Mitten auf dem Theaterplatz sammeln sich die Demonstranten
und Drahtesel.
Die Sonne strahlt vom blauen Himmel auf den Dresdner Theaterplatz. Wo sich zum Wochenende sonst massenhaft Touristen sammeln, um fleißig Selfies zu knipsen, liegen heute Fahrräder wild verstreut. Inmitten dieser Drahtesel-Landschaft stehen und hocken Menschen von jung bis alt – und ich mittendrin, ausgestattet mit Fahrrad und Sportklamotten. Die Menschen um mich herum reden, lachen oder genießen ihre Mittagsstulle, während ich Ausschau nach Felix halte, der mich hierher eingeladen hat. Von der offenen Ladefläche eines Lkw tönt elektronische Musik, die ein DJ live auflegt.
„Was ist nur mit Dresden los?“
Was nach einer spontanen Samstagnachmittag-Open-Air-Party aussieht, hat in Wirklichkeit einen politischen Hintergrund. Zu dieser Aktion hat die Dresdner Initiative „TOLERAVE“ aufgerufen, dessen Initiator der junge Mann namens Felix ist, der mit seinem klapprigen Fahrrad auf mich zugelaufen kommt. Zusammengerauft hat sich das lose Bündnis Anfang des Jahres, „weil die Pegida-Bewegung nicht abgeebbt, sondern schlimmer geworden ist“, erklärt er mir.
Der 27-jährige Student hat das Bündnis ins Leben gerufen. Zusammen mit Freunden aus der Dresdner Klub- und Kulturszene hat er sich überlegt, wie sie gemeinsam etwas gegen die islamfeindliche Bewegung namens Pegida tun können. Dann schrieb er in die Facebook-Gruppe „Was ist nur mit Dresden los?“ einen Aufruf und lud alle zu einem persönlichen Treffen ein, um weiter zu beratschlagen. Sie kamen schnell auf einen gemeinsamen Nenner: Party machen und Solidarität zeigen.
Felix übernimmt viele organisatorische Aufgaben. Deshalb rennt er nach unserem kurzen Plausch gleich weiter. Leicht gestresst huscht er zwischen Polizei, Lkw und Mitdemonstranten hin und her. „Ich wünsche mir, dass alles glatt geht und keiner einen Platten bekommt“, ruft er mir noch zu, bevor er an seine Kollegen weiße Stoff streifen verteilt, auf denen „Ordner“ geschrieben steht, die sie sich um ihre Oberarme binden. Bis zum geplanten Start, gibt es noch alle Hände voll zu tun: die Bierbänke müssen zusammengeklappt, der Müll eingesammelt und das große rote „Refugees welcome“-Plakat am Lkw befestigt werden. Ich stelle mein Fahrrad zur Seite und packe mit an.
„Techno war noch nie unpolitisch“
Der Fahrradtross setzt sich in Bewegung.
Zugegeben hatte ich als Dresdnerin von der „TOLERAVE“-Bewegung bis dato nichts gehört. Dabei gehören ihr mittlerweile etwa 130 Menschen an. Der Name ist dabei eine bewusste Vermischung aus „Toleranz“ und „Rave“. Die meisten Akteure von „TOLERAVE“ kommen aus der Kulturszene oder sind direkt Partyveranstalter, Produzenten oder DJs. „Das ist einfach der Kanal, den wir am besten können“, erzählt Felix selbstbewusst, während er sich selbst eine Ordner-Binde umschnallt. Außerdem würde das nicht ausschließen, dass sie nicht auch politisch in Erscheinung treten wollen.
Und genau das steht heute auf der Tagesordnung. Unter dem Namen „TOLERIDE“ soll an diesem Samstagnachmittag, begleitet von Bässen und Polizeieskorte, ins rund 15 Kilometer entfernte Freital geradelt werden. In der Vergangenheit sorgten die Ausschreitungen in der sächsischen Kleinstadt vor einer geplanten Asylunterkunft bundesweit für negative Schlagzeilen. Obwohl mir beim Gedanken, dass wir eventuell auf pöbelnde besorgte Bürger stoßen könnten, etwas unwohl wird, richte ich noch einmal meine Sporthose. Von mir aus kann der sportliche Umzug beginnen.
