Wer bitte geht freiwillig schießen? SPIESSER-Autorin Thuy hat sich dem Härtetest unterzogen und sich als Schützenkönigin in spe versucht. Von Haltungsfragen, Konzentrationsangelegenheiten und Seniorenklassen.
Aufgeregt stehe ich vor dem Schild am großen, sandgelben Schützenhaus in Leipzig Thekla. „BRAUCHTUM. HOBBY. SPORT.“, steht da geschrieben an der Wand. Ich suche die Tür nach der Klingel ab. Mir schwirren tausend Dinge durch den Kopf: Ein Fuchs im Robin Hood-Stil springt durch den Wald, schießt mit Pfeil und Bogen um sich und ist Beschützer der Hungrigen. Heute werden sicherlich keine Füchse durch den Wald hopsen, wie einst im Disney-Klassiker, zumindest nicht mit Pfeil und Bogen.
Hier stehe ich also und weiß nicht, was mich auf der anderen Seite des Gebäudes erwartet. Vom Vogelschießen hab' ich Mal gehört, aber ich bin eigentlich nicht so scharf drauf, auf meine Flatterfreunde zu zielen. Mir wird ganz mulmig. Apropos Schießen: Wie gefährlich das ist, muss mir niemand sagen.
Was man alles mit einem Gewehr anrichten kann, weiß ich aus den Nachrichten. Mit leichten Bauchschmerzen gehe ich es an: Ich will herausfinden, inwiefern ein Schützenverein tatsächlich für Brauchtum, Hobby und Sport steht, so wie es die Wand verspricht.
Zielen, schießen, Zehn. Geht doch!
Es kann losgehen. Eine junge Frau führt mich durch das Haus, in dem alles traditionell aus Holz ist. Dann stehen wir auf der Zehn-Meter-Anlage. Vorsitzender und dreimaliger Schützenkönig Bernd Köth überreicht mir ein Luftgewehr, weist mich in die Grundregeln ein und zeigt, wie es aussehen soll. Seitliche Schrittstellung. Feste Haltung. Einatmen. Ausatmen. Zielen. Schießen. Zehn treffen. Gewehr absetzen. Entspannen. Klingt doch ganz einfach. Ich nehme schon mal die richtige Haltung ein. Moment mal, dieser winzige Punkt in der Mitte der Zielscheibe soll die Zehn sein? „Genau, der Durchmesser des Kreises ist ungefähr einen halben Millimeter groß“, reagiert Herr Köth. Die Scheibe wird per Seilzug-Automat nach hinten gezogen. In der Zwischenzeit schraubt mein Trainer ein metallenes, eckiges Etwas hoch. Darauf kann ich den Lauf des Gewehrs abstützen. „Normalerweise müsstest du ohne Ablage schießen. Die ist eigentlich nur für die Älteren gedacht. Die Seniorenklasse“, fügt er hinzu. Brauch' ich nicht, denk' ich mir und hebe das Gewehr von der Ablage.
Wums! Die Gravitationskraft arbeitet gegen mich und zieht den Lauf nach unten. Mit etwas Schwung setze ich den Lauf wieder auf. Konzentration. Ich schaue durch eine kleine Scheibe und visiere den Mittelpunkt an. Zehn Meter können ganz schön lang sein. Ausatmen. Schon wieder ist der Punkt weg. Ich suche ihn erneut. Okay, jetzt bloß nicht Luft holen. Ich führe meinen Zeigefinger langsam zum Abzug. Peng!
Ich zucke zusammen. Was, schon vorbei? „Der Schuss ist schon erfolgt, bevor du richtig abgedrückt hast“, meint Bernd Köth. Wir holen die Zielscheibe wieder ein und mein Blick schweift über die Ringe auf der Suche nach einem Treffer. Nichts.
"Ist ja noch schwerer als das Gewehr!"
Als könnte er meine Gedanken lesen, überreicht er mir das geladene Gewehr: „Nochmal?“ Ich greife nach dem Gewehr und begebe mich in Position. Herr Köth verbessert meine Armhaltung und weiß, je länger man das Ziel anvisiert, umso wackliger wird man. „Es sollte eine Sache von Sekunden sein“, rät er mir. Okay, zweiter Versuch. Es wird ganz still um mich herum. „Bereit? Zielen, schießen, zehn!“ Ich schaue durch die Scheibe, ziehe meine Arme fest an mich ran und versuche den Punkt zu visieren. Da! Der Punkt! Peng! Die Scheibe wird über die Seile wieder eingeholt. „Eine Neun! Schon fast eine Zehn. Gut gemacht!“
„Was wünscht man sich eigentlich vor einem Wettkampf?“, will ich wissen. Bernd Köth klopft mir auf die Schulter und sagt: „Gut Schuss! Und bei wichtigen Wettkämpfen werden die Gewehre des Schützen von jemand anderem zum Startplatz getragen.“ An der Wand hängen Schützenscheiben mit allen möglichen Motiven. Eine riesige Tafel fällt mir ins Auge. „Königshaus“ steht drauf. „Das ist eine Chronologie der Schützenkönige und -königinnen sowie -prinzen und -prinzessinnen.“ Schützenprinzessin Thuy, denke ich. Das wäre was!
Der Tag geht zu Ende. „Dafür, dass du das noch nie gemacht hast, warst du ziemlich gut. Komm ruhig öfter mal vorbei.“ Als ich ihm zum Abschied die Hand gebe, ist mein rechter Arm vom Gewicht des Gewehrs noch etwas angespannt.
Ob Thuy bald auch mit im Königshaus
sitzt?
Das Königshaus ist durch Bernd Köth Tradition geworden. Auch sein Vater war schon Schützenmeister: BRAUCHTUM.
Die älteren Herren treffen sich auch heute noch gerne zum Kaffee. Das Alter spielt keine Rolle: HOBBY.
Wer fleißig trainiert, der schafft es bis ganz nach oben und wird vielleicht irgendwann mal Schützenkönig von Deutschland: SPORT.
Am Ende des Tages wird mir klar, beim Schützenverein geht es nicht ums Rumballern, sondern um Konzentration, Zielgenauigkeit und Ruhe. Vielleicht zieht es mich irgendwann mal wieder hierhin.
Text: Thuy Duong Nguyen
Fotos: Norbert Neumann
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