Perfekter Sex?

Vom Lecken, Lachen, Lieben

Leonie hatte schon viel Sex in ihrem Leben. Doch was ist perfekter Sex? Darüber hat sie sich  noch nie so richtig Gedanken gemacht. Es ist ja auch immer wieder etwas anderes – bedingt durch die Person, mit der man schläft, durch den Zustand, in dem man sich gerade befindet, durch die gesamte Stimmung. Wann ist es gut? Wenn man Spaß hat! Wann ist es perfekt? Keine Ahnung. Wenn man kommt? Wenn beide kommen? Gibt es überhaupt den perfekten Sex? SPIESSER-Autorin Leonie wollte es wissen. Bepackt mit Ergebnissen einer kleinen Online-Recherche traf sie Menschen, die ganz unterschiedliche Sexleben führen. Beim Kaffeeklatsch, in der Kneipe oder über Skype sprachen sie mit ihr über den schönsten Sport der Welt.

12. February 2016 - 13:18
SPIESSER-Autorin LeoOleo.
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LeoOleo Offline
Beigetreten: 01.12.2012

Wie man das heutzutage so macht, um etwas herauszufinden, google ich als erstes „perfekter Sex“. Später will ich meine Gesprächspartner mit einigen meiner Funde  konfrontieren. Die ersten drei Ergebnisse: „Schlechter Sex: 11 Tipps für perfekte Nächte …“,  „Spaß am Sex: So werden Sie zur perfekten Verführerin“,„Die 30 besten Sex Tipps: Tipps für  richtig guten Sex“. Ich bin gespannt und klicke mich durch. Im ersten Artikel erfahre ich, dass  Sex nicht immer „orgiastisch, wild und weltbewegend sein“ müsse. Das Leben sei  nämlich kein Pornofilm! Außerdem: „Wenn du ihn magst (…), täusche ihm einen Orgasmus  vor.“ Interessant. „Das ist ja völliger Schwachsinn“, empört sich Maximilian* (24), der seit  zwei Jahren als happy Single ein ausgelassenes Sexualleben führt.

„Da bescheißt man sich ja nur selbst.“ Weil der junge Kulturwissenschaftsstudent einfach  gern über eine seiner Lieblingsbeschäftigungen redet, ließ ich mich von ihm zu einem  warmen Tee in sein gemütliches Dachbodenzimmer einladen. David* (23) ist ähnlicher  Meinung: „Ich glaube, Ehrlichkeit ist da entspannter und stressfreier.“ Er ist homosexuell –  eine Verbindung zu Frauen würde er aber nicht ausschließen. „Man will ja auch, dass es für einen selbst was bringt. Wenn ich nicht komme, dann war’s für mich halt einmal nicht so  guter Sex.“ Auch Jessi* (25), lesbisch und seit sieben Jahren in einer festen Beziehung, lehnt  einen vorgetäuschten Orgasmus rigoros ab. „Ich würde das auch sofort merken. Wenn man so tut als ob und dann fällt’s voll auf und man spricht nicht drüber. Das macht das ja dann  eher awkward.“

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Also keinen Orgasmus vortäuschen. Wichtig ist er trotzdem. „Klar, wichtig ist natürlich, dass beide befriedigt aus der Sache rausgehen“, findet Jessi. Im Hintergrund unseres Skypegesprächs hört man immer wieder das Kichern ihrer Freundin. Maximilian sieht das  differenzierter: „Bei viel Sex passiert erfahrungsgemäß auch mal, dass man nicht kommt und  es ist trotzdem geil“, sagt er. Marie* wechselt zwischen Beziehungs- und Solo-Leben, wobei  sie auch schon Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht gemacht hat. Sie glaubt, dass die meisten vermutlich vor allem den Partner befriedigt sehen wollen. Ihr eigener Orgasmus ist für sie zumindest erstmal zweitrangig. „Natürlich ist das geil und setzt immer noch was  drauf, aber ich hatte auch schon total guten Sex ohne.“

