Paris, Hauptstadt Frankreichs und einer der beliebtesten Orte der Welt, wurde zum zweiten Mal in diesem Jahr von Terroristen angegriffen. SPIESSER-Autor Theo berichtete bereits im Januar aus Paris und ist inzwischen zurück in Deutschland. Am Montagabend telefonierte er mit seinem Bekannten Felix, der dort gerade sein Auslandsjahr begonnen hat.
21. November 2015 - 08:47 SPIESSER-AutorIn anonymer Nutzer.
Theo: Hallo, Felix! Erst einmal die wichtigste Frage: Wie geht es dir und den Leuten in deiner Nähe in Paris?
Felix: Ich bin gerade wieder nach Hause gekommen, nachdem ich zum ersten Mal seit Freitag außerhalb meines Viertels in Paris unterwegs war. Ich wohne in einem Wohnheim in der internationalen Studentenstadt in Paris, der Cité universitaire. Ich habe ein eigenes Zimmer auf einem Flur und teile mir mit 14 anderen Leuten Küche und Dusche – da hat man immer Leute um sich herum. Ich mache mir jetzt nicht dauernd Sorgen, aber natürlich macht man sich schon Gedanken, bevor man rausgeht.
Felix, 25, ist ein Kommilitone von Theo und
studiert aktuell in Paris. Foto: privat
Dann die zweite unvermeidliche Frage: Wie hast du am Freitagabend mitbekommen, dass etwas Schlimmes in Paris passiert ist?
Seltsamerweise aus Deutschland. Ich bin mit einigen deutschen Freunden in eine Kneipe im Pariser Viertel Saint Michel gegangen, um dort das Fußballspiel Deutschland – Frankreich im Fernsehen anzugucken. Ich hatte Besuch aus Deutschland. Einer meiner Gäste bekam von einem deutschen Freund per WhatsApp einen Link zur Eilmeldung auf „Spiegel Online“ geschickt. Im Fernsehkanal TF1, der das Spiel übertragen hatte, ging danach direkt eine Sondersendung los – aber der Kneipenbesitzer hat zu irgendeinem Boxkampf umgeschaltet. Zum Glück gab es WLAN, wir haben uns im Internet informiert und sind dann relativ schnell nach Hause gegangen. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir von 18 Toten. Am Eingang des Parks, in dem unser Wohnheim liegt, wurden unsere Ausweise und Rucksäcke kontrolliert. Alle anderen Zugänge waren schon mit Ketten versperrt.
Ich erinnere mich noch, ich war im Januar, als ich selbst in Paris war, in der Stadt unterwegs und habe von dem Angriff auf „Charlie Hebdo“ ebenfalls durch eine Eilmeldung von „Spiegel Online“ erfahren. Hast du danach auch so viele Nachrichten auf dein Handy bekommen?
Ja, es waren auf jeden Fall ein paar Dutzend. Den Freitagabend waren wir damit beschäftigt, jedem zu schreiben, dass es uns gut geht; das wirkliche Ausmaß haben wir vor allem aus Deutschland mitbekommen. Unsere Familien und unsere Freunde, die das alles im Fernsehen verfolgt haben, waren jedenfalls deutlich besorgter als wir selbst.
Du sagtest, du seist heute zum ersten Mal wieder länger in Paris unterwegs gewesen – fühlt sich das komisch an?
Dort, wo ich unterwegs war, hat sich nicht so viel verändert. Soldaten gehörten hier ja schon vorher zum gewohnten Bild auf der Straße. Die Metro und die S-Bahn waren aber deutlich leerer als sonst. Es ist erstaunlich still, die Leute unterhalten sich weniger und alle gucken ein bisschen mehr um sich. Das mache ich auch, ich habe in der Metro den Wagen immer hoch und runter geguckt.
Nach den Anschlägen im Januar demonstrierten
die Pariser für Meinungsfreiheit. Foto: Theo Müller
Im Januar, nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ waren die Pariser zwar auch geschockt, aber sie waren auch sofort auf der Straße, um für die Meinungsfreiheit zu demonstrieren. Wie war das diesmal?
Es hat auf jeden Fall länger gedauert. Und es gab auch eine Empfehlung der Präfektur von Paris, das Haus möglichst nicht zu verlassen. Daran haben sich am Samstag die meisten Leute gehalten. Außerdem war ja schon seit Freitagnacht der Ausnahmezustand in Kraft getreten – ich habe mir erstmal bei Wikipedia durchgelesen, was das eigentlich bedeutet. Die Stadt Paris hatte am Wochenende ohnehin alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen.
Was macht man dann? Im Zimmer sitzen und Nachrichten gucken?
Mit dem Nachrichten gucken haben wir ehrlich gesagt irgendwann aufgehört. Natürlich machen wir uns Sorgen, aber die werden dadurch nicht kleiner. In den deutschen Medien steht, die ganze Stadt sei nur noch in Angst und Schrecken. Das stimmt aber in dieser Form nicht, trotz der schrecklichen Dinge, die passiert sind. Am Samstagabend haben wir Pizza bestellt und einen Film geguckt. Am Sonntag hat ein Mitbewohner, der ziemlich gut Klavier spielt, spontan zu einem kleinen Konzert eingeladen.
Und heute hat der Alltag wieder angefangen.
Ich bin froh, dass ich noch nicht allein unterwegs war. Wenn man zusammen Uni hat und zusammen wohnt, geht das zum Glück. Dann denkt man auch nicht die ganze Zeit darüber nach, was theoretisch alles passieren könnte. In der Uni hatte ich heute Morgen ein Seminar mit einer Kommilitonin, die erzählte, dass ein Bekannter unter den Verletzten sei. Um zwölf Uhr gab es dann die europaweite Schweigeminute. Da sind auch ein paar Tränen geflossen.
SPIESSER-Autor Theo berichtete im Januar, nach den Anschlägen auf die Stairezeitung „Charlie Hebdo“, direkt aus der französischen Hauptstadt. Hier kommt ihr zu seinem damaligen Artikel „Wie wir Charlie wurden“.
Du bist eigentlich noch knapp ein Jahr in Paris. Hast du in den letzten Tagen darüber nachgedacht, deinen Aufenthalt in Paris zu beenden oder zumindest zu unterbrechen?
Meiner Mutter wäre das sehr recht, wenn ich für ein paar Tage heimgefahren wäre. Aber ich bin da eigentlich… (denkt nach).
Solange ich mich nicht zu unwohl oder sehr unsicher fühle, sehe ich dafür keinen Grund. Es wäre ein großer Zufall, wenn man von einem Anschlag betroffen wäre – Paris ist so groß. Ich war gerade wieder im Supermarkt einkaufen. Und da gab es tatsächlich Momente, in denen ich gar nicht mehr darüber nachgedacht habe, was am Wochenende passiert ist.
Felix, danke, dass wir miteinander sprechen konnten.
Das Gespräch führte Theo Müller, 24, mit seinem Kommilitonen Felix Schmidt, 25. Beide studieren Geschichtswissenschaften an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Text: Theo Müller
Teaser-Foto: Vincent Anderlucci, flickr.com, CC-Lizenz (CC BY 2.0)
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