Vielen Menschen sind sich der Privilegien, die sie genießen, gar nicht bewusst – oder sie ruhen sich auf ihnen aus. Warum das gefährlich ist, zeigen nicht nur jüngste Ereignisse.
Musikstunde, Mittwochvormittag. Wir besprechen ein Lied des Rappers Samy Deluxe, genauer gesagt das Lied „Wer wird Millionär“. In dem Song kritisiert Samy Deluxe, dass nicht jeder Mensch die gleichen Chancen hat, an Bildung zu kommen, gerade die Menschen mit weniger Einkommen. An die Besprechung des Liedes schließt sich eine Diskussion an, mit der Frage, ob Bildung ein Privileg ist, ob jede und jeder gleiche Chancen in der Schule hat. Ist Bildung ein Privileg? In wie weit ist es vertretbar, wenn ein Mensch, der privilegiert ist und nicht in Sorgen aufgrund seiner finanziellen Situation leben muss, in einer Diskussion sagt, dass jede und jeder doch zur Schule gehen kann (und muss) und deswegen ja auch die gleichen Chancen in der Bildung hat? Was macht es mit uns, wenn wir nicht unsere Privilegien kritisch hinterfragen und einfach über andere Menschen hinweg denken, die diese Privilegien nicht genießen?
Ausruhen ist nicht mehr
Am Mittwochabend vor zwei Wochen schoss Tobias R. in der hessischen Stadt Hanau aus zutiefst rassistischen Motiven auf Menschen mit Migrationshintergrund. Daraufhin sprachen viele davon, dass dieser Anschlag ein „Angriff auf uns alle“ sei. Von einem „Angriff auf uns alle“ kann jedoch nicht die Rede sein, wenn eine solche Tat ein spezielles Ziel hat: Alle, die anders sind als Weiße, sollten eliminiert werden – wie es in dem Manifest des Täters sinngemäß stand. Dass also weiße Menschen nicht zur Zielscheibe solchen Hasses geworden sind, ist ein sehr bedeutendes Privileg. Menschen mit solchen Privilegien können wegschauen bei solchen Taten, sie ignorieren, da sie sowieso nicht zur Zielscheibe werden. Sie sind nicht gemeint. Wieso sollte ich denn jetzt aufstehen, wenn hier gerade jemand rassistisch beleidigt wurde, denken viele, habe ich schon selber oft gehört. Die Journalistin Dunja Ramadan schreibt dazu: „Doch wer gemeint ist, hört die Zwischentöne, verharmlost nicht, zieht die Botschaft nicht ins Lächerliche, sondern denkt an die möglichen Konsequenzen des Gesagten. Wer gemeint ist, hört nicht weg.“ Privilegierte können wegschauen, weil sie nicht gemeint sind, und können sich ausruhen. Das darf nicht sein!
Die Augen öffnen
Als privilegierter weißer, deutscher Jugendliche sehe ich es als meine Pflicht, aufzustehen, wo ich merke, dass andere benachteiligt werden, weil sie nicht die Privilegien haben, die ich genießen darf. Ich fühle mich schlecht, wenn ich mich auf meinen Privilegien ausruhe, sehe, was in der Welt passiert, aber mich nicht einschalte. Ich weiß, wie schlecht es anderen Menschen geht. In vielen Diskussionen, die ich als politisch Interessierter führe, scheinen Menschen gar nichts davon mitzubekommen, was es mit den Menschen macht, die sie in ihrem Wortbeitrag gerade beschrieben haben; häufig wird nur über andere Menschen gesprochen. Die mit dem Hauptschulabschluss, die nichts in ihrem Leben erreichen werden, die Migrantinnen und Migranten, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschen. Menschen benennen zu können und selber nicht benannt zu werden, ist ein großes Privileg und gleichzeitig eine gefährliche Angelegenheit. Wenn wir nämlich weiter Menschen benennen, statt sie als Individuen zu sehen, grenzen wir bewusst aus. Wir grenzen Menschen für Dinge aus, die wir nicht selbst erlebt haben und in deren Lage wir uns nicht versetzen können. Was für Ausmaße es nehmen kann, wenn Menschen ausgegrenzt werden, weil sie nicht dazugehören sollen, merken nicht wir, sondern andere.
Deswegen sollten wir Privilegierten aufstehen, uns an die Seite von denen stellen, die Ausgrenzung erfahren. Wir sollten unsere Privilegien kennen und uns mit ihnen kritisch auseinandersetzen, anstatt uns darauf auszuruhen. Wohin das führen kann, sehen wir immer wieder und wieder. Es ist Zeit, dass wir dagegen etwas unternehmen.
Text: Philipp Schröder
Teaser: Photo by Jon Tyson on Unsplash
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