SPIESSER unterwegs

Modenschau im Sowjetbau

SPIESSERin Lara studiert im Rahmen ihres Masters ein Semester am Moskauer MGIMO. Ihre Kommilitonen interessieren sich für Sprachen und Pelz, zu Politik und Regierung hält man sich zurück. In diesem Text erlaubt Lara euch einen Blick hinter die Kulissen der russischen Eliteuniversität.

17. April 2018 - 08:55
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lara.sc Offline
Beigetreten: 23.08.2011

Wall Street, Quai d’Orsay, Unter den Linden… Schon die Namen der Flure offenbaren, in welche Straßen der Welt man die Studenten entsenden möchte. Das Staatliche Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (kurz: MGIMO) untersteht dem russischen Außenministerium. Die Universität ist als Diplomatenschmiede und für seinen ausgezeichneten Sprachunterricht bekannt. 8000 mehrheitlich russische Studierende bereiten sich hier auf ihre Karriere vor. Viele sind noch sehr jung, beginnen mit 17 ihr Studium. Und das nicht unbedingt freiwillig. „Meine Eltern wollten, dass ich mein Leben ändere”, „Mein Vater hatte schon immer diesen Traum”. So fangen meine Kommilitonen an, wenn sie ihre Studienwahl begründen. Sie sind es, die in einigen Jahren die russische Außenpolitik und Finanzwirtschaft steuern werden.

Ein Semester lang studiere ich zusammen mit ihnen im Südwesten von Moskau. Öl, Gas und Pipelines stehen auf dem Stundenplan, dazu kommen Kurse in Management und natürlich Russisch. Ich bin eine von sechs deutschen Studenten, die den Doppelmaster in Energiewirtschaft an der Universität Leipzig und dem MGIMO absolvieren und deshalb von Februar bis Juni Moskauer Luft schnuppern.

Auf Louboutins in die Vorlesung

„Miss MGIMO 2018”-Aushang

Manche unserer Tage am MGIMO gehen bis 22 Uhr, dafür fangen wir allerdings auch frühestens 14:30 Uhr mit den Vorlesungen an. Die Architektur der Universität versprüht einen Hauch von Sowjetzeit. Selbst das neue Gebäude punktet als Betonbau mit schwerem Holzinterior nicht gerade in der Kategorie „Moderne“. Dafür gibt es eine Schwimmhalle, ein Fitnessstudio, Cafés, Restaurants, Buchläden, einen Optiker und eine Klinik – wir sind mit allem versorgt. Hinein kommt man allerdings nur mit elektronischem Ausweis. Sogar die sonst so einflussreichen Eltern müssen draußen bleiben.

Wenn ich das Uni-Labyrinth durchquere, werde ich ungeniert immer wieder von oben bis unten gemustert. Mit meinem Rucksack, Outdoor-Stiefeln und dem warmen Festival-Hoodie bin ich hilflos underdressed. Die meisten Männer tragen hier Anzug oder immerhin Poloshirt. Die Frauen überzeugen mit High Heels, Schuba (teurem Pelz) und Feinstrumpfhose bei -15° Grad. Es ist eine Mischung aus Großraumbüro und Modenschau. Tatsächlich gibt es sogar eine „Miss MGIMO” Wahl.

An der Universität begrüßt man sich per Händedruck – aber nur unter Männern. Mir wird höchstens zugenickt. “Das ist normal“, erklären mir die russischen Kommilitoninnen. Sie hätten es noch nie anders erlebt. Am Frauentag am 8. März hingegen werden alle Studentinnen und Professorinnen respektvoll mit Blumensträußen versorgt. An einer deutschen Universität würde dieses Verhalten vermutlich eine große Debatte anstoßen. Hier gehört es einfach zu den Gepflogenheiten, wie auch in der Metro für Frauen und Ältere aufzustehen. Alte Schule ist nicht immer schlecht.

Putin-Hype? Fehlanzeige

Typisch russische Souvenirs

Die russische Vorzeige-Universität wirkt entpolitisiert. Die Debattenkultur wurde aus dem Hörsaal in Clubs und Arbeitsgruppen verlegt – um rhetorische Fertigkeiten für den späteren Job zu erwerben natürlich. Politische Themen kommen in unseren Vorlesungen nur am Rande vor. Wenn sie direkt angesprochen werden, ist das meist eher unangenehm, vor allem, wenn man als Ausländer nach seiner Meinung gefragt wird. Was ich von der Sowjetunion halte? Ob Russland eine Demokratie ist? Möchte man besser nicht beantworten, wenn man nicht weiß, wie die eigene Meinung den Masterabschluss beeinflusst.

Meine Kommilitonen sprechen nicht über Politik, unsere Professoren gehen mit dem Thema teils überraschend offen, teils maximal defensiv um. Die meisten sagen gar nichts dazu. „Ich will nichts von Politik hören, mich interessieren nur Öl und Gas, Tonnen und Fässer”, erklärt uns ein Professor. Andere stehen dazu, dass sie Putin wählen, machen sich über die Opposition lustig, oder scherzen darüber, dass sie bei zu viel Regierungskritik nächste Woche vielleicht nicht mehr vor uns sitzen würden. Abgesehen von der einen oder anderen subtilen Anmerkung, ist es erstaunlich ruhig um den Präsidenten. Ich hatte mehr Hype erwartet.

Mein Aufenthalt in Moskau unterstreicht und widerlegt Klischees. Wenn man neben den Vorlesungen durchs Land reist und die Vielfalt der Hauptstadt erkundet, wird noch deutlicher, dass sich Russland weder politisch noch gesellschaftlich in eine Schublade packen lässt. Es lohnt, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Ich kann ein Auslandssemester hier nur empfehlen.


Studium in Russland: Morgens Museum, nachmittags Vorlesung

Text und Fotos: Lara Schech

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