehr als ein Flug, dafür bleibe ich flexibel. An fünf Tagen darf ich den Reisepass nutzen um die 1960 Kilometer bis Porto hinter mich zu bringen. Euphorisch steige ich in Zug Nummer eins von acht.
Magdeburg – Stuttgart: 9h
Da mein Global-Pass erst im Ausland gilt, will ich die Fahrt dorthin so günstig wie möglich halten. 9 Stunden Regionalbahn sind dabei kein Hindernis. Dreimal Umsteigen mit 26 Kilo Gepäck verbuche ich als körperliche Ertüchtigung, dazwischen habe ich endlich Zeit für mich. Die ersten Stunden vergehen wie im Flug. In Zug Nummer drei fällt dann die Klimaanlage aus. Draußen ist Sommer, das Abteil verwandelt sich in eine Sauna – nur ohne Kiefernduft. Der Wutbürger in mir rührt sich. Aber ich bin ja jetzt gelassen…
Stuttgart – Paris: 4h
Rausche mit über 200 km/h Richtung Frankreich. Genieße die Ruhe und die Aussicht – und die Ruhe natürlich. Beiße alle halbe Stunde von meinem Sandwich ab. Freue mich über meine Freude an kleinen Dingen. Schreibe meinen Eltern eine triumphierende SMS in der ich behaupte, die Ruhe hier im Zug würde mir echt gut tun.
Paris – Irun: 6h
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Eine Provokation. Mein Sitznachbar steht pausenlos auf – zum Telefonieren, Pinkeln, Telefonieren, Essen kaufen, Telefonieren… Der Mann gefährdet mein Projekt entspannter zu werden. Biete ihm eine Tafel Schokolade, damit er zehn Minuten stillsitzt.
Irun – Coimbra: 10h
Nehme den Nachtzug nach Portugal. Lehne mich entspannt zurück, schließlich lässt sich mein mit popelgrünem Stoff bezogener Sitz ganze zehn Zentimeter zurückklappen. Draußen taucht der Mond Olivenhaine in silbriges Licht. Drinnen schaut mein Sitznachbar Fast and Furious bei voller Lautstärke. Ein zweiter schnarcht, ein dritter furzt. Zum Glück ist schon in der ersten scharfen Kurve die Zwischentür des Zuges aufgegangen, so dass ein stetiger Wind weht. Um das kuschelige Ambiente abzurunden, geht nach einigen Stunden die Neonbeleuchtung wieder an.
Coimbra – Porto: 1h
Ziel erreicht!
Fast am Ziel. Im Zug läuft eine Sendung über portugiesische Gerichte, mit denen ich mich gleich belohnen kann. Der Zug rollt in den Bahnhof. Fühle mich wie Tenzing Norgay auf dem Mount Everest. Steige aus und verstehe den Satz: „Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für mich“. Wer hätte gedacht, dass Entspannen so anstrengend sein kann.
Text: Lina Verschwele, Fotos: privat
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Zug fahren ist halt immer wieder eine der schönsten Erfahrungen. Umso länger umso besser. ;-)