Videointerviews

Im falschen
Körper geboren?

Nach einem Auslandsaufenthalt kommt der 17-jährige Finn als junge Frau Helen zu seinen Freunden und seiner Familie zurück. Der ergreifende Film „Mein Sohn Helen“ (ARD, 24.04.14, 20.15 Uhr) zeigt ihren Kampf um Anerkennung. Im Videointerview sprachen wir mit Hauptdarsteller Jannik Schümann über seine außergewöhnliche Rolle und das Leben als Nachwuchsschauspieler.

15. April 2015 - 15:58
SPIESSER-Autorin suspiciousa.
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suspiciousa Offline
Beigetreten: 06.02.2015

SPIESSER: In deinem neuen Film „Mein Sohn Helen“ spielst du ja einen Transgender, wie war deine erste Reaktion,  als du gesehen hast, dass du eine weibliche Rolle spielen sollst?

Jannik: Zwei Gedanken schossen mir sofort durch den Kopf: Zum einen, was für ein großes Geschenk diese  Rolle für mich ist. Für jeden Schauspieler das es schließlich das allergrößte, etwas zu spielen, das so weit von der eigenen Persönlichkeit entfernt ist. Und zum zweiten habe ich mich darüber gefreut, dass so ein Thema nun dem breiten Publikum gezeigt wird.

Was heißt Transgender? Das Wort besteht aus lat. trans: "jenseitig" und engl. gender: "soziales Geschlecht" und bezeichnet Personen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren können, in das sie herein geboren wurden und sich daher in Verhalten, Aussehen etc. dem anderen Geschlecht annähern.
Gleichzeitig ist das doch bestimmt auch eine riesige Herausforderung, oder? Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?

Ja, es war tatsächlich eine große Herausforderung! Der Respekt vor der Rolle wurde auch immer größer, je näher der erste Drehtag kam. Ich hatte zum Glück sechs Monate Vorbereitungszeit, was für Deutschland sehr unüblich ist. Das war für diese Rolle auch wirklich wichtig, weil ich meinen Körper weiblicher gestalten musste, und dafür zum Beispiel mit dem Krafttraining aufhörte, um schmaler zu werden.

Hinzu kam auch, dass ich intensiv mit einem Coach zusammen gearbeitet habe. Ganz am Anfang haben wir uns zusammen überlegt, dass es wohl am wichtigsten ist, überhaupt eine Kombination aus Mimik, Gestik und Bewegung für die Figur Helen zu finden. Dazu gehören Sachen wie das Gehen, das Joggen und so weiter.

Hast du dich persönlich auch anders gegeben, weil du eine Frau gespielt hast?

Die intensivste Zeit ist die eigentliche Drehzeit, weil man dabei immer mehr zu der gespielten Person wird. Deswegen ist es auch immer schwierig, das Ganze abends wieder abzulegen.

So hatte ich zum Beispiel die Situation, dass ich mit meinem besten Kumpel in einem Café war und er auf einmal zu mir meinte: „Jannick, hör auf und sei wieder du“. Ohne es zu merken, saß ich die ganze Zeit mit überschlagenen Beinen da.


Finn und sein Vater im Film „Mein Sohn Helen“.
Wie schätzt du generell die Akzeptanz für Transgender in unserer Gesellschaft ein?

Im Allgemeinen habe ich das Gefühl, dass die Akzeptanz für jegliche Randgruppen in unserer Gesellschaft immer mehr zunimmt, und ich denke, dass dies für Transgender im Speziellen auch der Fall ist.

Ich glaube, die Gruppe an sich ist jedoch noch sehr klein und darum ist es wichtig, dass Kunstfiguren wie eine Conchita Wurst die breite Masse darauf aufmerksam machen, dass es so eine Gruppe überhaupt gibt und wir zum Nachdenken angeregt werden. Darum finde ich es auch so toll, dass unser Film durch das Fernsehen produziert wird und wir dadurch die Möglichkeit haben, ein großes Publikum zu erreichen. Durch das Wahrnehmen, Nachdenken und darüber Austauschen wird die Akzeptanz auch immer größer. Und ich fände es sehr schön, wenn wir daran auch einen kleinen Anteil hätten.

