Besonders nach dem Abitur reisen viele junge Deutsche in Länder des globalen Südens, um dort einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Wie das die Menschen vor Ort und besonders in ihrer Gastregion in Gambia eigentlich finden, fragt unsere Autorin Nana in diesem Artikel.
04. November 2019 - 09:15 SPIESSER-Autorin nana_nessaja.
Zuletzt las ich einen Artikel in der NZZ über eine US-amerikanische Highschool-Absolventin, die in Tansania von Müttern für den Tod ihrer Kinder angeklagt wird, da sie sich als Ärztin ausgegeben und ohne irgendwelches Fachwissen versucht hatte Unterernährung „zu bekämpfen“. Diese erschreckende Geschichte zeigt zugespitzt einige Problematiken auf, die das Konzept von Freiwilligendiensten in Ländern des globalen Südens in sich trägt.
Jedes Jahr brechen tausende zumeist junge, unausgebildete, europäische und überwiegend weiße Freiwillige in strukturell ärmere Länder auf, um dort in sozialen Projekten mitzuarbeiten. Nach 2015 lange in der Vermittlung tätig, aber nicht zuletzt auch davor als 18-jährige Abiturientin und Freiwillige, sah ich mich mit Fragen danach konfrontiert, ob, warum und mit welcher Rechtfertigung es eigentlich sinnvoll sei, ein Jahr in Gambia zu verbringen. Studien zu dem Thema konzentrieren sich zumeist darauf, ob deutsche Freiwillige das Gefühl hätten, einen gesellschaftlichen Beitrag in ihren Gastländern zu leisten. Weniger gefragt werden leider häufig die Menschen vor Ort, seien es Arbeitskolleginnen und -kollegen, Gastfamilien oder einfach Leute, die mit den Freiwilligen in ihrer Freizeit in Kontakt kommen.
Filmtipp: Blickwechsel – Sichtweisen auf deutsche Freiwillige
Die „VolNet“-Mitglieder Christian Weinert und Ferdinand Carrière haben einen Film gedreht, in dem ausschließlich Menschen zu Wort kommen, die mit deutschen Freiwilligen in Südafrika, Ghana und Gambia in Kontakt gehabt haben. Ein vielfältiger, nachdenklich machender und lebendiger Blick auf das Thema Freiwilligendienste! Den Film findet ihr hier!
Good Volunteer, Bad Volunteer
Vor allem in den ersten Wochen in Gunjur war ich öfter verunsichert davon, wie ich als Freiwillige von den Menschen wahrgenommen wurde und werden würde. Dabei wusste ich, dass viele schon zuvor mit anderen Freiwilligen zu tun gehabt hatten und dass auch mein Verhalten den Blick auf Europäerinnen und Europäer weiter mitprägen würde. Ich war bestrebt, eine „gute“ Freiwillige zu sein. Dass ich als Weiße in einem Ort, der südlich der touristischen Region liegt, Aufmerksamkeit erregen würde, stand schon nach einem ersten Spaziergang durch meine Straße außer Frage.
Nicht nur viele Kinder waren neugierig auf mich, auch wenn diese das am lautesten kundtaten, indem sie mir „Tubab!“ („Weiße!“) entgegenriefen. Bildhaft für das Interesse Erwachsener war ein Skypegespräch, das meine Mitfreiwillige Mona drei Wochen nach unserer Ankunft im Internetcafé überhörte: Ein junger Typ, mit dem niemand von uns bis dahin aktiv zu tun gehabt hatte, berichtete einer Bekannten, dass es jetzt vier weiße „volunteers“ vor Ort gäbe und listete die ihm schon zugetragenen unserer Eigenschaften auf: M. beschrieb er als still, M. als nett und sportlich und mich als unfassbar lustig – keine schlechte Charakterisierung.
