In dem beeindruckenden russischen Sozialdrama „Lenas Klasse“ kämpft die junge, körperlich behinderte Lena mit ihrem Freund Anton gegen ein von Klischees gezeichnetes, intolerantes Umfeld. SPIESSER-Prakitkantin Emily verrät, warum sich der Gang ins Kino lohnt.
Lena ist 16 Jahre alt, wohnt in einer tristen russischen Kleinstadt und sitzt aufgrund einer Muskelkrankheit im Rollstuhl. Nach jahrelangem Heimunterricht von ihrer Mutter darf sie endlich in eine Sonderklasse der elften Jahrgangsstufe, die von Jugendlichen mit den verschiedensten Behinderungen besucht wird. Schon bald merkt Lena, dass viel anders und neu ist: da sind zum Beispiel die strengen, rücksichtslosen Lehrer, die die Schüler für einen guten Abschluss drillen, damit sie in eine normale Klasse kommen können. Aber auch das Leben mit den anderen Jugendlichen fällt ihr nicht leicht. Lena kann sich dennoch sehr schnell in die Gruppe integrieren und passt sich den neuen Bedingungen an. Sie verbringt viel Zeit mit ihren Mitschülern, die nicht vor kleinen kriminellen Aktionen zurückscheuen und öfters an Bahngleisen ihr Leben mit gefährlichen „Spielen“ aufs Leben setzen.
Schon bald verliebt sich Lena in ihren Mitschüler Anton, der immer wieder an ihrer Seite ist und sie meist nach Hause fährt. Das verheimlichen die Beiden auch nicht. Die Situation kippt, denn vielen in ihrem Umfeld geht die Beziehung gegen den Strich. Die unterdrückte Gewalt führt zu grausamen Konsequenzen für alle Beteiligten – aber vor allem für Lena.
Die russische Schauspielerin Mascha Poeshaewa hat in diesem Film mit ihrer Rolle als Lena ihr Filmdebüt. Ihr Freund Anton wird von Philipp Awdejew gespielt und Misha, Lenas Mitschüler, der für sie und den Film eine wichtige Rolle spielt, wird von Nikita Kukuschin inszeniert. Besonders ist bei dem Film, dass das Drehbuch von vorneherein keinerlei Dialoge enthielt. Für die beteiligten Jungschauspieler eine große Herausforderung: Sie selber mussten spontan Gespräche improvisieren.
Unter den Nebendarstellern sind neben den professionellen, wenn auch jungen Schauspielern zudem viele Laiendarsteller, die selbst in eben solchen Anpassungsklassen unterrichtet werden, wie sie der Film zeigt.
Filmischer Augenschmaus?
„Lenas Klasse“ geht unter die Haut. Der russische Film zeigt eine realistische Geschichte, ohne Verzierungen, fast schon wie eine Dokumentation. Mit dem Film kritisiert der Regisseur Ivan I. Twerdowskij die sozialen Missstände für Jugendliche mit Behinderungen in Russland: Diese werden nicht in die Gesellschaft integriert, sondern abgegrenzt in Sonderklassen unterrichtet. Jugendliche mit Behinderung sind eher Außenseiter in Russland.
Der Film bietet psychologisch sehr interessanten Content, erstaunlich viel Tempo für einen dokuähnlichen Film und eine wirklich gelungene Umsetzung mit kritischen Themen. Sein doch recht offen gehaltenes Ende, rundet den Film ab – und lässt den Zuschauer nachdenklich zurück.
Oft ist die Kameraführung in dem Film leider schlecht. Immer, wenn der Kameramann für gute authentische Aufnahmen rennt, ist das für die Zuschauer deutlich zu sehen. Was mich persönlich gestört hat, ist, dass anscheinend für viele Szenen nur eine Kamera verwendet wurde. So kommt es, dass beispielsweise bei den Gesprächen immer wieder schnell zwischen den Protagonisten hin- und hergeschwenkt wird. Sicher soll dies den Doku-Charakter des Films unterstreichen, dennoch empfand ich es als Zuschauer als störend.
Zudem gibt es in dem Film kaum Musik, nur selten läuft eine traurige Klaviermusik. Vielleicht hätte ein bisschen mehr Musik den Film an einigen Stellen noch einrucksvoller und intensiver gemacht. Andererseits konzentriert sich der Zuschauer dadurch mehr auf das Geschehen.
Gründe zum Weinen gibt’s definitiv. Also für alle sensiblen Menschen da draußen, denen Filmfiguren sehr nahegehen: Lieber mal ein paar Taschentücher einpacken.
Mit wem angucken?
Der Film ist nichts für schwache Nerven und deswegen für einen Besuch mit kleinen Geschwistern nicht geeignet. Für Kinder ist der Film meiner Meinung eher nicht geeignet, da sie nicht viel vom Inhalt verstehen werden – sie können sich einfach noch nicht in die Figuren hinein versetzen und dadurch deren Handeln kaum nachvollziehen.
Da der Film kein Mainstream ist, ist er für einen Besuch mit eurer Clique nicht geeignet. Stattdessen lieber mal mit einer Freundin oder am besten mit einem Familienmitglied angucken. Ungünstig wäre es aber, wenn ihr zum Beispiel eine Mutter habt, die sich sowieso schon viel zu viele Sorgen um euch macht. Denn nach dem Film werden ihr noch mehr beunruhigende Gedanken in den Sinn kommen. Und mit Sätzen à la „Vergiss nicht, wenn du Probleme hast, kannst du immer zu mir kommen!“, will keiner nach einem Kinobesuch konfrontiert werden.
Den ganzen Film erst einmal sacken lassen und darüber nachdenken. Falls er euch sehr beschäftigt hat, eine Nacht drüber schlafen und anschließend mit jemandem reden.
In 3 Worten:
realistisch, aufwühlend, deprimierend
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
Der Film wird sicher auf beiden Formaten seine Message rüberbringen, auf der Kinoleinwand wirkt er aber imposanter und noch intensiver.
Mainstream oder Independent?
Definitiv Independent. Kein spannender Blockbuster, keine schräge Komödie, kein lustiger Animationsfilm, sondern ein Drama mit dokumentarischem Hintergrund, das jeden einzelnen Zuschauer zum Nachdenken bringen möchte.
LENAS KLASSE
Regie: Ivan I. Twerdowskij Schauspieler: Nikita Kukuschin, Philipp Awdejew, Mascha Poeshaewa Kinostart: 28. April 2016 Länge: 89 Minuten Genre: Drama, Romantik, FSK: ab 12 Jahren
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