Was gibt es im Winter Schöneres, als einen schneebedeckten Berg runterzurodeln? Aus Schneemangel saß SPIESSER-Autorin Anne jedoch seit ein paar Jahren nicht mehr auf einem Schlitten. Für den SPIESSER-Härtetest hat sie sich jetzt sogar auf einem Rennrodel-Schlitten in den Eiskanal gestürzt.
16. March 2016 - 14:18 SPIESSER-Autorin happy.hippie60.
An einem sonnigen Dezembermorgen mache ich mich auf den Weg nach Altenberg. In dieser Kleinstadt im Erzgebirge soll ich heute ein Rennrodeltraining mitmachen. Schon auf der Fahrt frage ich mich: Worauf habe ich mich da nur eingelassen?
Im Landesleistungszentrum Altenberg, einem deutschen Olympia-Trainingsstützpunkt, wartet bereits Steffen Meyer auf mich, mein heutiger Trainer. Die Regale in seinem Büro sind gefüllt mit Pokalen und die Wände mit Fotos von Wettkämpfen geschmückt. Bevor er 2003 nach Altenberg kam, war Steffen französischer Nationaltrainer. Heute betreut er den Nachwuchs zwischen zwölf und 15 Jahren, mit dem ich trainieren werde. Statt mit 100 Sachen durch den Eiskanal zu schlittern, bekomme ich einen Schongang.
Trockenübung im Schlittenraum
Steffen schaut auf die Uhr: Es wird Zeit, seine Sprösslinge von der Schule abzuholen. In der Sportschule belegen sie Rennrodeln als Unterrichtsfach. Vorher bekomme ich noch meine Ausrüstung: Neben einem Paar länglichen Schuhen und einem blauen, hautengen Schutzanzug, drückt mir Steffen noch ein paar Handschuhe in die Hand. Im Schlittenraum findet sich ein Helm. Jedes Mitglied lagert hier seinen eigenen Schlitten.
Ich nutze die Gelegenheit, um kurz in einem Wannenschlitten, wie die modernen Sportgeräte heißen, Probe zu liegen. Für mich gibt es heute jedoch einen sogenannten Steher, eine Art Holzschlitten, der für Übungszwecke ausreicht. Auch ihn darf ich kurz ausprobieren und Steffen erklärt mir, welche Position ich einnehmen muss. Man liegt auf dem Rücken, die Beine sind gerade und bis in die Zehenspitzen gestreckt. Mit den Waden wird der Schlitten gelenkt, die Arme müssen eng am Körper anliegen und mit den Händen hält man sich fest. Mein Kopf hängt hinten über und ich merke, wie sich meine Bauchmuskeln anspannen, um den Körper stabil und den Kopf oben zu halten. Bequem ist anders.
Geduld und warme Socken
Noch kurz aufwärmen ...
Danach holen wir die Kids ab und laden die Schlitten ein. An der Eisbahn angekommen, fahren wir immer höher den Berg hinauf. Die Bahn scheint kein Ende zu nehmen. So langsam werde ich nervös. Wir werden an unseren jeweiligen Startpunkten abgesetzt. Ich soll mich an Jessica halten, sie ist die Älteste in der Runde. Am Anfang machen wir eine Bahnbegehung, wie jeder Rodler vor seinem ersten Lauf. Wir kraxeln an und unter der Bahn entlang und prüfen, ob das Eis weich oder hart ist. Das beeinflusst die Abfahrt, erklärt mir Jessica. Im Anschluss wärmen wir uns kurz mit Arm- und Beinkreisen auf.
Dann verkündet eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher den Trainingsbeginn. Ich beobachte, wie einer nach dem anderen den Eiskanal heruntersaust. So richtig will die Zeit bis zu meinem großen Rutsch nicht vergehen. Langsam wird mir kalt. Als Rodler hat man nicht nur Nervenkitzel, sondern braucht auch Geduld und warme Socken.
Augen zu und durch
Schließlich stößt Steffen wieder zu uns. Jetzt wird es ernst. Mir ist mit einem Mal noch kälter. Oder zittere ich vor Angst? Steffen zeigt mir meine Startkurve und erklärt, wie ich mich im Ziel verhalten soll: In jedem Fall an den Handgriffen festhalten, sonst geht’s rückwärts zurück. Schnell schlüpfe ich in den Schutzanzug. Beim Versuch, meine Füße in diese ungewöhnlichen Schuhe zu zwängen, muss mir Steffen helfen. Auf dem Weg zur Kurve laufe ich wie auf Eiern.
...bevor Anne in den Eiskanal steigt.
Rumms. Was war das? Ich werde Zeuge eines Sturzes und das kurz bevor ich selbst starten soll. „Ich garantiere für nichts. Krankenwagen sind aber schnell hier“, versichert mir Steffen augenzwinkernd. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Immerhin bekomme ich prominente Hilfe: Marion Thees, zweimalige Skeleton-Weltmeisterin, hält meinen Schlitten, als ich in die Bahn klettere. Mit wackeligen Knien und eingezwängten Füßen, nehme ich die Position ein.
Plötzlich setze ich mich samt Schlitten in Bewegung. „Ohgottohgottohgott“, denke ich immer wieder, während der Steher beschleunigt. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ich versuche, ein wenig zu lenken und es scheint zu funktionieren. Am Ende geht alles wahnsinnig schnell. Im nächsten Moment befinde ich mich schon im Ziel und greife nach den Handgriffen.
Ein echter Rodler klotzt zum Schluss nochmal richtig ran.
Als ich den Eiskanal verlasse, schlottern mir noch immer die Knie. Ich hab’s getan und bin mit 55 Stundenkilometer den Kanal herunter gerauscht. Mich durchströmt ein absolutes Glücksgefühl. Alle gratulieren mir und dann geht es wieder zurück ins Landesleistungszentrum.
Dort gibt es noch eine kleine Kraftsporteinheit. „Los, hundert Hampelmänner!“ Mit Kniebeugen, Liegestützen, Hock-Streck-Sprüngen und weiteren Übungen bringt uns Steffen nochmal ganz schön ins Schwitzen. „Die Anne macht das richtig gut“, lobt er mich und ich bin ein bisschen stolz. Als ich aber einen Kopfstand machen soll, muss Steffen mir doch helfen. Nach einer knappen Dreiviertelstunde ist die Tortur vorbei.
Mittlerweile ist es 16 Uhr, die Sonne ist untergegangen. Ein anstrengendes Rennrodel-Training liegt hinter mir. Auch wenn es mir gefallen hat, war eine Fahrt genug. Ich war nie ein Adrenalin-Junkie und daran hat der heutige Tag nichts geändert.
Text: Anne Nentwig
Fotos: Norbert Neumann
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