Titelverteidiger

Abgehört: Horse Jumper of Love – „So Divine“

Indie-Rock wie Sirup, geprägt von dramatischen Harmoniewechseln: Das neue Album von „Horse Jumper of Love“ bietet tiefsinnige Lyrics, clevere Dynamik und viel Raum für Gefühle und eigene Interpretationen. Das Album erscheint heute, am 28. Juni, und SPIESSER-Autorin Helen hat exklusiv für euch reingehört.

04. July 2019 - 11:41
SPIESSER-AutorIn Helen16.
Noch keine Bewertungen
Helen16 Offline
Beigetreten: 02.01.2018

Wäre das neue Album „So Divine” von „Horse Jumper of Love“ keine Musik, sondern ein Teppich, den wir anschauen und mit den Fingern erfühlen könnten, wäre er eine Mischung aus dunklen, dünnen Fäden ohne Halt, einigen weichen, Geborgenheit spendenden, anderen in monotonen Grautönen und schließlich neonfarbenen, mit kratziger Kordel gewebten.

In dem neuen Indie-Rock-Werk der US-Band ist es genau diese Vielfalt des Klangteppichs, die das Album zu einem philosophischen Meisterwerk macht, das langsam, wie Sirup, fast hypnotisch vor sich hinfließt. Die Band um Gitarristen und Sänger Dimitri Giannopoulos lädt uns auf eine Reise zu unseren Erinnerungen ein, rauszufinden, wie wir zu ihnen stehen, im Bewusst- und Unterbewusstsein. Alle haben wir Erinnerungen, meist als Fetzen im leeren Raum, und wir können gar nicht anders, als Dinge hinzuzufügen, zu verändern, zu vergessen. Davon handeln auch die zu anfangs verwirrenden und unverständlichen Lyrics. Als Erinnerungssegmente fliegen sie durch die Musik, tauchen auf und ab und bilden schlussendlich eine bunte, teils verstörende und unbegreifliche Collage. Es sind die kleinen Alltags- und Nostalgiemomente, die die Band in ihren Liedern verarbeitet. So wird uns als Hörern viel Freiheit überlassen und Verantwortung gegeben, die Räume mit eigenen Gedanken und Erfahrungen zu füllen.

Indie-Rock für Philosophen

Die Vieldeutigkeit der Lyrics ist bei „So Divine“ allerdings nur zweitrangig, die wahre Arbeit machen die Harmonien und Dynamikwechsel teils im Hintergrund, oft jedoch auch in den Instrumentalteilen allein. Die sorgfältig zusammengestellten Harmonien sorgen für diese Achterbahn der Gefühle, die der Hörer erlebt und lassen die Fetzen zu einem Gesamtkunstwerk wachsen. Sie sind von Stimmungsschwankungen und Dynamikwechseln geprägt, die in Parallele zu Gedankensprüngen stehen: Musik so intensiv wie das wahre Leben auch.

 

 

In „So Divine“ stellen die drei Musiker aus Boston die Frage, was uns eigentlich zu dem Menschen macht, der wir sind. Was ist es, dass unsere Persönlichkeit formt? Wie können wir damit umgehen, dass Erinnerungen von Momenten, die einst prägend waren, über die Zeit ihre Bedeutung verlieren und wir ihnen eine neue geben? Diese Frage spiegelt sich auch im Namen der Band wider: „Horse Jumper of Love“ ist eine übersetzte lateinische Phrase, die mit der Zeit ihre Bedeutung komplett verloren hat. In ihrem Song „Nature“ kommen sie zu dem Schluss, dass all diese Prozesse „too visceral“, zu instinktiv und emotional sind, um sie überhaupt beeinflussen zu können.

Besonders heraus sticht für mich außerdem die Anordnung der Songs auf dem Album. Man fühlt sich tatsächlich, als nehmen „Horse Jumper of Love“ uns mit auf eine Entdeckungsreise. Zu Anfang sind die Harmoniewechsel noch nicht so krass, die Stimmung ändert sich nicht so plötzlich und gibt uns Zeit, uns einzugewöhnen. In der Mitte des Albums bietet „Twist cone“ einen reinen Instrumentalteil, der sich anhört wie das Geräusch der Gedanken und uns noch einmal durchatmen lässt, bevor es intensiver wird. Der letzte Track „Heaven“, wieder ohne Lyrics im Vordergrund, gibt uns Raum, das Album mit unseren eigenen Gedanken abzuschließen. Durch diesen Prozess erklärt sich vielleicht auch der Titel des Albums: „So Divine“, „so göttlich“ oder „so himmlisch“ könnte heißen, dass unsere Persönlichkeitsbildung über unser Verständnis hinausgeht oder aber auch, dass gerade diese kleinen Erinnerungsfetzen – zusammengesetzt zu dieser großen Collage in unserer Psyche – etwas Himmlisches haben.

