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Coming Of Age – Folge 4

Das Vorbereitungsseminar oder Über Notwendigkeit von Banalität  

11. August 2014 - 11:27
von SPIESSER-Autorin pippi.langstrumpf.
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pippi.langstrumpf Offline
Beigetreten: 28.03.2014

Das Vorbereitungsseminar

oder

Über Notwendigkeit von Banalität

 

„Was um alles in der Welt singst du da?“, frage ich den Achtzehnjährigen, der mir gegenüber den Frühstückstisch für 30 Personen deckt. Anstelle einer Antwort singt er weiter, diesmal ein bisschen deutlicher. „Reinen Tisch macht mit den Bedrängern. Heer der Sklaven, wachet auf!“ 

Ich stutze. Das klingt nicht so, wie ein Achtzehnjähriger klingen sollte. Das klingt nach Geschichte Leistungskurs, nach Revolution und Opernbesuch. Es ist, so lasse ich mich aufklären, die Internationale. „Die ist schon echt fett, findste nicht?“ Aha. Und was hört er sonst so? „Ach, so dies und das. Ein bisschen Hardcore-Elektro, aber auch viel Country. Und die russische Nationalhymne, die ist auch echt cool!“

Es ist nicht die einzige Überraschung, die ich im Selbstverpflegungshaus „Anorak 21“ in Wabern erlebe. 28 zukünftige Freiwillige und fünf Teamer haben sich hier zusammengefunden, um für den Freiwilligendienst vorzubereiten und vorbereitet zu werden. Die Jugendlichen, die alle zwischen 17 und 20 Jahre alt sind und mehr oder weniger geschlossen am Ende des Gymnasiums stehen, werden ab August in ihre verschiedenen Projekte entsandt. Da gilt es, im Vorhinein die wichtigsten Fragen zu klären, Ängste zu beruhigen – und Kontakte zu knüpfen. Es fällt gleich auf, wie anders eine solche Gruppe sich im Vergleich zur durchschnittlichen Klassenfahrt zusammenfindet: Zwar kann vereinzelt Grüppchenbildung beobachtet werden, insgesamt jedoch zeigen sich Teilnehmer wie Teamer sehr offen und kommunikativ. Besonders beeindrucken mich die Tiefe der Gespräche und die sofortige Nähe, die sich zwischen praktisch wildfremden Jugendlichen einstellt. Ich frage mich, woran das liegt: Ist es die Atmosphäre des Seminars, die uns schnell persönlicher werden lässt? Oder habe ich es hier mit einer Ansammlung ganz besonders faszinierender und toller Menschen zu tun? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem… 

 

Was genau uns eigentlich erwarten würde in dieser Woche, war Keinem so genau klar. Das Kennenlernseminar, das die meisten von uns besucht haben, hat zwar eindrückliche Erinnerungen hinterlassen, aber das waren auch nur zweieinhalb Tage – „was in Gottes Namen wollen die ne ganze Woche lang mit uns machen?“

So ganz genau finden wir das auch später nicht heraus. „Das ist dein Seminar, du kannst daraus machen was du willst!“ So stand es schon in der Einladung, und genau diese Philosophie wird uns auch am Anfang der Woche vermittelt. Die Teamer legen großen Wert auf Konsensentscheidungen und geben außer ein paar wenigen Aktionen auch kein Programm vor. Der Ablauf des nächsten Tages wird am Abend vorher im „Offenen Team“ besprochen, zu dem jeder Interessierte Zutritt hat. Das ist einerseits sehr schön, andererseits aber auch anstrengend. Als wir kurz vor dem überfälligen Abendessen eine halbe Stunde per „Stimmungsbild“ über die Frage beraten, ob wir am nächsten Tag eine Gedenkstätte mit dem Bus oder mit dem Taxi erreichen, weil eine simple Abstimmung „dem Einzelnen nicht gerecht wird“, platzt mir beinahe der Kragen. Verfahrensgerechtigkeit hin oder her: Wenn die Methode den Inhalt verdrängt, ist bei mir Schluss. Doch anstatt mich still zu ärgern, reiße ich eine Grundsatzdiskussion über den Sinn von Konsensentscheidungen vom Stapel – und verzögere den Tagesabschluss damit erst recht, was die Laune der Gruppe nicht gerade ins Unermessliche steigen lässt. Irgendwas ist aber auch immer.

 

Vierter Abend. Obwohl wir ausreichend Pausen, Zwischensnacks und „Energizer“ (Seminardeutsch für Bewegungsspiel) hatten, bin ich fix und fertig. Diese Erschöpfung rührt vielleicht gar nicht so sehr von der Tatsache, dass wir am Abend davor mit Tanzmusik, Werwolf und „fancy drinks“ bis Mitternacht gefeiert haben, sondern vielmehr von der emotionalen Anstrengung her. Es ist wahnsinnig aufreibend, die ganze Zeit über wichtige Dinge nachzudenken, sich mit der eigenen Zukunft zu befassen und Gespräche über Gott und die Welt zu führen. Ich ertappe mich dabei, von einem Abendbrotstisch aufzustehen, an dem über die Frage nach der deutschen Erbschuld diskutiert wird, und mir eine deftige Kabbelei mit meiner kleinen Schwester zu wünschen. Oder ein Streit mit meiner Mutter über den Aufgeräumtheitsgrad meines Zimmers – jedenfalls etwas Banales, Oberflächliches. Es ist auffällig, was das Seminar mit mir macht: Bei einem Telefongespräch mit zuhause bemerke ich, wie sehr sich selbst schon meine Sprache verändert hat. Ich spreche jetzt langsamer, wähle meine Worte mit Bedacht und verwende Sätze wie „Das löst ein starkes Gefühl der Verbundenheit in mir aus“. Klingt im „Offenen Team“ völlig richtig – wirkt im Gespräch mit der Realität zuhause aber total falsch. „Werde ich auch wieder normal?“, will ich von den Teamern wissen. Das schallende Gelächter, das ich ernte, beruhigt mich – und macht mir gleichzeitig klar, was für eine intensive und neue Erfahrung diese Woche ist. Schön, das auch mal auszuhalten.

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