Schmökern

Ulrike Herwig: „Das Leben ist manchmal woanders“

Der fünfzehnjährige Gregor, der auch im Sommer stolz seine Pelzmütze trägt, wird für seine Eigenarten belächelt, am meisten von seiner Tante und ihrem Mann. Ein Unfall bringt die drei jedoch näher zusammen und lässt sie ihre Vorstellung davon, was „normal“ eigentlich bedeutet, hinterfragen.

01. August 2019 - 14:21
SPIESSER-Autorin Cherilia.
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Cherilia Offline
Beigetreten: 04.08.2012

Worum geht’s?

Kurz nach der Ankunft von Marlene und ihrem Sohn Gregor, die eigentlich nur für den Besuch ihrer Verwandten aus Bayern gekommen sind und mit Vorbehalten erwartet wurden, fällt Marlene nach einem Unfall ins Koma. Ihre Schwester Judith muss länger als erwartet mit Gregor vorliebnehmen. Dieser war schon immer alles andere als normal und Judith konnte schwer einen Zugang zu ihm finden. Die Erziehungsmethoden ihrer Schwester sowie der auffällig gekleidete Junge mit den zahlreichen Eigenarten sind ihr suspekt. Nun sind sie und ihr Mann jedoch dazu gezwungen, sich mit dem Fünfzehnjährigen auseinanderzusetzen. Ungeniert stellt er mit seiner schonungslos neugierigen Art ihr Leben auf den Kopf, während Judith sich immer wieder vor die Aufgabe gestellt sieht, Gregor in Streits mit Nachbarinnen und Nachbarn zu verteidigen oder seine Fehltritte zu entschuldigen.

Die Geschichte wird dabei abwechselnd aus den verschiedenen Perspektiven der Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses erzählt, die jeweils auf Gregor treffen. Die meisten betrachten ihn mit einer gewissen Voreingenommenheit, weil er sich anders als andere in seinem Alter nicht nach der Kleidung richtet, die gerade „in“ ist, und sich mehr für Meteorologie als für Smartphones interessiert. Gregor gelingt es jedoch immer wieder, diesen Blick auf ihn selbst durch überraschende Handlungen umzuwandeln. Er zeigt ihnen ihr Interesse und lässt sie nicht nur ihre Meinung über ihn, sondern auch ihre eigenen Lebensentscheidungen hinterfragen.

„Das Leben ist manchmal woanders“

Autor: Ulrike Herwig
Veröffentlichung: 19. Juli 2019
Seitenzahl: 288

Wer steckt dahinter?

Ulrike Herwig, 1968 geboren, arbeitete zehn Jahre lang als Deutschlehrerin in London, bevor sie mit ihrer Familie in die USA zog. Ihr erster Roman für Erwachsene, „Tante Martha im Gepäck“, war ein großer Erfolg. Unter dem Pseudonym Ulrike Rylance schreibt sie ebenfalls erfolgreich für Jugendliche.

Kurz und knapp oder dicker Schinken?

Sowohl die Seitenzahl von 288 als auch das Kurzweilige der Sprache machen „Das Leben ist manchmal woanders“ zu einem knackigen Vergnügen, das sich in weniger als drei Tagen bewältigen lässt.

Für die Bahn, den Sessel oder den Pausenhof?

Für einen Ort, an dem man schmunzeln kann und sich nicht dafür schämt. Das kann ein Sessel sein oder einfach ein Ort, an dem man auf diese Reaktion angesprochen werden und daraufhin aus dem Roman erzählen kann.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwer ist es, das Buch wegzulegen?

Zu Beginn ist es besonders leicht, über Judiths Gedankengänge, die allzu einfach gestrickt sind, die Augen zu verdrehen und sie als Person aufzugeben. Im Laufe der Handlung macht Judith jedoch einen Wandel durch, der sie sympathischer werden lässt. Auch die Wechsel zwischen den einzelnen Perspektiven bauen Spannung auf und erhöhen die Schwierigkeit, sich von den vielen verschiedenen Geschichten loszureißen. Man wird immer neugieriger darauf, was als Nächstes passiert und wie alles ausgeht, sodass sich die Spannung von einer 3-4 auf eine 8 steigert.

Wem borgt man es nach dem Lesen als erstes?

Einem Menschen, der die Welt, in der er lebt, gern in einfache Kategorien einteilt, um sie oder ihn subtil zum Umdenken zu bewegen. Danach sollten es auch alle anderen lesen, da wir alle dazu neigen, unüberlegt mit unseren Vorurteilen umzugehen.

Lieblingszitat:

„Er hatte recht. Das Hallenbad war wie eine trübe gemütliche Glocke an diesem heißen Sommertag, während der Rest der Welt sich in den Freibädern der Stadt auf die Füße trat, von der Rutsche schubste, durchs Wasser kämpfte, von Wespen stechen ließ und mit Eis bekleckerte. Sie und Gregor hingegen trieben wie zwei sanfte, stille Meerestiere durch das klare Wasser, Bahn um Bahn, Strudel um Strudel.“ (S. 142)

In drei Worten:

lebensnah, humorvoll, sprachgewandt

Text: Pierre Hofman
Teaserbild: Katharina Hofmann
Coverfoto: dtv

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