Meiner Meinung nach ist Sex viel mehr, als auf einen Orgasmus hinzuarbeiten. Es ist diese zwischenmenschliche Verbindung, die Zärtlichkeit und Vertrautheit – und das auch bei Sex außerhalb einer Beziehung. Als ich mit 17 meine erste Verbindung beendete, wurde ich offener gegenüber One-Night-Stands. Vorher noch ziemlich zurückhaltend, lebte ich mein Sexualleben dann richtig aus. Ich entdeckte, dass ich absolut kein Beziehungsmensch bin und versuchte es seitdem zweimal mit einer sogenannten offenen. Die erste scheiterte, die zweite hat eigentlich ganz gut geklappt. Trennungsgrund war jedenfalls nicht die fehlende  Monogamie. Und der Sex? Naja, unterschiedlich. Wie mit wechselnden Partnern eben auch.

„Ich hatte sehr gute Erfahrungen mit One-Night-Stands“, Maximilian findet es nicht so  wichtig, die andere Person gut zu kennen. „Man hat sich an dem Abend kennengelernt, sich  gut unterhalten und Sex gehabt. Auf diese Weise eine Person kennenzulernen, ist auch  schön“, sagt er gedankenverloren. Es seien eben andere Emotionen, die da mit hineinspielen. Auch Yacin* lebt nicht monogam. Er ist zwar in einer Beziehung, aber beide dürfen  „fremdgehen“, und auch zusammen kriegen sie ab und an mal „Besuch“.

Es ist etwas zwischen Polyamorie und offener Beziehung. Polyamorie bedeutet grob gesagt, Liebesbeziehungen mit mehr als nur einem Menschen zu führen. Verschiedene Studien dazu haben das Ergebnis, dass etwa 25 bis 50 Prozent der Probanden angaben, dass sie zeitweilig nicht monogam leben. Vor drei Jahren hätte Yacin sich seinen heutigen Lebensstil vermutlich nicht vorstellen können. Heute sieht der junge Volontär das anders. „Mir ist aufgefallen, dass  meine Partnerin gewisse homosexuelle Neigungen hat und genau das wollte ich nicht  unterdrücken. Denn das kann nicht gut gehen, das muss ja irgendwann schief laufen“, sagt  er und nippt an seinem Getränk. Es ist dieses Natürliche von Sex, auf das auch die neben ihm sitzende Marie anspricht: „Sexualität darf nicht unterdrückt werden!“

Das sei nicht gesund. Yacin sieht Sexualität generell als Privatsache. „Ich will überhaupt nicht wissen, wenn da irgendwas ist. Es geht mich auch gar nichts an.“ Dass es gesellschaftlich  leider nicht ganz so tolerant zugeht, weiß er durchaus, weshalb er seinen polygamen   Lebensstil nicht jedem anvertraut. „Ich habe festgestellt, dass mir manche Dinge mit einigen Personen Spaß machen und mit anderen wieder nicht. Ebenso kann mir mit der einen Person etwas Spaß machen, ein andermal nicht.“

Ich muss nachdenken. Ich wurde oft schräg angeschaut, wenn ich von meiner offenen  Beziehung erzählte. Ich liege gern auch mal im Bett einer anderen Person. Dass ich deshalb  weniger Gefühle für meinen Partner hatte, kann ich definitiv abstreiten. Er war immer noch  die Person, auf dessen Schoß ich mich setzen, in dessen Arm ich am Ende liegen und mit dem ich über Gott und die Welt reden wollte. Gefühle sind etwas total Irrationales, wer will mir  denn da erzählen, dass das mit dem Sex so nicht funktioniert? Maik* (23) versteht mich.  Auch wenn er asexuell ist, hat er durchaus schon sexuelle Erfahrungen gemacht. Er definiert seine Asexualität eher als ein fehlendes Bedürfnis. Die Intimität spielt eine Rolle, nicht der Sex: „Für mich ist Sex quasi nur Zuneigung, das Beisammensein. Das hört sich voll kitschig an,  aber das ist wie so ’ne Seelenberührung.“ Den Sexualakt vollziehe er nur, wenn er merkt, dass es für die andere Person wichtig ist. Genuss empfände er daran aber nicht wirklich. „Es wäre  sogar eine Erleichterung, wenn es nicht dazu kommen würde“, sagt er ohne eine Miene zu  verziehen.

