Kissenschlacht

„Am meisten habe ich aus Fehlern gelernt“

Learning by Doing – so lautet das Motto von Musiker KAMRAD. Warum er sich trotz 1,0-Abi letztlich gegen ein Studium und für die Musik entschieden hat, was er aus seiner Schulzeit mitgenommen hat und wie er über Künstliche Intelligenz in der Musikbranche denkt, hat er SPIESSER-Autorin Lara verraten.

29. August 2023 - 14:14
SPIESSER-AutorIn rasolara.
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rasolara Offline
Beigetreten: 08.06.2020

Du hast 2016 dein Abitur mit Bestnote bestanden und ein Inge-nieurstudium begonnen. Glücklich warst du damit aber nicht. Wie schwierig war es, nach der Schule den richtigen Weg für dich zu finden?

Tatsächlich sehr schwierig. Nach dem Abi hatte ich sehr viel Auswahl an Studien- gängen, aber eigentlich auf nichts davon so richtig Lust. Ich hatte schon immer die eine große Leidenschaft: Musik. Ich dachte aber, dass ich nicht Musik studieren kann, sondern einen „richtigen Beruf“ brauche. Deshalb habe ich zuerst Wirtschaftsingenieurwesen studiert und bin später zu Wirtschaftswis-senschaften gewechselt. Aber das war auch nicht das Richtige für mich. Ich war gerade volljährig und wollte damals eigentlich nur das machen, worauf ich Lust hatte – und das war eben Musik. Also habe ich schließlich das Studium abgebrochen und mich voll und ganz der Musik gewidmet.

Deine Eltern haben dich dabei unterstützt, was nicht selbstver-ständlich ist. Wie riskant war die Entscheidung rückblickend?

Ich glaube, dass es total riskant war. Für mich stand aber die Leidenschaft für die Musik im Fokus und nie der Gedanke, großen Erfolg zu haben und das große Geld zu verdienen. Ich will einfach den ganzen Tag lang Musik machen, am besten mein Leben lang. Für mich war es also kein Business-Gedanke, wie die Leute manchmal vermuten, sondern es war einfach ein Selbsteingeständnis, dass ich unglücklich wäre, wenn ich es anders machen würde. Natürlich war es irgendwann mein Wunsch, mit der Musik erfolgreich zu sein. Aber der Grund für meine Entscheidung war immer die Musik selbst.

Viele Leute kennen deine Musik, aber vielleicht nicht unbedingt dein Gesicht und deinen Namen. Stört dich das? Wirst du auf der Straße erkannt?

Ja, das ist da definitiv noch so. Diese Verbin-dung ist noch nicht zu hundert Prozent da, aber schon mehr als letztes Jahr. Aber bisher ist es noch nicht so, dass ich sage: „Oh Gott, ich kann nicht rausgehen.“ Das ist irgendwie auch ganz lustig und ganz schön. Mir geht es auch in privaten Runden so, bei denen Freunde von Freunden dabei sind und fragen, was ich denn so mache. Wenn ich antworte, dass ich Musik mache, kommt oft die Frage, ob ich auf Hochzeiten und so spiele. Wenn ich sage: „Nee, vielleicht kennst du meinen Song ‚ I Believe‘“, dann finden sie es krass, dass ich das bin.
Irgendwann ist es natürlich mein Ziel, auch als Künstler so bekannt zu sein, dass nicht nur ein Song die Leute bewegt, zum Konzert zu gehen, sondern dass man eine Marke auf-baut. Aber prinzipiell bin ich erst mal total happy damit, dass die Leute überhaupt Songs von mir kennen. Dass ich rausgehe und nicht erkannt werde, ist für mich nichts Neues. Aber dass ich mich ins Auto setze und mein Song im Radio läuft, das ist ganz neu für mich und es ist auf jeden Fall schon mal ein sehr schöner Schritt.

Musik ist mein größtes Hobby, meine größte Leidenschaft.

Es gibt ein TikTok-Video, in dem du gemeinsam mit deinem Vater und Onkel eine polnische Version von „I Believe“ singst. Deine Eltern kommen aus Polen. Wie eng ist deine Verbindung zu ihrem Heimatland?

