Ich hasse diesen symbolischen Scheiß. Können wir jetzt gehen? Eva war gerade 15 Minuten mit Wladimir Putin, Angela Merkel, ungefähr 60 anderen Jugendlichen und einer Horde Kamerateams im selben Raum. Jetzt steht sie draußen auf dem Gang mit trotzigem Gesicht: Sie möchte endlich was essen, darf aber nicht, weil sich der Rest der Truppe noch mit dem russischen Bildungsminister fotografieren lassen muss, oder noch immer die geschwungene Unterschrift Putins bewundert. Eva gehört zum Deutsch-Russischen Jugendparlament, das drei Tage im Sächsischen Landtag zu Themen wie Pressefreiheit, Menschenrechte und Jugendpolitik in Russland gearbeitet hat. Höhepunkt des Parlaments ist die Präsentation der Ergebnisse vor den beiden Staatsoberhäuptern Wladimir Putin und Angela Merkel.
Ich sehe was, was du nicht siehst
Eine Stunde früher stehen wir noch vor dem Kongresszentrum. Warum wir nicht durch die Absperrung kommen? Wir wissen es nicht. Ewgenija zückt ihre Kamera, um die Gegendemonstranten zu fotografieren. Auf den Transparenten steht Mörder und Herr Putin. Sie bringen den Tod nach Tschetschenien . Die Russen können es gar nicht begreifen, dass hier Menschen stehen dürfen, die den russischen Präsidenten als Mörder bezeichnen. Es blitzt nur so auf die Transparente ein. In Russland ist bei einem Staatsbesuch im Umkreis von zwei Kilometern alles abgesperrt, um Gegendemos zu verhindern, und wenn da mal jemand steht, ist der bezahlt und freut sich über Putin , erklärt einer der Übersetzer. Die Polizisten scheinen uns zu ignorieren, einer der Scharfschützen auf dem Dach richtet sein Fernglas auf uns.
Ewgenija bekommt das nicht mit, denn sie ist in ihre Handschrift vertieft. Sie ist diejenige, die Wladimir Putin und Angela Merkel die Ergebnisse des Jugendparlaments präsentieren soll. Klatschen reißt sie aus dem nervösen Nägelkauen. Eine Gruppe von Männern kommt aus Richtung Elbe. Könnt ihr ihn sehen , ruft jemand. Es ist ein Mädel, dass die Kamera zum Schuss bereit hält und auf Hinweise ihrer Freundin wartet. Das Suchbild erweist sich als schwierig, schließlich tragen fast alle in der Gruppe schwarze Anzüge. Da ist die Merkel. Köpferecken und Gedrängel beim sonst so disziplinierten Parlament. Angela winkt, wir klatschen. Dann sind sie alle im Kongresszentrum verschwunden und die Polizei lässt uns durch die Absperrung. Gemeinsam betreten wir den Konferenzraum. Die Tische sind im Quadrat angeordnet. Überall stehen Mikrofone. Eine Frau teilt Kopfhörer für die Übersetzung aus. Mir wird etwas mulmig, als ich ihr meinen Personalausweis als Pfand überlasse.
Das Parlament hat bereits Platz genommen. Ewgenija und Rainer, die beiden Vertreter, sitzen ganz vorn. Zwischen ihnen sind zwei leere Plätze. Ewgenija murmelt vor sich hin und schaut immer mal in das Buch vor ihr. Es ist um sechs, in einer viertel Stunde soll es losgehen. Otto probiert schon mal die Mikrofone aus, in dem er Julian darauf hinweist, dass seine Füße unter dem blauen Tischtuch hervor schauen. Die russischen Mädels holen nochmal die Handspiegel raus und richten ihre Ponys für die Staatsoberhäupter. Eine Blondine hat sogar einen Kamm durch die Sicherheitskontrolle geschmuggelt und streicht sich durchs Haar.
Schön machen für Putin
Ich stehe hinten. Dort, wo sich ein kaugummikauender Kameramann nach dem anderen postiert. Danach schnappen wir uns noch die Kleine in Weiß , sagt der vom MDR und zeigt auf Ewgenija. Für sie ist es nur ein Job, für die 52 Deutschen und Russen eine riesige Ehre hier zu sitzen, auch, wenn es nur 15 Minuten dauert. Und genau da liegt das Problem. Putin und Merkel sind auch viertel sieben nicht in Sicht. Zeit für eine Dame in Rot, ans Mikro zu treten "Noch ein kleiner Hinweis. Wenn die Staatsoberhäupter den Raum betreten, steht ihr alle auf. Die Reihe am Gang bitte ich, schon vorher hinter ihre Stühle zu treten. Denn wenn ihr alle gleichzeitig aufsteht, haut ihr dem Präsidenten die Stühle in die Beine. Danke."
