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Zinzi Clemmons: „Was verloren geht“

Der Debütroman der jungen Amerikanerin Zinzi Clemmons ist einer, der den Finger in die Wunde legt. Und diese ist groß.

31. May 2019 - 09:35
SPIESSER-Autorin piapan.
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piapan Offline
Beigetreten: 25.06.2014

Worum geht’s?

Es geht um eine junge Frau namens Thandi, die der Autorin ähnlich ist. Wie die Schriftstellerin selbst hat sie krause Locken und helle Haut, da ihre Mutter Afrikanerin und ihr Vater weiß ist.

Als ihre Mutter an Krebs erkrankt, muss sie mit dem Verlust fertig werden und ihre eigene Identität finden. Sie stürzt sich kopfüber in eine Beziehung und wird nach einiger Zeit schwanger. Da es eine Fernbeziehung ist, hadert sie mit dem Gedanken die Schwangerschaft anzunehmen. Auch weil beide Beteiligten nicht ihren Wohnort verlassen wollen. Schließlich heiraten sie doch. Thandi erlebt anschließend nicht bloß den Verlust ihrer Mutter, sondern auch das Zerbrechen ihrer Ehe und das Aufwachsen ihres Kindes. Das sind Themen, die unter die Haut gehen und nachhaltig prägen. Trotzdem ist niemand davor gefeit, mit Verlusten umgehen zu müssen oder die Liebe zum eigenen Kind entdecken zu dürfen.

Das Krebsleiden der Mutter beginnt tragischerweise, als Thandi noch sehr jung ist. Weil sie eine Schwarze ist, erlaubt sie sich nicht zu jammern. Glücklicherweise ist die Familie finanziell gut aufgestellt und kann der Mutter einen Aufenthalt in einem guten Hospiz ermöglichen, was Thandi nicht als Selbstverständlichkeit sieht.

„Was verloren geht“

Autor: Zinzi Clemmons
Veröffentlichung: 29. März 2019
Seitenzahl: 240

Ich finde viele Gedanken aus dem Buch nachvollziehbar, klug und treffend ausgedrückt. Wenn man es nicht so lange lesen kann, liegt das nicht an der Art wie es geschrieben ist, sondern an den bedrückenden Themen. Hin und wieder gibt es auch sehr schöne Momente, voller Hoffnung und Lebensmut. Das Tolle ist, dass die Protagonistin sich nicht dem Schmerz ergibt, sondern kämpft und wütend wird und sich schlussendlich erholt. Sie lernt mit dem Verlust umzugehen und entscheidet sich für das Leben. Ihr eigenes, und das ihres Kindes.

Wer steckt dahinter?

Das Buch hat autobiografische Züge, denn Zinzi Clemmons hat selbst den Verlust ihrer Mutter verschmerzen müssen. Die Autorin wuchs in Philadelphia auf, ist 34 Jahre alt und bekam eine Auszeichnung für ihren Debütroman. Heute ist sie verheiratet und lebt in LA. Kinder hat sie noch keine.

Kurz und knapp oder dicker Schinken?

Der Roman ist ziemlich knapp geschrieben. Im Verlauf der Geschichte wird nicht jeder Gedanke, der sich unweigerlich aufdrängt, auch ausführlich beschrieben. Das Buch wird zum Ende hin immer fragmentarischer. Die Erzählung wird mit Blog-Einträgen, Emails und Zeitungsauschnitten gespickt, sodass sich das große Ganze erst ergibt, wenn man alles miteinander in Verbindung bringt.

Für die Bahn, den Sessel oder den Pausenhof?

Definitiv ist eine Sitzgelegenheit während des Lesens zu empfehlen, denn mitunter liest man ziemlich harten Tobak. Es geht um Leben und Tod. Ich habe versucht, die Geschichte woanders als zu Hause zu lesen, aber es ist mir nicht geglückt.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwer ist es, das Buch wegzulegen?

Für mich war es zu bedrückend, das Buch in einem Rutsch durchzulesen. Daher vergebe ich eine 5. Außerdem sind die Kapitel stellenweise recht kurz und man kann Thandis Gedanken nachhallen lassen, während man eine Pause einlegt. Ich habe mir noch ein paar eigene Gedanken dazu gemacht, weil ich nicht immer konform war mit der Art, wie Thandi ihren Verlust erträgt. Trotzdem ist es spannend zu lesen, wie jemand anders denkt.

Wem borgt man es nach dem Lesen als erstes?

Man kann es jedem borgen, der sich mit Verlusten, Identitätsfragen und deren Bewältigung auseinandersetzen möchte. Allerdings werden in dem Roman Fragen aufgeworfen ohne endgültigen Antworten. Die Antworten, die Thandi findet, wären nicht meine eigenen, weil ich ein völlig anderer Mensch bin. In vielen Momenten ist der Leser damit auf sich allein gestellt. Genau wie die Protagonistin muss er sich fragen, wie er damit umgeht: „Warum ich und welcher Mensch wäre ich geworden, wenn mir das nicht passiert wäre?“ Ein Patentrezept, das für jeden funktioniert, gibt es eben nicht.

Lieblingszitat:

„Liebe und Ehe sind zwei komplett verschiedene Unterfangen. Die Ehe hat so wenig Ähnlichkeit mit der Liebe wie die Teilnahme an den Olympischen Spielen mit dem Joggen am Nachmittag. Manchmal überlege ich, mit Bedauern, was aus unserer Liebe hätte werden können, wenn wir sie nicht mit einer Schwangerschaft und dann noch einer Ehe – dem Äquivalent zu zwei rasenden Sattelzügen – vor die Wand gefahren hätten.“

In drei Worten:

real, authentisch, wütend

Text & Teaserbild: Patricia Linß
Coverfoto: ullstein buchverlage

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