Annika,17: Steht auf Gerechtigkeit und Zähnezusammenbeißen
Schon in der Schule zeichnet sich ab, was sich in der Uni fortsetzt: Schüler lassen sich von Ärzten krankschreiben, um Klausuren zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können. Einige Universitäten und Fachhochschulen wollen daher von Studenten neben den ärztlichen Krankschreibungen auch eine detaillierte Beschreibung ihres Gesundheitszustandes durch einen Arzt fordern. Natürlich protestieren viele Studenten, die ihre Privatsphäre in Gefahr sehen, aber sollte nicht die Gleichberechtigung aller Studenten im Vordergrund stehen?
Ich selber habe schon oft mitbekommen, wie Mitschüler sich von Ärzten ein Attest für den Tag einer Klausur haben geben lassen, weil sie nicht gelernt hatten. Jeder sollte sich daher fragen: Ist es gerecht, dass einige Studenten hart arbeiten, um eine gute Note zu bekommen und andere sich dagegen wegen den kleinsten Kleinigkeiten drücken können oder weil sie schlicht zu faul waren, um sich wirklich anzustrengen? Jeder kennt wahrscheinlich die Nervosität, die sich breitmacht, wenn ein wichtiges Ereignis, wie beispielsweise eine Klausur, ansteht. Da kann es leicht zu aufregungsbedingten Bauchschmerzen kommen, aber ist das ein Grund, sich von diesem Ereignis mal eben zu kneifen? Man muss es ja doch irgendwann nachholen und nervös ist man dann immer noch.
Natürlich ist Datenschutz sehr wichtig, aber Universitäten und Fachhochschulen sollten ein Recht haben, zu erfahren, ob ihre Studenten ihrem Programm überhaupt gewachsen sind. Der geforderte Bericht über den Gesundheitszustand eines Studenten bei einem Attest für einen Klausurtag sollte eine Ausnahme aus der Schweigeplicht der Ärzte bilden, da dieser Bericht nur für die Universität/Fachhochschule bestimmt wäre.
Außerdem finde ich es nicht richtig, wenn Ärzte wegen banalen Dingen wie beispielsweise einer Erkältung einen Schüler oder Studenten von einer Klausur befreien. Natürlich geht es einem mit einer Erkältung nicht gut, aber Klausuren dauern auch nicht den ganzen Tag und da der Arzt sowieso Medikamente verschreibt, kann man sich auch mal zusammenreißen. Wie sollen Studenten im späteren Berufsleben zu Recht kommen, wenn sie schwierige Situationen immer nur meiden?
Man sollte also darüber nachdenken, was wichtiger ist: Gleichberechtigung und die Fähigkeit, anspruchsvolle Situationen meistern zu können oder Datenschutz, der es Studenten ermöglicht, sich einen Vorteil gegenüber anderen zu erschleichen?
Teaserbild: Lena Schulze
Adrian,19: Kämpft für Schweigepflicht und Grundvertrauen
Als Antwort auf den Germanwings-Absturz im März 2016, verursacht durch den Selbstmord des Copiloten, forderte der CDU-Politiker Dirk Fischer eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht für sensible Berufe, wie den des Piloten. Was erstmal vernünftig klingt, finden Ärzte gänzlich unvernünftig. Noch unvernünftiger klingt da ein ähnlicher Vorschlag bezogen auf Studierende: Künftig sollen einzig Atteste mit der Beschreibung von Krankheitssymptomen und deren Auswirkungen bei Prüfungskrankschreibungen an Unis gelten. Möglich wäre das nur, wenn Studenten ihre Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Studenten hätten in dem Fall keine Wahl: Sie müssten Auskunft über ihr Krankheitsbild geben, sofern ihnen ihre Prüfung wichtig ist. Wo sonst jeder „Erpressung“ schreit, fordern Dozenten in Stralsund derzeit ohne mit der Wimper zu zucken einen massiven Eingriff in die ärztliche Schweigepflicht. Diese stützt sich mit gutem Grund auf das Recht der informellen Selbstbestimmung und genießt damit Verfassungsrang. Schließlich ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient eine besondere, die in hohem Maße schützenswert ist und nicht dem Misstrauen zwischen Lehrenden und Studenten zum Opfer fallen darf.
Wer zum Arzt geht erwartet, dass das Besprochene und Diagnostizierte unter vier Augen bleibt. Vor allem die Krankheitssymptome sind gewiss nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Den Professor sucht sich niemand aus – er ist die Öffentlichkeit. Ob Kopfschmerzen und verstopfte Nase geheim sein müssen, spielt dabei keine Rolle, denn wo das Schamgefühl beginnt, entscheidet der Patient. Wer seine Krankheiten nicht mitteilen möchte, wird das in Zukunft auch nicht tun. Die Option ist, auf den Arztbesuch zu verzichten. Damit ist jedoch keinem gedient.
Außerdem ist der Vorschlag unpraktikabel. Schließlich ist nicht gesagt, dass die Ärzte das Spiel mitspielen. Auch sie wissen um das Vertrauen als Teil ihres Berufs und, dass nicht jeder Kopfschmerz aufwendig diagnostiziert werden muss. Wer mit brummendem Schädel zum Arzt geht, bekommt sein Attest. Kein Arzt schickt seinen Patienten dafür in die Röhre. Anders schaut das aus, wenn Krankheitsbilder künftig im Attest verewigt werden müssten. Was der Arzt unterschreibt, kann im Zweifel rechtliche Folgen auslösen. Dann müsste künftig jeder Kopfschmerz diagnostiziert werden, um Fehldiagnosen auszuschließen. Das macht kein Arzt. Das Patientengespräch für eine Krankschreibung dauert in der Regel wenige Minuten. Hier mehr zu erwarten, zielt an jeder Lebensrealität vorbei und ist im schnellen Arztbetrieb völlig realitätsfern.
Dass an vielen Universitäten ein Misstrauen zwischen Dozenten und Studenten herrscht, ist traurig. Die ärztliche Schweigepflicht diesem zu opfern, wäre gefährlich. Ist sie erst für Studenten gelockert, ist es bis zu Beamten, Arbeitnehmern oder Schülern nicht mehr weit. Da bin ich mir sicher.