schon die Beziehung zu deinen Vorgängern war äußerst wechselseitig. Eine Mischung aus Freund und Feind, Liebe und Zweckbeziehung. Du aber bist anders. Ich habe jetzt, nach einem guten Monat reiflichster Überlegung, den Entschluss gefasst, dass ich dich definitiv nicht leiden kann. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.
An deinem Anfang stehen neue Machtkämpfe, eine neue Taktung von Zeit, die ich jetzt nicht mehr habe, sowie ein Wiedersehen mit all den Leuten, die man völlig vergessen und überhaupt nicht vermisst hat. Dazu kommen schultypische Begleiterscheinungen: ich schlafe zu wenig, esse zu schlecht, weil ich mit Fast Food, dem vor Fett und Missmut nur so triefendem, gesundheitsschädigendem Kram, kompensiere, was du an Frust in mir auslöst. Kurzum: Ich bin zu einem fahrigen, unausgeglichenem Motzkopf mutiert.
Alles an dir hat einen faden Beigeschmack. Jedes Mal, wenn ich mich zurücklehne und entspannt abschalte, meldet sich eine unheilvolle Stimme, die nur sagt: „Abi"!! Ich sollte lernen, auch wenn ich gar nicht so genau weiß wofür. Ich hatte Berufsberatung, Gespräche mit Freunden, Lehrern, Familie. Ich hab gegoogelt, Broschüren gelesen und Listen geschrieben, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass ich alles stinklangweilig finde, was realistisch und vernünftig ist. Ich mag nicht Politik oder Germanistik studieren, keine Brötchen verkaufen, Sekretärin werden. Ich mag Biologie und Chemie, Labore, Forschung. Was zischt, knallt, neu und unentdeckt ist. Formeln, Zeichen, Symbole. Das ist jawohl das Bescheuertste, was einem Sprachtalent auf den letzten Metern einfallen kann.
Mir macht das alles Angst. DU machst mir Angst! Dabei habe ich auf dich gewartet. Jahrelang geschwitzt und gezittert, um endlich bei dir zu sein. In meinem jugendlichen Idealismus wusste ich ganz genau, wie gut das mit uns beiden klappen würde. Ich kannte dein Resümee (≤ 2,5) und hab mich schon innerlich im Abiballkleid betrachtet. Ich wäre ein Jahr nach Amerika geflogen, um auf kleine Kinder aufzupassen und den Mann fürs Leben, beim Collegekurs für kreatives Schreiben, kennenzulernen. Anschließend hätte ich etwas mit Recht studiert. Was ich dann mit meinem Mann gemacht hätte, dafür hatte ich wohl als einziges keinen Plan. Und jetzt? Gar nichts ist so, wie es sein soll. Alles ist kompliziert und vorbelastet. Ich mag keine Kinder oder Paragraphen. Beim Gedanken an eine fünfzigseitige Ausarbeitung über A gegen B wird mir schlecht.
Zeit ist Mangelware Clara N./jugendfotos
Die Zeit rennt ! Ich kann mich nicht entscheiden, was ich will, und habe wirklich das Gefühl, ich sollte mehr Ahnung von alldem haben. Ich würde dir jetzt schrecklich gerne sagen, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als dich endlich los zu werden. Aber wir wissen doch beide, dass es nicht so ist.
Viele Grüße, Deine C.
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Super toll geschrieben! Du hast tatsaechlich ein Talent zum schreiben, wenn man das so voreilig sagen darf.
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Super toll geschrieben! Du hast tatsaechlich ein Talent zum schreiben, wenn man das so voreilig sagen darf.
"Lass dir Zeit! Erstmal Abi und dann weitergucken" sagen meine Lehrer immer gerne...