Acht mutige, junge Menschen aus dem Gaza-Streifen haben am 13. Dezember 2010 auf Facebook einen Text mit dem Titel „Gaza’s Youth Manifesto for Change“ veröffentlicht. Ihr Hilferuf hat ein weltweites Echo ausgelöst.
07. February 2011 - 11:42 von SPIESSER-Autor andreas_8.
Die Verfasser, drei Frauen und fünf Männer, sind Mitte zwanzig. Sie haben alle ein Studium abgeschlossen oder studieren noch. In ihrem Manifest artikulieren sie das Lebensgefühl ihrer gesamten Generation. Mit der Veröffentlichung gingen sie ein großes Risiko ein. Zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz ihrer Familien müssen die Verfasser deshalb anonym bleiben, auch wenn die weltweite mediale Aufmerksamkeit ihnen jetzt zusätzliche Sicherheit verschafft. Zwar stellt die Jugend im Gaza-Streifen die Mehrheit dar – über 70 Prozent der 1,6 Millionen Menschen sind jünger als 30 – doch politische Macht haben sie keine.
„Wir leben wirklich in einem Albtraum, eingeschlossen in einem Alptraum.“
Seit 2007 ist der Gaza-Streifen nahezu vollständig von der Außenwelt abgeschlossen. Die Ein- und Ausreise ist nicht gestattet. Nur ganz bestimmte Waren, etwa Medikamente, Lebensmittel und Treibstoffe, dürfen in beschränkten Mengen importiert werden. Die Blockade ist eine Reaktion Israels auf den anhaltendenden Raketenbeschuss, nachdem die islamistische Hamas 2007 die Wahlen gewann. Mit der Blockade sollte Druck auf die Hamas ausgeübt werden. Am schwersten davon betroffen ist aber natürlich die Bevölkerung. Zwei aufsehenerregende Versuche im letzten Jahr, die Blockade über den Seeweg zu durchbrechen, sind am Widerstand Israels gescheitert. Mehr als 20 Aktivisten kamen dabei ums Leben. Die Wirtschaft ist durch die Blockade am Boden. Es gibt kaum Arbeit, keine Perspektiven, schon gar nicht für hochqualifizierte Hochschulabsolventen. Selbst mit einem Stipendium an einer ausländischen Universität besteht für die jungen Studenten keine Möglichkeit ihrer Situation zu entkommen.
„Wir schreien mit der ganzen Kraft unserer Seele, um die riesige Frustration rauszulassen, die uns auffrisst.“
Am 30. November 2010 wurde von der Hamas das Scharek-Jugendforum geschlossen, eine der letzten politisch unabhängigen, säkularen Jugendorganisationen. Man darf sich das nicht vorstellen, wie die Schließung eines deutschen Jugendzentrums. Unter dem Vorwand, pornografische Bilder auf den Dienstcomputern gefunden zu haben, stürmten bewaffnete Offiziere der Hamas die Büros der Organisation. Sie verhafteten einige Mitarbeiter und haben die Jugendarbeit von Scharek komplett verboten. Dass das Jahr 2011 von Hamas-Premierminister Ismail Haniyeh zum „Jahr der Jugend“ ausgerufen wurde, kann den Jugendlichen unter diesen Umständen nicht mal mehr ein müdes Lächeln abgewinnen. Als sie einige Tage später friedlich gegen die Schließung des Zentrums demonstrierten, wurden sie von den Sicherheitskräften zusammengeschlagen und teilweise verhaftet.
Schließlich ist den jungen Menschen endgültig der Kragen geplatzt. Und so wurde das besagte Manifest verfasst. Der Zorn der Verfasser entlädt sich in alle Richtungen: „Fuck Israel. Fuck Hamas. Fuck Fatah. Fuck UN. Fuck UNRWA. Fuck USA!“ Dem drastischen Anfang folgt die nüchterne Analyse ihrer Gesamtsituation, die sie nicht mehr aushalten können. Sie fordern, dass sich endlich etwas ändert.
„Wir wollen drei Dinge: Wir wollen frei sein. Wir wollen ein normales Leben leben können. Wir wollen Frieden. Ist das zu viel verlangt?“
Ihre eindeutige Botschaft haben sie durch das Internet an die Welt geschickt. An eine Welt, von der sie sich vergessen fühlten. Doch innerhalb von wenigen Wochen haben sie mehr als 19.000 Unterstützer auf ihrer Facebook-Seite gewonnen. Ihr Manifest wurde in 21 Sprachen übersetzt und von zahlreichen Medien aufgegriffen. Dieses gewaltige Echo, mit dem sie selbst nie gerechnet hätten, macht den Verfassern neuen Mut. Vielleicht auch anderen Jugendlichen im Gaza-Streifen, die sich bisher aus Angst vor Verhaftung und Folter nicht getraut haben, für ihre Meinung und ihre Rechte einzutreten. Dazu sorgen die jüngsten Entwicklungen in Tunesien und im Nachbarland Ägypten natürlich auch angeregte Diskussionen und zusätzliche Motivation. Der virtuelle Hilferuf wurde auf jeden Fall gehört.
Teaserfoto: Smail Azri
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