Den Beratungsdienst „Die Nummer gegen Kummer“ gibt es seit 30 Jahren. Hier rufen viele Jugendliche an, die Mobbing oder Gewalt erlebt haben und Hilfe suchen.
SPIESSER.de: Melden sich bei Ihnen Opfer, die direkt von einer Gewalttat betroffen sind?
Beate Friese: Man muss zunächst überlegen, was eine „Gewalttat“ ist, denn dazu zählt vieles. Mit Mobbing haben wir oft zu tun und immer wieder mit Opfern von Straf- bzw. Gewaltaten. Auch Datenmissbrauch kommt immer häufiger vor, zum Beispiel Fälle, in denen das Recht am eigenen Bild in irgendwelchen Social Communities verletzt wurde.
Um Gewalttaten geht es natürlich auch, es geht häufig um Erpressung und manchmal auch um sexuellen Missbrauch oder Nötigung. Das ist manchmal verknüpft damit, dass davon Fotos gemacht und wiederum ins Netz gestellt werden. Es kann auch darum gehen, dass man geschlagen wird.
Die Werner-Bonhoff-Stiftung und SPIESSER sammeln ab sofort Erfahrungsberichte. Wir behandeln diese vertraulich und werten sie aus, damit andere von deinem Wissen profitieren können. Im Sommer 2010 laden wir erstmals 30 Teilnehmer zu einem Workshop-Wochenende nach Berlin ein.
Was sind denn die konkreten Anliegen der Anrufer?
Viele Kinder und Jugendliche rufen an und fragen: „Ich weiß nicht mehr weiter, was soll ich denn tun?“ Die wären natürlich ganz dankbar, wenn wir sagen könnten: „Pass auf, in diesem Fall macht man immer das und das, dann wird alles wieder gut.“ Aber das können wir natürlich nicht.
Was wir aber tun können, ist, uns alles erzählen zu lassen und es ernst zu nehmen. Das geschieht ja in der Umgebung der Opfer häufig sonst nicht. Es wird schnell bagatellisiert, so nach dem Motto: „Ach das war doch nicht so schlimm“. Viele Eltern sagen auch: „Ach, das gab's bei uns früher schon, geärgert wird immer, da musst du einfach nicht hinhören“. Dahinter steht häufig die eigene Hilflosigkeit.
Wir nehmen alle Aussagen erst einmal ernst und versuchen dann eine Perspektive zu zeigen, wie man da rauskommen kann. Wir überlegen: Wen braucht man als Unterstützung? Kinder und Jugendliche dürfen bei Gewalttaten und auch bei Mobbing nicht alleine gelassen werden, sie brauchen unterstützende erwachsene Personen in ihrem Umfeld und die müssen eben gefunden werden. Man muss genau überlegen, gerade weil das Vertrauen ja angeknackst ist: Wie findet man heraus, ob man jemandem vertrauen kann? Wie muss jemand sein? Vielleicht eben nicht bagatellisierend, sondern verständnissvoll. Mobbingopfer sollten auch immer versuchen, ihre Eltern auf ihre Seite zu bringen, und denen erzählen, was los ist.
Sie geben also als Erstes den Rat, sich an die Eltern zu wenden. An wen verweisen Sie noch, wenn nicht an die Eltern?
Wir verweisen nicht immer an die Eltern. Es wäre wichtig, die auf der eigenen Seite zu haben, aber manche Eltern sind dazu nicht in der Lage. Manche Jugendliche wollen auch nicht, dass die Eltern etwas mitkriegen oder ihnen helfen. Dann muss man jemand anderes finden.
Was macht eine gute Vertrauensperson für Mobbingopfer aus?
Es muss jemand sein, der für den jeweiligen Anrufer akzeptabel ist, bei dem er denkt: „Ja, das wäre der Richtige, da könnte ich Vertrauen haben.“ Eine Person, die nicht sagt: „Ja mein Gott, da musst du auch selber was falsch gemacht haben“. Das kommt ja ganz häufig. „Was hast du denn getan?“
Welche Erfahrungen machen die Opfer mit anderen Institutionen? Mit Polizei, Schule, mit den Lehrern?
Auch bei denen ist oft Unverständnis da. Viele Polizisten sind zwar mittleweile sensibilisiert, aber natürlich nicht jeder. Das verbessert sich sehr stark, aber es gibt immer noch Fälle, wo die Reaktion der Polizei zu Wünschen übrig lässt.
Und Lehrer machen ihre Fortbildungen ja freiwillig, die sind dazu nicht verpflichtet. Das heißt, es gibt eine Menge Lehrer, die sich der Probleme der Schüler ernsthaft annehmen, es gibt aber ebenso welche, die das nicht tun. Die sich überfordert fühlen und nicht versuchen, über eine Fortbildung mehr Wissen zu erlangen und auch Handlungsmöglichkeiten zu erlernen. Es gibt auch Erfahrungen mit Lehrern von Mobbingopfern, die direkt losmarschieren und am nächsten Tag in der Klasse sagen: „Mir ist da zu Ohren gekommen ...“ Dann ist es anschließend für die Betroffenen noch viel schlimmer als vorher.
Sollten Fortbildungen in dem Bereich für Lehrer zur Pflicht werden?
Unbedingt. Ich finde sowieso, dass Fortbildungen für Lehrer verpflichtend sein müssen. Jeder Arzt muss so und so viel Fortbildungen vorweisen, niedergelassene Psychologen müssen sich fortbilden. Alle die mit Menschen arbeiten und einen pädagogischen Einfluss nehmen, müssten das tun. Und es klappt einfach nicht auf freiwilliger Basis. Es gibt viele Lehrer, die machen über ihren Unterricht hinaus viel viel mehr, als sie müssten. Die kann man nur unterstützen. Es gibt aber leider auch eine ganze Anzahl von Lehrern, die das nicht tun. Ausbaden müssen das die Schüler.
Wenn nun jemand zuhause überlegt, dass er Hilfe braucht und sich infomieren möchte, glauben Sie, dass das Angebot, das er findet, ausreicht und gut ist?
Ich glaube, dass wir auf einem guten Stand sind. Aber es kann immer noch etwas verbessert werden. Ich denke, man muss von denen lernen, die von Gewalttaten betroffen waren oder sind und die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Von diesen schlechten Erfahrungen sollte man lernen.
Welche Erfahrungen nach einem Verbrechen, einer Gewalttat oder einem Mobbing-Vorfall hast Du gemacht? Schreib sie uns auf www.nach-der-tat.de
Fotos: Juliane Dorn
@mobbing
Dieser Artikel entstand In Zusammenarbeit mit der Werner Bonhoff Stiftung.