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Kübra Gümüşay: „Sprache und Sein“

„Wie können wir frei sprechen?“, fragt die Aktivistin Kübra Gümüşay. In ihrem frisch erschienenen Buch beschäftigt sie sich genau mit dieser Frage – und vielen weiteren zu Sprache und Gesellschaft. SPIESSER-Autor Philipp hat reingelesen.

27. February 2020 - 09:15
SPIESSER-Autor PhilippSch.
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PhilippSch Offline
Beigetreten: 09.09.2017

Worum geht’s?

Durch den Titel lässt sich schon in gewisser Weise vermuten, worum es in dem Buch von Kübra Gümüşay geht: Es behandelt das Thema „Sprache“. In dem Klappentext stellt die Autorin schon die Frage, auf die sie in ihrem Essay eine Antwort finden wird: „Wie können wir frei sprechen?”. Frei sprechen – das ist, wenn man nicht kategorisiert wird. Wenn man nicht nur weil man ein Kopftuch trägt, Fragen zum Islam – so als wäre man Pressesprecher für alle, die der Religion angehörig sind – beantworten muss. Das freie Sprechen meint aber auch, dass zum Beispiel People of Color oder Queers in Talkshows eingeladen werden, weil sie genauso Menschen sind wie alle anderen und nicht, weil ein Thema besprochen wird, was diese gerade oberflächlich betrachtet betrifft (z. B. ein Burka-Verbot). Gümüşay betont da vor allen Dingen ihre eigene Erfahrung: In Talkshows wurde sie oft nach ihrer Herkunft („Wo kommst du denn nun wirklich her?“) oder auf das Tragen des Kopftuches angesprochen.

Die Aktivistin zeigt aber ebenfalls die Grenzen der (deutschen) Sprache auf. Für bestimmte Ereignisse und Gefühle hat die Sprache gar keine Wörter, zumindest im Vergleich zwischen der Muttersprache und einer Fremdsprache. Die Autorin findet für manche Situationen Wörter im Türkischen, die sich gar nicht genau ins Deutsche übersetzen lassen, aber eine deutlich präzisere Beschreibung ermöglichen. Sprache beeinflusst aber auch die Wahrnehmung von Gesagtem: Sind wirklich alle Geschlechter mitgemeint, wenn wir von Schülern, Aktivisten, Journalisten, Kunden sprechen? Wer fühlt sich davon angesprochen, wer nicht?

„Sprache und Sein“

Autor: Kübra Gümüşay
Veröffentlichung: 21. Januar 2020
Seitenzahl: 208

Wer steckt dahinter?

Geschrieben hat das Buch Kübra Gümüşay, eine Journalistin und Aktivistin aus Hamburg. In ihrem Leben war sie schon öfter publizistisch tätig, etwa als Kolumnistin in der tageszeitung, stand aber auch schon mehrmals auf der TEDx-Bühne. Außerdem initiierte sie 2013 die Social-Media-Kampagne #SchauHin, mit der auf Alltagsrassismus hingewiesen werden sollte. Die Kampagne war sehr erfolgreich, viele beschrieben in den sozialen Medien ihre Erfahrungen von Alltagsrassismus. Als Aktivistin hat sie außerdem einen Vortrag auf der Netzkonferenz re:publica gehalten, den sie unter dem Titel „Organisierte Liebe“ hielt. Dabei warnte sie vor Rassismus und Hass im Netz und fordert als Gegenstück eben jene „Organisierte Liebe“.

Kurz und knapp oder dicker Schinken?

Das Buch hat 183 Seiten Inhalt und liest sich ziemlich flüssig und zügig durch. Ich würde es als kurz und knapp bezeichnen, was aber keinesfalls negativ gemeint ist.

Für die Bahn, den Sessel oder den Pausenhof?

Eigentlich überall. Ich habe es gerne auf dem gemütlichen Sofa gelesen und bin in die Worte von Kübra Gümüşay eingetaucht. Genauso gut lässt es sich aber auch an allen anderen erdenklichen Orten lesen.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwer ist es, das Buch wegzulegen?

Definitiv 10. Das Buch fesselt total, man taucht in die Worte ein und möchte am liebsten niemals mit dem Lesen aufhören. Die Sprache und Darstellungsform, die die Autorin gewählt lasst, macht es sehr schwer, aufzuhören. Ich hätte nichts dagegen, wenn das Buch noch länger wäre.

Wem borgt man es nach dem Lesen als erstes?

Das Buch ist für alle gedacht, die verstehen möchten, wie unsere Sprache Realität schafft. Und sich auch mal die Frage gestellt haben, wie frei wir eigentlich sprechen. Das Buch ist aber auch für diejenigen interessant, die verstehen möchten, wie sich der Hass im Netz nähren kann, indem Menschen Kategorien zugeschrieben werden und somit nicht mehr als Mensch sondern als Sprecher seiner Gruppe betrachtet werden.

Lieblingszitat:

In dem Buch wird ein Fall von einer türkischen Lyrikerin beschrieben, die Suizid begangen hat, weil sie nicht als Mensch, sondern nur als Ausländerin betrachtet wurde. Kübra Gümüşay schreibt in dem Buch über sie: „Sie, die Ausländerin, war in Wirklichkeit so viel mehr. So viel anderes als das. Sie die Benannte, kämpfte darum, sich selbst benennen zu dürfen“.

In drei Worten:

Schön. Aufklärend. Bewegend.

 

Text & Teaserbild: Philipp Schröder
Coverfoto: Hanser Berlin

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