Ebenso startbereit stößt Felix wieder zu mir. Für ihn und seine Kollegen ist es selbstverständlich, dass sich jeder in seinem Bereich engagiert, um ein Zeichen zu setzen: „Unser Bereich ist elektronische Tanzmusik. Und Techno war noch nie unpolitisch.“ Wieder was dazugelernt. „Diese Musikrichtung ist schon immer eine politische und vor allem emanzipatorische Bewegung gewesen“, klärt mich Felix weiter auf. Partypeople haben hier genauso einen Platz wie Flüchtlinge.
Feiern mit gutem Gewissen
Der heutige „TOLERIDE“ ist nicht die erste Veranstaltung dieser Art. Seit Anfang des Jahres hat „TOLERAVE“ zehn Partys veranstaltet, um „eine Willkommenskultur zu schaffen und gegen Rassismus anzustinken“, berichtet Felix. Sie feiern und tun gleichzeitig etwas Gutes: Gelder sammeln und auf die Flüchtlings-Problematik aufmerksam machen. Das Geld geben sie an regionale Initiativen weiter, die für oder mit Flüchtlingen zusammenarbeiten. Seit Beginn hat „TOLERAVE“ rund 19.000 Euro gesammelt und weitergegeben.
In Freital warteten auf die Radler Kaffe, Kuchen und
selbstgemachte Burger.
Im März stellte Felix mit seinem 20-köpfigen Team, das den Kern des Bündnisses bildet, die erste Großveranstaltungen auf die Beine. Bei der ersten Soli-Party im Festspielhaus Hellerau feierten rund 100 Flüchtlinge gemeinsam mit vielen anderen, für Musik sorgten internationale DJs und Bands. Im Mai fand dann der „TOLERADE“ statt, ein musikalischer Umzug quer durch Dresden. Mit insgesamt zwölf Umzugswagen und rund 4.000 tanzenden Demonstranten ist diese Parade das Aushängeschild von „TOLERAVE“.
Die politische Party beginnt
Umzugsstimmung kommt auch auf, als sich der Fahrrad-Tross nach der Auftaktkundgebung unter lautem Lärm der Fahrradklingeln langsam in Bewegung setzt, allen voran der Lkw samt DJ-Pult. Ihm folgen die rund 400 Drahtesel. Die Route führt uns quer durch die Dresdner Innenstadt, bevor es über die Bundesstraße ins Grüne Richtung Freital geht. Die dröhnende Musik schallt durch die Straßen, auf der Gegenfahrbahn stauen sich die Autos. Ich ignoriere die teilweise genervten Gesichter der Autofahrer und wippe zum Beat der Musik auf meinem Sattel hin und her. Neben mir radeln Mütter mit Kindern, Opas mit extra Seitenspiegel am Lenker und vor allem junge Menschen. Zwischen den einzelnen Radlern erblicke ich auch einige Flüchtlinge, die mit einem Lächeln auf den Lippen in die Pedale treten.
Nicht allein in „Dunkel-Freital“
Dass bis hierhin alles reibungslos verlaufen ist, dafür opfern Felix und seine Kollegen viel Freizeit. Allein Felix sitzt in Vorbereitung auf solch ein Event jeden Tag mindestens zwei Stunden am Rechner, um sich einen Überblick zu verschaffen, was noch alles erledigt werden muss. Nebenbei hockt noch das Kernteam jede Woche drei, vier Stunden zusammen, um alles zu besprechen und zu planen. Da sich alle ehrenamtlich engagieren und alle Absprachen sowie die Teilnahme auf freiwilliger Basis funktionieren, rauchen vor so einem Event schon mal die Köpfe. Doch mittlerweile sind sie ein eingespieltes Team. „Jeder hat sein Steckenpferd gefunden“, so Felix.
