Das Thema Pressefreiheit sorgt bei der Russin Olesja für Schluckauf, Renata will ihren Mund nicht halten und die 24-jährige Maria möchte deutschen Wind in den russischen Journalismus bringen.
11. October 2006 - 14:49 von SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich darüber sprechen darf." Die 19- jährige Olesja lässt erst fünf Sekunden verstreichen, bevor sie ihre Sprache wieder findet. Die junge Russin spricht zu einem heiklen Thema ihres Heimatlandes - Meinungs- und Pressefreiheit. "In Russland gibt es spannende Ereignisse in zwei Städten. In der einen Stadt ist etwas passiert, aber die Bürger wurden vom Rathaus und den Medien in ihrer Stadt nicht informiert. Die Einwohner in der Nachbarstadt wussten genau Bescheid, weil ihre Medien darüber berichten konnten. Deshalb trafen sich die Bürger der einen Stadt mit denen der anderen. Beide Städte sind in Westsibirien."
Olesja stockt. Doch nach kurzem Zögern fährt sie fort. "Ich habe keine Angst. Ich halte es für wichtig, darüber zu sprechen." Sie erzählt, dass in Nefteyugansk ein Attentat auf den Bürgermeister verübt worden war und die Medien nicht darüber berichteten. Die Stadt Surgut wurde zur Informationsquelle für die unwissenden Einwohner. Olesja schluckt schwer. Auch wenn sich die Russin gerade in Deutschland befindet, ist ihre Furcht greifbar. Sie sitzt mit gesenkten Kopf auf dem Stuhl.
Die Kämpferin!
Die 22-jährige russische Journalistin Renata, die beim Deutsch-Russischen Jugendparlament den Workshop Meinungs- und Pressefreiheit leitet, ist weniger zimperlich als Olesja: "Es ist gerade der Staat, der sich am meisten einmischt. Seitdem Putin an der Macht ist, hat sich die Medienlandschaft verändert." Sie berichtet von eingestampften Fernsehsendern und Lobeshymmnen auf den russischen Präsidenten. "In Russland haben viele Angst, nicht positiv genug über ihr Land zu reden. Oft kommt der Vorwurf: Du stehst nicht zu unserem Land. Viele kritische Journalisten werden entlassen."
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" gehört Russland auf Platz 138 zu den Schlusslichtern. Präsident Putin wird von den ,"Reportern ohne Grenzen" außerdem zu den 37 größten Feinden der Pressefreiheit gezählt. Seit 2005 starben fünf Journalisten. Die russische Journalistin Anna Politkowskaja wurde vergangenen Samstag in ihrer Wohnung in Moskau erschossen. Die 48-Jährige stellte sich Putin mit kritischen Artikeln entgegen. Zuletzt arbeitete sie an einem Beitrag, der sich mit Folter in Tschetschenien beschäftigte. Kaum jemand zweifelt daran, dass der Mord etwas mit ihrer journalistischen Arbeit zu tun hat.
Politkowskajas Tot macht auch Maria nachdenklich. Sie möchte im Rahmen ihres Workshops einen Presseclub gründen. Die 24-Jährige ist selbst Journalistin in Russland und möchte keine Angst haben, wenn sie politische Themen anpackt. Das führe schließlich zur Selbstzensur. Sie hatte auch schon Morddrohungen im Briefkasten, als sie mehrere Artikel über Rechtsextremismus in Russland schrieb. "Ich habe mich von den Drohungen nicht einschüchtern lassen", sagt Maria und wirkt dabei so, als gehöre so was zum Alltag.
Journalistin aus dem Bilderbuch
Die Laufbahn von Maria liest sich wie in einem Journalistenratgeber: Bereits mit sieben Jahren schreibt sie bei der Schülerzeitung. Ihr erstes großes Interview macht sie im Alter von neun Jahren, als sie den neuen Schuldirektor porträtiert. "Mir schlotterten die Knie", lacht sie. Mit 17 arbeitet sie für die überregionale russische Tageszeitung "Argumenti i Fakti". Sie beginnt ein Journalistikstudium in Moskau, macht ein zweimonatiges Praktikum bei der Deutschen Welle. Jetzt ist sie in Deutschland gelandet, studiert Journalistik in Berlin und arbeitet nebenbei als Korrespondentin für die russische Nachrichtenagentur "RIA Nowosti". "Ich möchte mich verbessern. In Deutschland gibt es beim Thema Journalismus eine völlig andere Herangehensweise. Wenn ich etwas wissen möchte, bekomme ich hier meine Informationen. In Russland mauern die Behörden nur", erzählt Maria.Wenn sie ihr Studium beendet hat, möchte Maria wieder zurück nach Russland.
"Auch wenn ich in Deutschland bequem arbeiten kann, gehe ich zurück. Ich möchte mein Wissen in Russland anwenden." Fragt man Olesja, Renata und Maria, welche Frage sie Wladimir Putin gerne um die Ohren hauen wollen, fallen die Antworten gleich aus. "Wie er zum Tod von Anna Politkowskaja steht und warum er in Russland nicht die Pressezensur aufhebt."
Text: Eric Mildner, Antonie Rietzschel
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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