 

 

„So Divine“ ist eine wilde Mischung aus Emotionen, politischen Statements, philosophischen Fragen über unsere Existenz als Individuum und daher meiner Meinung nach nichts für zwischendurch. Dieses Album erfordert Aufmerksamkeit und auch ein bisschen Arbeit, es stellt eine Aufgabe an den Hörer. Nimmt man sich jedoch die Zeit, so ist „So Divine“ ein Schatz, fast wie ein Labyrinth, das jeder für sich selbst erkunden muss.

Ohrwurm: Poison
Hinhörer: Volcano
Album in drei Worten: Indie-Rock für Philosophen
Passt zu: einem verregneten Tag
Erinnert an: Cloakroom, Duster, Nothing

„So Divine“ von Horse Jumper of Love

 

 

: 28.06.2019
Label: Run for Cover Records

 

 

 

Text: Helen Pörtner
Teaserbild: Caitlin McCann

Dir gefällt dieser Artikel?

Kommentare

Und du so? Sag' uns, was du denkst!
Mehr zum Thema „Titelverteidiger
  • Pamina96
    Titelverteidiger

    Über den Mut, etwas zu ändern

    Die Hamburger Pop-Rock-Band Revolverheld veröffentlichten am 8. Oktober ihr sechstes Album „Neu erzählen“. SPIESSER-Autorin Fabienne hat mit Johannes Strate, dem Sänger der Band, in der Superbude St. Pauli über Neuanfänge, Zukunftsträume und den Reiz des Ungewöhnlichen

  • teaserette
    Titelverteidiger

    Abgehört: Marina – „Ancient Dreams in a Modern Land”

    Fans von Musicals und Freddie Mercury werden Marina lieben, wenn sie die Waliserin nicht ohnehin schon kennen: Ihre pompöse Stimme wird stets effektvoll inszeniert und ihre Songtexte triefen nur so von Coolness und von wichtigen Botschaften. Das findet sich auch in ihrem neuen Album “Ancient

  • Kathi99
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger:
    Monolink

    Zwischen Elektro und klassischen Singer-Songwriter-Ansätzen siedelt sich das neue Album „Under Darkening Skies“ von Monolink an. Sein zweites Album, das am 11.06. erschienen ist, entstand in einer Zeit der Ungewissheit, in der das Tempo der Veränderungen immer höher wird.

  • Kathi99
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Loi

    Erst war sie in der Fernsehshow „The Voice Kids“ zu sehen, jetzt singt sie Pancake Rezepte auf ihrem TikTok Kanal. Loi ist das neue, junge Gesangstalent aus der Nähe von Mannheim. SPIESSER-Autorin Katharina durfte nicht nur bei einem kleinen digitalen Konzert von ihr dabei sein, sondern

  • AnjaLukassek
    Titelverteidiger

    Abgehört: Stefanie Heinzmann – „Labyrinth”

    Zwei Jahre ist ihr letztes Album her - zahlreiche Preise und eine große Portion Selbstliebe waren das Ergebnis. Diese Energie bringt Stefanie Heinzmann auch in ihrem neuen Album “Labyrinth”, das am 14. Mai erscheint, zurück. SPIESSER-Autorin Anja hat für euch in das Album reingehört.

  • Kathi99
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Mighty Oaks - "Mexico"

    Bereits ein Jahr nach ihrem letzten Album veröffentlichen Mighty Oaks ihr neues Werk „Mexico“. Das vierte Album der Band setzt sich ehrlich mit schwierigen Themen auseinander, wie Sucht oder psychischer Gesundheit, aber auch mit Hoffnung und Liebe. Mehr zum Album erfahrt ihr im Interview

  • rasolara
    Titelverteidiger

    Abgehört: Provinz – „Wir bauten uns Amerika“

    Vier Jungs, die aus der Provinz in der Nähe von Ravensburg kommen – und sich das direkt mal zum (Band-)Namen gemacht haben. Am 17. Juli veröffentlicht das Quartett sein Debütalbum „Wir bauten uns Amerika“, SPIESSER-Autorin Lara findet's super.

  • rasolara
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Bruckner – „Hier”

    Bruckner – Das sind die Brüder Jakob und Matti, die ihre eigene Musik liebevoll als „verpeilten Pop“ bezeichnen. SPIESSER-Praktikantin Lara hat mit den beiden über ihr Debütalbum „Hier“ gequatscht, das am 26. Juni erscheint.