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Bei meiner Recherche klicke ich den zweiten Artikel an. Sexspiele werden empfohlen, mehr  Sinnlichkeit und eine erotische Sprache, was von dort zitierter Sexexpertin wie folgt erklärt  wird: „Gesprochener Sex zündet bei Männern immer, weil er mit Worten ein pornografisches Bild malt und dieses Bild gleichzeitig mit fühlbaren Handlungen verstärkt“. Yacin ist  abgeneigt: „Find ich merkwürdig, wenn Menschen im Bett anders reden, als sonst.“ David,  der sich während meiner Zitatlese ein neues Glas einschenkt, muss lachen. „Ich glaube, ich  fände das witzig. So was wie ‚schlag mich’. Witziger Sex halt.“ „Ja, witzig ist wichtig“, meint  Maik. Beide sitzen an einem Freitagabend auf meiner Couch. „Ich finde, man muss immer mit einem Funken Ironie dran gehen und darf das nicht als hardcore-ernsten Porno ansehen. Ich  meine, das ist schließlich was Dreckiges, nichts komplett Steriles, wo man zwei Roboter  aufeinander rammt. Es ist irgendwie animalisch und dann ist es gut, wenn da auch was  Lustiges dabei ist.“

Da muss ich an eine Nacht denken, in der ich fast einen Lachanfall bekam. Aus irgendeinem Grund hatte mein Partner Probleme mit dem Öffnen meiner Hose. Er stellte sich auch ein  bisschen blöd an, veräppelte sich dabei aber selbst so herrlich, dass ich nicht aufhören konnte, zu lachen. Daraus wurde der beste Sex seit langem.

Ich checke den letzten Artikel aus: In einer Bildergalerie wird genau erklärt, was man für besseren Sex aktiv machen könne. Ein gutes Vorspiel, heißt es dort, sei für guten Sex  unablässig. Und: „Männer, die es im Bett wirklich draufhaben, vergessen niemals beim  Vögeln die Klitoris zu streicheln. Die Geschichte vom vaginalen Orgasmus ist kompletter Bullshit.“ „Das Zitat ist ziemlicher Bullshit!“, kontert Maximilian. „Also ich hatte Frauen, die  standen nicht so drauf und andere brauchen das voll. Das ist von Frau zu Frau total  unterschiedlich.“

Marie kann das bestätigen. „Beide Orgasmen haben ihre wunderschönen Momente.“ Ein  vaginaler Orgasmus käme bei ihr zwar auch nicht immer so leicht, aber es läge eben auch  daran, wie man es macht. „Nicht zu grob, nicht zu fest, nicht zu schnell. Ein klitoraler  Orgasmus kann sehr schnell kommen, die Klitoris ist unglaublich empfindlich, das darf man  icht vergessen.“ Jessi sieht darin eine Definitionssache. „Du kannst ja auch vom Fingern  unterschiedliche Orgasmen haben, es kann sich unterschiedlich tief anfühlen.“ Penetration sei natürlich Teil des Sexes zwischen Frauen, aber ein sehr starker Fokus läge eben doch auf der  Klitoris. „Insofern ist das natürlich eine der wichtigsten Sachen, dass man da ‚unterwegs‘ ist“, sagt sie lachend.

