12. März, Deutschabitur
oder
This Is The First Day Of My Life
„Meine Damen und Herren, wenn ich um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten dürfte.“ Herr Bonn, seines Zeichens stellvertretender Schulleiter, steigt auf einen Tisch und überblickt das Meer der gut hundert zu ihm hinaufstarrenden Schülerköpfe.
„Ich weiß, dass ihr alle ganz schrecklich aufgeregt seid. Dazu besteht allerdings überhaupt kein Grund, ihr wisst ja, wie das hier funktioniert. Jetzt geht bitte jeder in seinen Raum, schön der Reihe nach, und nimmt sich hier noch was Süßes. Ach, und vergesst um Gottes Willen morgen den Taschenrechner nicht!“
Ich bin ernüchtert. Dies also ist die große Ansprache vor der ersten Abiturklausur. Kein Wort von den großen Taten, die wir gleich vollbringen werden. „Dies ist der Augenblick, auf den ihr zwölf Jahre lang gewartet habt. Nun geht und macht euer Vaterland stolz!“ So in etwa hatte ich mir das vorgestellt.
Doch halt! Wir sind ja nicht in einem „Hanni und Nanni“-Roman und auch nicht im 19. Jahrhundert. Wir befinden uns im Jahre 2014 in einem gutbürgerlichen Gymnasium kurz vor Stuttgart – da muss ein bisschen Nüchternheit verziehen werden.
So bekämpfe ich denn die aufsteigende Nervosität mit „was Süßem“ vom Aufsichtstisch und trolle mich mit meinem Deutschkurs in den uns zugewiesenen Raum. Fünfeinhalb Stunden Büchner, Frisch und (würg!) Peter Stamm stehen auf dem Programm.
Als die gefühlt längste Klausur meines Lebens geschafft ist, habe ich zwar mehr gegessen (Tomaten-Mozarella-Sandwich, Schokokekse, eine halbe Schachtel Weintrauben und die unvermeidliche Yogurette) als geschrieben, bin aber Alles in Allem ziemlich zufrieden. „Die Hälfte von der Hälfte ist geschafft!“, versuche ich mich und meine etwas weniger euphorisch gestimmten Mitschüler aufzumuntern.
Doch in Wirklichkeit, so fällt mir später auf, waren diese fünfeinhalb Stunden viel mehr als nur die Hälfte der Hälfte. Soeben haben wir den ersten Teil unseres Abiturs hinter uns gebracht – das Leben fängt an! Zwar dauert dank des unglaublich sinnvollen Schulsystems, das wir hier in Baden-Württemberg genießen, immer noch gute drei Monate, bis wir das Zeugnis in der Hand halten werden. Doch irgendwie fühlt es sich trotzdem so an, als wäre dieser Tag das rote Fähnchen, das einen neuen Lebensabschnitt markiert.
This is the first day of my life
Swear I was born right in the doorway…
Ein Gefühl, als schmecke man die Freiheit schon auf der Zungenspitze.