  • rasolara
    Titelverteidiger

    Abgehört: Black Eyed Peas – „Translation“

    Die Black Eyed Peas sind wieder da – und wie gewohnt sorgen sie für ordentlich Stimmung. Für knapp zwei Jahre war das Trio sozusagen von der Bildfläche verschwunden und kommt nun mit einem neuen Album zurück. SPIESSER-Praktikantin Lara hat vorab für euch reingehört.

  • Dominic
    Titelverteidiger

    Abgehört: Podcast – „Kopfsalat“

    Vor allem junge Menschen leiden heutzutage oft unter großem Druck und sind häufig von Depressionen betroffen. Da sie selbst, Angehörige und Freunde oft überfordert sind, ist es umso wichtiger, darüber zu reden. Genau das machen Sonja Koppitz und Sara Steinert in ihrem Podcast

  • strumpfmitloch
    5
    Titelverteidiger

    Abgehört: KYTES – „good luck“

    KYTES sind vier junge Männer. Sie machen Musik, die ein Lebensgefühl weckt. Sie weckt die Liebe zum Leben und macht sogar Liebeskummer erträglich. Ihr neues Album, das am 28. Februar erscheint, heißt: „good luck“. SPIESSER-Autorin Jana hat rein- und das Album in Dauerschleife gehört.

  • Noe_SB
    Titelverteidiger

    Abgehört: La Roux – „Supervision“

    Feuerrote Haare, orangene Lidschatten-Farbe bis zum Haaransatz. „Bulletproof“-Interpretin Elly Jackson aka La Roux ist zurück: Mit ihrer ersten veröffentlichten Single „International Woman of Leisure“ machte sie schon im November 2019 heiß auf die neue Platte.

  • StephieH
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Milky Chance – „Mind the Moon”

    Nachdem es in den letzten beiden Jahren beinahe still um Milky Chance wurde, haben sie am 15. November endlich ihr heiß ersehntes, drittes Album „Mind the Moon” herausgebracht! SPIESSER-Autorin Stephie hat mit Frontmann Clemens über die neuen Songs gesprochen.

  • Sofie Silber
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Max Herre – „Athen“

    „Hey, pass einfach auf. Auf dich, bei den Dingen, die du machst“, erklärt Max Herre im Interview über seine neue Platte „Athen“. Sein viertes Solo-Studioalbum erschien am 08. November. SPIESSER-Autorin Sofie hat sich vorab mit ihm über Selbsttäuschung, die

  • Individuot
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Faber – „I fucking love my life”

    Faber muss man aushalten können. Seine Texte fluchen, provozieren und stoßen nicht nur vor den Kopf, sondern tief in die Magengrube. So intensiv sind sie, weil sie clever sind und politisch und mit Melodien kombiniert werden, die zum schweißbadenden Zappeln förmlich zwingen. Am

  • teaserette
    Titelverteidiger

    Abgehört: queere Podcasts

    Während in den Neunzigern so ziemlich jeder ein Tamagotchi hatte, scheint es jetzt, als hätte jeder seinen eigenen Podcast. Aus der Nische heraus hat sich das Angebot so rasant vermehrt, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Und doch sind die wirklich bekannten Podcasts hauptsächlich

  • eis-am-stiel
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Joey Bargeld – „Punk is dead“

    Joey Bargeld bringt heute, am 13. September, sein erstes Album heraus und mixt darauf verschiedene Stile wie andere Leute Cocktails. SPIESSER-Autorin Anna hat Joey auf den Zahn gefühlt – welche Rolle Britney Spears für ihn spielt und zu welcher Musik er gut tanzen kann, erfahrt ihr im Interview.

  • mclovin
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Dominik Eulberg – „Mannigfaltig“

    Der Deutschlandfunk nennt ihn das gute Gewissen vom Westerwald. Seine Musik? Wird als Öko-Techno betitelt. Gemeint ist Dominik Eulberg, der neben seiner DJ-Karriere noch als Ökologe und Ornithologe arbeitet. Nach 8-jähriger Abstinenz veröffentlicht er mit „Mannigfaltig“

  • Miliane
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Mädness – „OG“

    Mädness ist auch solo wieder da. Auf „OG“ rappt er sich seine Vergangenheit von der Seele, ganz ohne Battlegegner. Oder wie er es formulieren würde: „Weg von den Feindseligkeiten, genug zu tun mit meiner eigenen Scheiße“. SPIESSER-Autorin Maxi hat mit ihm über

  • LeoOleo
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Grossstadtgeflüster - „Trips & Ticks“

    Heute, am 16. August, bringen Grossstadtgeflüster ihr sechstes Album raus, mit dem sie Anfang 2020 auch auf Tour sind. Mit Kippe auf der Couch gefläzt, beantwortet Leadsängerin Jen Track-für-Track-Fragen von SPIESSER-Autorin Leonie.