Nicht nur meine Eltern, sondern meine gesamte Familie kommt aus Polen. Des-halb sprechen alle Polnisch und wir feiern zum Beispiel auch Weihnachten traditionell polnisch – die Kultur ist also sehr präsent. Lustigerweise lief dann „I Believe“ in Polen sehr, sehr viel im Radio. Wir waren auch in Polen und da habe ich mich direkt total wohlgefühlt, weil es mich natürlich sehr an die Familie erinnert. Dementsprechend habe ich definitiv einen Bezug dazu, auch wenn ich nicht so oft da war.

Wenn du mit deiner Musik nicht so erfolgreich wärst, welchen beruflichen Weg hättest du dann eingeschlagen? Hättest du vielleicht noch mal einen anderen Studiengang begonnen oder hast du festgestellt, dass Studieren generell nichts für dich ist?

Ich hätte wahrscheinlich trotzdem Mu-sik gemacht. Es gibt diesen Spruch vom Sänger der Band Green Day, der das auch mal gefragt wurde und gesagt hat: „Ich hätte auch Musik gemacht, nur für viel weniger Leute.“ So ähnlich ist es auch bei mir. Statt Songs zu schreiben, wäre ich vielleicht im Musikmanagement-Business gelandet. Aber irgendwas mit Musik wäre es auf jeden Fall gewesen. Das ist mein größtes Hobby, meine größte Leidenschaft.

Was ist das Wichtigste, was du aus der Schule für dein Leben mitgenommen hast?

Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber ich habe während meiner Schulzeit gelernt, zu lernen. Ich habe früh angefangen, für Klassenarbeiten und Klausuren zu lernen und es hat funktioniert. Ich habe in der ganzen Schulzeit nie wahnsinnig viel gemacht, aber vor den Prüfungen habe ich mich intensiv vorbereitet – mit Erfolg. Dadurch habe ich gelernt: Wenn man fleißig ist und seinen eigenen Weg findet, dann kann man das auch auf andere Sachen übertragen. Egal, ob man beispielsweise die Parabelformel in seinem Leben noch mal braucht oder nicht: Dieser Fleiß und dieses Erfolgserlebnis sind ein super Learning – und zwar für jeden Bereich.

Bildung endet ja nicht in der Schule oder im Hörsaal, sondern ist ein lebenslanger Prozess. Kannst du uns einen Einblick geben, wie du dich heute in deinem Alltag weiterbildest?

Bei mir ist sehr viel Learning by Doing. Wenn ich zum Beispiel eine Bedienungsanleitung für ein neues Gerät habe, dann lese ich sie nicht, sondern baue es einfach auf und probiere es aus, bis es entweder kaputt ist oder ich herausgefunden habe, wie es funktioniert (lacht). Das ist vielleicht nicht der beste Weg, um schnell Dinge zu lernen, aber für mich ist das meine Methode. So ging es mir auch im Musik-Business. Am meisten habe ich aus Fehlern gelernt und mich sozusagen unterbewusst weitergebildet. Denn so mache ich diese Fehler nicht noch mal. Was die Musik angeht, lese ich sehr viel, höre wahnsinnig viel Musik und beschäftige mich mit Produktion und so weiter. Das ist meine Form von Weiterbildung, die sehr beschränkt auf Musik ist, fällt mir gerade auf (lacht).

Inwiefern kannst du auch als Musi-ker einen Beitrag zu Bildung leisten?

Ich denke, dass ich ein gutes Beispiel dafür bin, dass es auch eine Karriere abseits der klassischen Berufe gibt. Das sollte man den Schülerinnen und Schülern, aber auch dem Lehrpersonal bewusst machen. Es gibt auch Talente, die in der Schule nicht erkannt werden können, weil das Schulsystem vielleicht nicht so darauf ausgelegt ist. Wir sollten uns darauf fokussieren, auch diese Talente zu entdecken und zu fördern. Man kann mit allem erfolgreich werden. Das Wichtigste ist, das zu machen, was man wirklich möchte.
Trotzdem kann ich es jedem empfehlen, sich die beste Ausgangslage für die Zukunft zu schaffen. Auch wenn ich das Abitur als Musiker nicht gebraucht hätte, war es ein Erfolgserlebnis und ein wichtiger Schritt für mich persönlich.