Wie bist du eigentlich zum Schauspielern gekommen? War das schon immer dein großer Traum?

Ja, ich habe tatsächlich nie daran gedacht, in meiner Zukunft Schauspieler zu werden, aber wir haben da auch nie was erzwungen. Angefangen habe ich im Alter von neun Jahren beim Musical Mozart in Hamburg, wohin ich durch eine ganz normale Zeitungsannounce gekommen bin. Als die Show zu Ende war, wurde das Musical abgesetzt und dann war erstmal Pause.

Irgendwann wurde ich an einer Tankstelle von einer Agentin angesprochen, bei der ich auch bis heute noch bin. Das war echt zufällig, weil sie mich noch nicht mal auf der Bühne gesehen hat. Ich habe dann eine Visitenkarte bekommen, meine Eltern haben da angerufen und seitdem bin ich bei der Agentur und bin wöchentlich zu Schauspielunterricht gegangen.

MEIN SOHN HELEN, Deutschland 2015, Regie: Gregor Schnitzler, am Freitag (24.04.15) um 20:15 Uhr im Ersten, u.a. mit Jannik Schümann, Heino Ferch

Hast du manchmal das Gefühl, du verpasst vielleicht etwas, was andere Leute in deinem Alter erleben?

Nein, überhaupt nicht. Für mich war das Set immer eine große Spielwiese und es war und ist auch noch immer eine komplette Erfüllung für mich, auf der Bühne oder vor der Kamera zu stehen. Manche stellen sich das vielleicht so vor, dass man da täglich trainiert wird und immer Druck besteht. Das war bei mir überhaupt nicht so: In der Zeit, wo meine Schulfreunde zum Fußball oder so gegangen sind, bin ich eben zum Schauspielunterricht gegangen. Es war immer schon eher mein Hobby und ich benenne es auch bis heute noch nicht als Arbeit, wenn ich morgens um 5 Uhr aufstehen muss, um zum Set zu fahren, weil es für mich immer noch Spaß ist.

Was für Filme und Serien schaust du am Liebsten? Inspirieren sie dich auch für deine Arbeit als Schauspieler?

Ich muss sagen, dass ich sehr von amerikanischen Filmen und Serien angezogen bin. Da gucke ich so die typischen Sachen, wie „Breaking Bad“, „Six Feet Under“ und so weiter. Und bei Filmen fühle ich mich auch von ganz verschiedenen Genres angezogen. Ich bin aber ein großer Oscar-Liebhaber und zelebriere die Oscar-Nacht immer sehr. Da ist es für mich total wichtig, immer die nominierten Filme vorher zu sehen, um einfach ein Gefühl zu bekommen und dann Wetten mit meinen Freunden darüber abzuschließen, wer wohl gewinnt.

Ist Amerika dann auch deine Wunschvorstellung für die Zukunft?

Nee, ich bin keiner, der jetzt unbedingt sagt, ich wünsche mir so sehr, dass morgen Hollywood anruft. Da würde ich natürlich nicht Nein sagen, aber das ist auch nicht mein persönliches Ziel. Bei Schauspielern gibt es zwei verschiedene Typen: Entweder man möchte Schauspieler werden, um erfolgreich zu sein, oder man möchte Schauspieler sein, um viele verschiedene Rollen zu spielen und sich einfach immer wieder selbst herauszufordern. Die gesunde Mischung macht es aus. Ich freue mich einfach, wenn mir weiterhin Rollen angeboten werden, die nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun haben und bin dabei sehr aufs Jetzt fixiert.

Text: Juliane Müller
Video: Jakob Buhre / planet-interview
Bilder: ARD Degeto/Britta Krehl

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