  • Mitdenkerin
    Titelverteidiger

    Abgehört: Die Orsons – „Orsons Island“

    Willkommen zum Showreel für Entwicklungspsychologie. Mit dem neuen Album „Orsons Island“ beweist das innovative HipHop-Quartett mal wieder, dass sich ihre Musik in keine Schublade stecken lässt: durchdringende Bässe und sanftes Wellenrauschen, high-pitched voices und akkustische

  • Thomas Alb
    Titelverteidiger

    Abgehört: Andy Grammer – „Naïve“

    Andy Grammer ist wohl einer der talentiertesten Songwriter und Sänger des Pop-Genres. Dass er in Deutschland noch nicht so bekannt ist, wie in seiner US-amerikanischen Heimat, kann sich schnell ändern. Das neue Album „Naïve“, erscheint heute am 26. Juli, liefert einen Ohrwurm

  • VanessaJason
    Titelverteidiger

    Abgehört: Grizfolk – „Rarest of Birds“

    „Rarest of Birds“, das dritte musikalische Werk der Band „Grizfolk“ ist heute, am 19. Juli, erschienen. Diesmal verzichten sie auf elektronische Einflüsse und setzen dafür auf echte, organische Bandmusik. Wie die Musik auf SPIESSER-Autorin Vanessa wirkt, erfahrt ihr hier.

  • Miss_Sophia_
    Titelverteidiger

    Abgehört: Dope Lemon – „Smooth Big Cat“

    Zwei Jahren nach dem Erscheinen von „Hounds Tooth“ ist der Indie-Pop/Folks-Musiker Angus Stone mit seiner Band „Dope Lemon“ und einer neuen Platte zurück. Mit „Smooth Big Cat“ bleibt sich die Gruppe treu: Akustikgitarre meets Electric Beats. Das neue Album: Ein

  • heartbook
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Dapayk & VARS – „Streets and Bridges“

    Entspannte Beats und melancholische Vocals – eine reizvolle Mischung, die Niklas Worgt alias Dapayk und Timo Mitsch alias VARS da in ihrem gemeinsamen Electro-Projekt „Streets and Bridges" verwirklichen. Das Debutalbum erscheint heute, am 05. Juli. Vorab unterhielten sich die beiden mit SPIESSER-Autorin

  • Em
    Titelverteidiger

    Abgehört: Alex Mofa Gang – „Ende Offen“

    Alex Mofa – eine fiktive Person die fünf Berliner in einer Band vereinen. Das neue Album der Punkrockband „Ende offen“ – hymnisch, elektrisch energiegeladen und laut – erscheint heute, am 21. Juni. SPIESSER-Autorin Ema hat exklusiv für euch reingehört.

  • Daniel_Butt
    Titelverteidiger

    Abgehört: Alle Farben – „Sticker On My Suitcase“

    Mit seinem dritten Album „Sticker On My Suitcase” meldet sich der Berliner DJ ALLE FARBEN zurück. Die Reiselust packt einen nur bedingt, dafür eignen sich die 16 Tracks super zum Abzappeln am Strand – egal ob in Thailand oder am Bodensee.

  • Valentina Schott
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Fatoni – „Andorra“

    „In unserer Generation ist es normal, noch keinen fertigen Lebensentwurf aus der Tasche zu zaubern“, erklärt mir Fatoni im Interview über seine neue Platte „Andorra“. Die erscheint morgen, am 7. Juni. „Manchmal ist es besser, wenn man nicht einem starren Konzept

  • thisismaxi
    Titelverteidiger

    Titelverteidiger: Neufundland – „Scham“

    Die Band aus Köln brachte vergangenen Freitag, am 31. Mai 2019, ihr Album „Scham“ raus. SPIESSER-Autor Maximilian hat sich mit Fabian über die neuen Songs ausgetauscht.

  • Miliane
    Titelverteidiger

    Abgehört: Podcast – „Muss das sein?“

    Es gibt Neuigkeiten in der Podcast-Landschaft. Die Youtuber Mirella und Flo sprechen in der neuen Spotify-Eigenproduktion „Muss das sein?“ über Dinge, die wir (vielleicht doch nicht) müssen, Weltbewusstsein und die Probleme ihrer Generation. SPIESSER-Autorin Maxi hat die beiden interviewt.