Es wird geflüstert, dass die Attraktionen im Anmarsch sind. Plötzlich erhebt sich der gesamte Saal, die Fotoapparate im Anschlag. Die Kameramänner springen auf und richten sich in Richtung Tür aus. Völlige Stille im Saal. Doch nichts passiert. Alle sind schon wieder dabei, sich hin zu setzen, als von draußen Stimmengewirr herein dringt. Das müssen sie sein. Alles steht, die am Gang hinter ihren Stühlen, und als Putin durch die Tür tritt, wird er von einem grellen Scheinwerfer geblendet. Er richtet seinen angesäuerten Blick auf den Boden. Hinter ihm kommt Angela Merkel. Sie ist etwas größer als Putin, lächelt, winkt und sagt Hallo . Fotografen stolpern über Kameramänner, es blitzt von allen Seiten, ich stehe in einer Ecke und Wladimir schreitet eine handbreit neben mir vorbei.
Die Chefs waren da
Putin und Merkel schütteln Rainer und Ewgenija die Hand. Dann setzen sie sich. Sie sehen ziemlich fertig aus. Für die Journalistenriege ist der Moment der großen Bilder vorbei, es wird gemurmelt, Handys klingeln, es nervt. Rainer beginnt mit seiner Rede. "Wir wollen eine Internetplattform schaffen, auf der sich russische und deutsche Jugendliche austauschen können." Jetzt fängt er an zu stottern: "Ein sehr wichtiges Thema ist auch aus aktuellem Anlass die Presse- und Meinungsfreiheit gewesen. Wir möchten gerne einen Jugendpresseclub gründen." Putins Miene bleibt unverändert. Ewgenija hakt ein und ich brauche die Kopfhörer für die deutsche Übersetzung. "Ein riesen Thema ist auch Rechtsextremismus in Russland. Wir müssen etwas dagegen tun." Klatschen. Die Bundeskanzlerin ergreift das Wort. Bis eben wirkte sie wie Putin etwas gelangweilt. Zwischendurch kritzelte sie auf Papier herum, ein kleines Skript für die jetzt gewählten Worte. "Der Austausch von Jugendlichen ist wichtig für die allgemein guten Beziehungen zu Russland. Auch der Kampf gegen Rechtsextremismus ist ein großes Thema. Wir wissen, wo die Gründe liegen: Perspektivlosigkeit, keine Chancen. Aber das sollte keine Legitimation für Gewaltakte sein." Putin macht eifrig Notizen. Der Übersetzer in meinen Kopfhörern ergreift für ihn das Wort: "Ich beneide Sie darum, dass sie drei Tage in dieser wunderschönen Stadt sein konnten. Ich möchte der Stadt Dresden nochmal danken. Die Idee einer gemeinsamen Internetplattform finde ich großartig. Wissen sie, worum ich sie noch beneide, dass sie frei miteinander reden konnten, ohne die Vorschriften, denen wir als Politikern folgen müssen."
Kein Wort zur Pressefreiheit oder dem Rechtsextremismus. Stattdessen sind die 15 Minuten vorbei. Putin und Merkel werden gebeten, auf dem Banner des Jugendparlaments zu unterschreiben. "Machen wir", sagt Putin auf Deutsch und lächelt sogar etwas. Nochmal schüttelt er Ewgenija die Hand, sie überredet ihn, ihr auch noch ein Autogramm zu geben. Es stehen wieder alle auf, es wird geklatscht. Putins Blick heftet sich wieder auf den Boden. Ein Lächeln würde ihn ein bisschen sympathisch machen. Dann sind sie verschwunden.
Ewgenija kommt langsam nach vorne gestöckelt. Die Augen sind glasig. Sie redet, als ob sie Drogen genommen hat. Auf jede Frage antwortet sie mit Super und Er ist unser Präsident. Ich habe großen Respekt. Sie hat noch gar nicht realisiert, dass es gerade der russische Präsident war, der ihr auf die Schulter geklopft hat. Rainer hat den Schreibblock von Putin abgegriffen. Mit Flagge vorne drauf und goldenen Buchstaben. Seine Notizen hat Putin zwar mitgenommen, aber der Druck des Präsidenten auf sein Schreibwerkzeug hat Spuren auf dem weißen Blatt hinterlassen.
Text: Antonie Rietzschel
Fotos: Juliane Schrader, Antonie Rietzschel, Oliver Killig