Nicht oft erzählten mir Menschen in Gambia direkt, was sie über europäische Freiwillige denken – wahrscheinlich, weil ich dieser Gruppe angehörte und wahrscheinlich auch, weil ich nicht oft direkt danach fragte. Und in den Zeiten, wo ich noch kaum Mandinka verstand, fiel es mir – vielleicht zum Glück – schwer, Gespräche zwischen Gambierinnen und Gambiern über das Thema zu verfolgen. Trotzdem sog ich jeden Kommentar auf, der über Deutsche X und Briten Y gemacht wurde. Die Meinungen waren divers: Da gab es zahlreiche Anekdoten über einzelne Freiwillige, individuelles Lob und Kritik. Die Ansicht, dass diese Europäerinnen und Europäer etwas zur Community beitragen würden und die, dass es ganz egal wäre, ob sie da wären oder dass sie zu Hause mehr ausrichten könnten. Ein Bekannter verdächtigte Freiwillige, mit ihren Erfahrungen in Europa hausieren zu gehen und z. B. durch Buchprojekte viel Geld zu machen.
Besonders in Erinnerung blieb mir die persönliche Enttäuschung einiger Bekannter darüber, dass Freiwillige nach ihrer Rückkehr nach Hause gar kein Interesse mehr an ihnen gezeigt hätten.
Weiße Weisheit?!
Ein paar Mal schockierten mich Menschen, mit einer aus meiner Sicht unangemessenen Ehrfurcht, die sie Freiwilligen gegenüber an den Tag legten. Ein Bootsfahrer wollte partout kein Geld von mir und meinen Mitfreiwilligen annehmen, da wir ja Gutes für sein Land täten. Dass wir selber am meisten von unserem Aufenthalt profitierten, sagten wir nicht und fühlten uns beschämt.
Dass einige Europäerinnen und Europäer – selbst wenn sie erst 18 und vollkommen blauäugig sind – von Gambierinnen und Gambiern bei bestimmten Themen als Autoritäten betrachtet wurden, hat mich ziemlich schockiert. So kamen Kumpels meiner Gastbrüder zu mir gelaufen, um mich um Medikamente zu bitten. Dass ich nicht in der Position bin, Ärztin zu spielen, haben nur manche von ihnen eingesehen. Ich befürchte, dass postkoloniale Strukturen und westliche Charity-Organisationen zu diesem manchmal verklärten Bild vom Weißen als gut ausgebildeten Experten beitragen.
Meine Unzulänglichkeiten wurden aber spätestens klar, wenn ich begann, auf der Terrasse unseres Hauses meine Kleider per Hand zu waschen: Sofort versammelte sich eine ganze Traube von Menschen auf unserem Hof, um diesem amüsanten Auftritt beizuwohnen.
Leute, die die Gelegenheit hatten, näher mit Freiwilligen zusammenzuarbeiten, neigten nicht zur Verklärung und waren im Blick auf unsere Kenntnisse, Fähigkeiten und Intentionen skeptischer. Sie waren sich eher bewusst, wie jung, naiv und unausgebildet viele von uns sind. Den Umstand, dass ich wie viele andere in einer Schule assistierte, ohne die Absicht Lehramt zu studieren, fand meine Kollegin zu Recht komisch. Von einer Freiwilligen wurde berichtet, dass sie die Schulleitung vor den Kopf gestoßen hatte.
Generell schienen Meinungen sehr viel damit zu tun zu haben, ob regelmäßiger und enger Kontakt zu Freiwilligen bestand – die gambischen Mitglieder meines Vereins „VolNet“ hatten teilweise schon über zehn Jahre Erfahrung mit der Begleitung von Freiwilligen gehabt. Sie waren mit Freiwilligen befreundet oder sogar zusammen gewesen oder hatten versucht, trotz Antipathie, Missverständnissen und Streit mit ihnen auszukommen. Ihr Engagement hatte in den meisten Fällen mit bestimmten prägenden Begegnungen mit Freiwilligen zu tun, die sie dazu ermuntert hatten, den Verein kennenzulernen.
Viele Menschen in Gunjur, die keine solchen persönlichen Beziehungen geführt haben, hatten bisher aber vielleicht nicht mal Anlass, eine klare Meinung zum Thema zu entwickeln: Wie merkwürdig mir das Phänomen von Freiwilligendiensten – auch dank der kritischen Auseinandersetzung damit, die meine Entsendeorganisation „VolNet“ angestoßen hat – auch vorkommt und wie groß mein Interesse daran auch sein mag – in Gambia gehören europäische Freiwillige eben auch seit Jahrzehnten zur Realität und Normalität.
Text: Nana Tigges
Teaserbild: VolNet-Mitglieder, Mitfreiwillige und Autorin Nana am Strand von Gunjur, Foto von Franziska Bax
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