Die KI ChatGPT ist mittlerweile in aller Munde. In letzter Zeit wird auch häufiger über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Musikbranche diskutiert. Was hältst du davon?

Ich bin da persönlich total interessiert und finde es unfassbar, was in kurzer Zeit alles passiert ist – auch im Musikkontext. Fast alle Songwriter, die ich kenne – mich eingeschlossen – haben schon mal versucht, Texte damit zu schreiben. Und fast alle – mich eingeschlossen – sind daran gescheitert (lacht). So weit ist es also noch nicht. Gerade Emotionen und der persönliche Bezug zu dem, was man selbst schreibt, sind bisher definitiv nicht künstlich imitierbar.

Ich sehe ChatGPT nicht als Konkurrenz.

Was ich aber echt krass finde, sind die KIStimmen- Imitationen. Gerade wird ja auch an einem neuen Beatles-Song gearbeitet, bei dem die Stimme von John Lennon mithilfe von Künstlicher Intelligenz aus einer Demo extrahiert wird. Als großer Beatles-Fan bin ich da wirklich sehr gespannt. Als Musiker lässt man sich ja immer von allem Möglichen inspirieren und mit ChatGPT kommt nun noch ein weiteres Medium hinzu. Ich sehe es nicht als Konkurrenz zu meiner Kreativität, sondern bin offen dafür, auszuprobieren, welche Möglichkeiten sich bieten.

Ende Juni ist deine neue EP „Not good at playing love songs“ erschienen. Was ist für dich das Besondere daran?

Es gibt endlich mehr Songs als nur einen (lacht). Es ist ein Release, bei dem man einen guten Eindruck bekommt, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, seit „I Believe“ erschienen ist. Ich denke auch, dass man mich als Künstler und Mensch wirklich mal besser kennenlernen kann. Ich bin auf jeden Fall sehr happy damit!

Wenn du deine Musik in drei Worten beschreiben müsstest, welche wären es?

In drei Worten, das ist schwierig (lacht). Ich würde sagen: elektronisch, gitarrenlastig und mit einem Augenzwinkern. Ich nenne es immer elektronische Popmusik mit schlechtem Gitarrensound. Ich nutze nämlich viele alte Gitarren, die wir irgendwo gefunden haben. Mit Augenzwinkern klingt vielleicht komisch. Natürlich ist alles ernst gemeint, was ich singe. Aber ich versuche, diese Themen mit einem kleinen Twist rüberzubringen. Ich möchte das, was schon tausendmal gesagt wurde, mit anderen Worten ausdrücken – und zwar so, dass es sich für mich nicht cringe oder kitschig anfühlt, sondern einfach ehrlich ist.

Du bist ab Herbst 2023 auf Europatour. Worauf freust du dich am meisten?

Ich freue mich riesig, all die Menschen zu sehen und kennenzulernen, die meine Musik feiern. Das ist verrückt: Die Leute kommen zu meinem eigenen Konzert und nehmen sich einen ganzen Abend frei, nur um mir beim Musikmachen zuzuhören und gemeinsam zu feiern! Es ist mega, wenn man in den Charts ist und den eigenen Song im Radio hört. Aber was wirklich der Grund ist, warum ich Musik mache: die Menschen zu sehen und gemeinsam eine eigene Tour zu erleben. Das ist etwas sehr Besonderes und darauf freue ich mich!

KAMRAD
... eroberte 2022 mit seinem Hit „I Believe“ die deutschen Charts. Bereits 2016 veröffentlichte der 26-jährige Sänger und Songwriter seine erste Single „Changes“. KAMRAD, der mit vollständigem Namen Tim Kamrad heißt, stammt aus Nordrhein-Westfalen und entdeckte schon früh seine Leidenschaft für die Musik. Vor seinem endgültigen Durchbruch begleitete er unter anderem Sunrise Avenue, Lotte und Nico Santos als Supporting Act.

Ab September geht der sympathische Musiker endlich selbst auf Europatour und spielt unter anderem in Leipzig, Hamburg, Warschau und Amsterdam. Alle Termine findet ihr auf www.kamrad-music.com.

Text von Lara-Sophie Radach, die ihr Studium nicht abgebrochen hat, aber dafür nicht singen kann.
Fotos: Sony Music Germany

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