Es war 2005, ich war noch ein kleiner Junge und unsere Arbeitsgemeinschaft in der Schule fuhr nach Rumnänien, Gastfamilien besuchen. Als Gastgeschenk hielt ich einen Ammerländer Katenschinken aus der Heimat für genau das richtige Mitbringsel. Unglücklichweise führte die Reiseroute in einem wackeligen Mercedes-Sprinter bei 30 Grad im Schatten durch die Karpaten. Der Schinken in meinem jagdgrünen Benneton-Koffer erwachte nach und nach zu neuem Leben, und schon bald musste ich mich von diesem mikrobiologischen Experiment trennen, weil die Mitreisenden darauf bestanden.
Ich habe bis heute nichts daraus gelernt, denn immer noch entdecke ich die seltsamsten Dinge in meinem Koffer, die ich irgendwann bar jeder Vernunft mitgenommen haben muss. Meine Drogenvorräte lasse ich daheim, aber das mit dem Affen hätte mir auch passieren können. Ich fühle mit dir, Justin Bieber! Immer wieder erstaunlich, was seit wie vielen Jahren in meinem Reisekoffer mit mir um die Welt reist. Genau aus diesem Grund ist die Gepäckfreigrenze der Billigflieger mein natürlicher Todfeind: Wie, nur zehn Kilo Freigepäck? Völlig undenkbar! Wohin sollen denn meine drei Handyladekabel?
Allzeit bereit: mit Tabletten gegen alles
gewappnet.
Der Klassenfahrts-Müllbeutel
In der Seitentasche meines Koffers zum Beispiel steckt seit Jahr und Tag ein aufgerollter, transparenter Müllsack. Die gar nicht mal dumme Idee dabei: Der Plastikbeutel soll sich unterwegs nach und nach mit der getragenen Wäsche füllen – auf dass die frische Wäsche heute nicht genauso riecht wie die Sachen, die man gestern noch bei der Besteigung des Matterhorn durchschwitzte. Eine typische Mutteridee, die in der Praxis leider nicht umsetzbar ist. Wenn ich um zwei Uhr nachts in mein Hotelzimmer stolpere, habe ich grundsätzlich Wichtigeres zu tun als meine Boxershorts zu vakuumieren.
Als Hypochonder, der ich bin, führe ich in meinem Koffer(n) auch ein Logistikzentrum für Arzneimittel mit. Die Sonne könnte scheinen, also geht gar nichts ohne Creme mit Lichtschutzfaktor von drei Fantastillionen. Die Fähre könnte bei der Überfahrt zur Nordseeinsel schwanken – Übelkeits- und Durchfalltabletten sind Pflicht. Mückenspray sowieso, auch am Polarkreis. Und Pflaster, weil ich bestimmt irgendwo stürzen werde. Kopfschmerztabletten sind ohnehin selbstverständlich, und nur mit Mühe lasse ich das Moskitonetz zu Hause. Ansonsten würde ich mit meinem Gepäck nicht nur den Strandurlaub auf Wangerooge überstehen, sondern wäre vermutlich auch für eine Tropenexpedition gerüstet.
Seepferdchen: done
Bei einer archäologischen Grabung in der zweiten Seitentasche stoße ich auf eine braune, kristalline Struktur. Es handelt sich um 0,125 Liter französische Vanillecola, Jahrgang 2003, die man vermutlich für Rekordpreise verauktioniert hätte, so ich sie früher entdeckt hätte. Spannend auch der Inhalt der Netztasche: ein Plan der Londoner U-Bahn, ein überdimensionaler Erdbeerlutscher in Form des Eiffelturms und eine Badehose in Größe 164 (mit aufgenähtem Seepferdchen-Abzeichen).
Doch in Kürze werde ich diese Entdeckungen nicht mehr machen können: Ein Griff meines heißgeliebten Koffers ist gerissen, der Boden löchrig und die Rollen fast weggeschrabbelt. Es wird Zeit für einen neuen Koffer – aber den Charakter und das Überraschungspotenzial des alten wird er niemals mehr erreichen.
Text: Theo Müller Fotos: Paul Lowry (o.) / CC-by, Ralph Aichinger / CC-by (u.)
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