In Freital angekommen, sorgt der laute und mehrere hundert Meter lange Demonstrationszug für Aufregung und meine Befürchtungen werden wahr: Es dauert nicht lange, bis ich die ersten besorgten Bürger am Straßenrand stehen sehe, die uns ihren Mittelfinger oder sogar den Hitlergruß entgegenrecken. Für Felix ein Grund mehr, sowohl den Flüchtlingen als auch den Initiativen in Freital seine Solidarität zu zeigen. Wichtig ist für ihn, dass sie sich in „Dunkel-Freital“ nicht alleine fühlen. Wir antworten mit einem freundlichen Lächeln oder lautem Fahrradgeklingel. Das Klingelkonzert der Masse fühlt sich gut an und meine Angst verduftet.
Felix selbst oder das Bündnis hat noch keine Anfeindungen seitens Pegida oder Anhängern der rechten Szene erhalten. Stattdessen ernten sie fleißig Solidaritätsbekundungen. Das Echo reicht bis in die Berliner Klubszene. Wenn es dann doch mal einen negativen Kommentar auf Facebook gibt, löscht Felix ihn einfach. „Dann ist wieder Ruhe im Karton.“
„Danke, dass ich hier sein darf“
Auf ihren politisch angehauchten Partys will das Bündnis nicht nur Geld sammeln, sondern auch Menschen unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe zusammenbringen. In diesem Fall geht es um Dresdner, Freitaler und Flüchtlinge. Und Felix ist zufrieden: „Da ist aus der Not heraus etwas absolut Positives entstanden.“ Menschen aus den verschiedensten Generationen und Ländern haben sich kennengelernt.
„Danke, dass ich hier sein darf.“
Davon bin ich spätestens überzeugt, als wir unser Ziel in Freital, den Platz des Friedens, nach anderthalb Stunden erreichen. Hier empfangen uns nicht nur ein paar Dutzend Flüchtlinge unter lautem Applaus. Es gibt sogar ein Büffet mit Kaffee, Kuchen und selbstgemachten Burgern. Sofort bildet sich eine lange Schlange. Parallel dazu ergreift Romeo das Mikrofon am DJ-Wagen. Der Flüchtling aus Afrika erzählt in gebrochenem Deutsch von seiner Ankunft in Deutschland. Alle lauschen gespannt. Mittlerweile geht er hier zur Schule, will eine Ausbildung machen und spielt in einem Fußballverein. Als er seine Rede mit „Danke, dass ich hier sein darf“ beendet, erntet er Applaus und Jubelrufe der Demonstranten. Diese große Anteilnahme sorgt bei mir für Gänsehaut.
Come together!
In einer halben Stunde geht es wieder zurück. Ich nutze die Zeit, um die Atmosphäre zu genießen. Auf der Wiese und zwischen den Fahrrädern verteilt hocken die Demonstranten, genießen die leckeren Burger oder schlürfen ihren Kaffee. Eine Hand voll gesellt sich zu den Flüchtlingsjungen, die mit einem alten Fußball im Kreis kicken. Für einen kurzen Moment vergesse ich die Negativschlagzeilen der vergangenen Monate. Und ich ziehe innerlich den Hut vor Felix und seiner „TOLERAVE“-Crew. Sie sind ein Aushängeschild dafür, was man mit ehrenamtlichen Engagement bewegen kann.
Für Felix war von Anfang an wichtig, Möglichkeiten zu schaffen, um sich zu engagieren. Auch wenn ein Engagement in einem Flüchtlingscamp nicht jedermanns Sache ist, so hat aber jeder eine Passion oder ein Hobby. „Auf diesem Feld kann sich jeder junge Mensch engagieren, in diesem Fall für eine Willkommenskultur.“ Und am Ende ist es genau das, wofür Felix und das „TOLERAVE“-Bündnis einstehen, egal ob auf der Tanzfläche oder dem Drahtesel: Come together!
Text: Victoria Gütter
Fotos: Max Patzig