Einig sind sich allerdings alle beim Thema Vorspiel: „Je länger das Vorspiel, desto geiler wird  man, desto intensiver wird’s“, weiß Jessi und muss schmunzeln. Dabei gibt es  unterschiedliche Vorlieben. Während Jessi Berührungen an ihren Brüsten anmachen, leckt Maximilian „unglaublich gern“ die Vulva einer Frau, mag aber auch, einen geblasen oder  Streicheleinheiten an der Brust zu bekommen. Marie steht darauf, gepackt zu werden, an den Hüften zum Beispiel. David und Maik ziehen das Streicheln vor, wobei Maik eine erogene  Zone am inneren Oberarm hat. „Das genieße ich tatsächlich mehr, als jetzt wirklich zu  kommen“, sagt er. Yacins Reizstelle ist das Ohr. Allerdings: „Es ist auch oft die pure Ästhetik,  die dann reicht. Es gibt so viele verschiedene Formen von Schönheit.“ Wenn die Frau nicht  weiß, was sie will, hat der Mann keine Chance Da gibt es auch das Gerücht, Frauen können  Frauen besser befriedigen, weil sie selbst wissen, was am besten da unten läuft. Als  bisexueller Mensch kann ich das nicht bestätigen. Klar legen Frauen ein unglaubliches   Fingerspitzengefühl an den Tag, aber Männer müssen das nicht unbedingt weniger gut   können. „Ich glaube, dass manchen Männern nicht so bewusst ist, was da für ein Feingefühl  dazugehört“, meint Marie mit Blick nach oben, als spiele sich gerade alles in ihrem Kopf ab.  „Du kannst nicht wissen, wo wann genau wie gedrückt werden muss. Im Endeffekt muss  man mit der anderen Person darüber reden: Wie ist das, wie gefällt dir das … da gibt es keine Anleitung für!“ „Aber wenn die Frau selber nicht weiß, wie sie zum Orgasmus kommt, dann  kann der Mann einfach nichts machen“, ist sich Yacin sicher. „Das ist mir bereits mehrmals  schmerzlich aufgefallen, da kannst du noch so sehr rumprobieren.“ Deshalb sei auch  gelegentliche Selbstbefriedigung von Relevanz. Nicht nur zum Herantasten an die eigenen Bedürfnisse. „Ich finde einfach generell, dass Sexualität unglaublich wichtig ist. Jeder hat  einen anderen Zugang zu seiner eigenen Sexualität, manche weniger, manche mehr, aber ich finde, jeder sollte sich zumindest damit befassen, was gefällt, was man braucht, und   Selbstbefriedigung trägt da einen sehr großen Teil zu bei.“

Sex ist am Ende also doch für jeden irgendwie anders. Gibt es dann überhaupt den  perfekten? „Ich glaube, er ist perfekt, wenn er halt nicht so perfekt ist“, meint Yacin. Man  solle sich von Erwartungen freimachen, findet Maximilian. Perfekt sei es, wenn ein ausgeglichenes Dominanzverhältnis herrscht, es ungezwungen und natürlich ist und man sich dem völlig hingeben kann. „Dass man so ein bisschen verschmilzt“, fügt Marie hinzu. Und: „Man darf keine Angst haben, verurteilt zu werden, das ist ganz schrecklich!“ Und viel  knutschen natürlich. Und kuscheln danach. Denn ein Abschluss sei auch sehr wichtig. Ein Rezept für den besten Sex gibt es also nicht, hier und da aber ein paar Zutaten, mit denen  man nie falsch liegt. Klar wird: Wichtig sind Offenheit, Spaß und eine Mischung aus Egoismus und die Rücksicht darauf, dass der Partner nicht zu kurz kommt. „Eben dieses Spiel, das zu  zweit geführt und in dem ausprobiert wird, wie weit man gehen kann, dass am Ende beide  glücklich damit sind und das Ganze noch mal auf eine neue Ebene gebracht hat“, sagt Maximilian.

*Namen durch die Redaktion geändert

Text: Leonie Ruhland
Grafik: Anja Nier

 

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