Stell dir vor, es gibt ein soziales Netzwerk, in das du nur kommst, wenn du eingeladen wirst. Und auch das geht nicht unbegrenzt, sondern jeder aktive Nutzer besitzt jeweils genau zwei Einladungscodes, die sie oder er weitergeben kann. Und auch das nur an iPhone-Nutzer.
Was wie eine Dystopie der sozialen Medien und wie ein elitärer Zirkel klingt, ist nun mit der neuen Hype-App Clubhouse zur Realität geworden. Die App gibt es zwar schon seit April 2020, aber bis Januar 2021 hat sie so gut wie niemanden interessiert. Kaum aber haben mehrere Influencer die App mal eben ein bisschen beworben, war sie plötzlich am 19. Januar 2021 die am häufigsten heruntergeladene iOS-Anwendung.
Was mit dieser Erfolgsgeschichte einhergeht, ist ein Aufkommen von Exklusivität auf Social Media. Und wenn ihr mich fragt, ist das eine Entwicklung, die durchaus gefährlich sein kann. Denn was hier angegriffen wird, ist die Grundidee des Social Media: Alle Menschen sollen partizipieren können. Und wenn ich mir dann noch die Screenshots von Gesprächsrunden ansehe, die immer mal wieder auftauchen, muss ich echt sagen: Divers ist anders.
Clubhouse als diskriminierungsfreier Raum? Wer’s glaubt!
Anklang findet die App aber auch bei jungen, progressiven Menschen. Wieso? Vermutlich, weil Clubhouse in gewisser Weise ein neuer Hype ist, der uns langweilige Tage im Corona-Alltag etwas aufhübschen möchte. Sicher sind die meisten einfach auf diesen Hype-Zug aufgesprungen, sofern sie sich eine Einladung zur App besorgen konnten und dann auch noch das richtige Smartphone dafür haben.
Ein weiterer möglicher Grund, warum gerade progressive Jugendliche die App so attraktiv finden: Es kommt der Anschein auf, dass diese App Potenzial für einen „Safe Space“ hat – also eine diskriminierungsfreie Umgebung für Marginalisierte bietet. Laut dem Aktivisten Orry Mittenmayer ist das aber ein Trugschluss. Orry ist selbst schwerbehindert, er kann nur mit-hilfe eines Cochlea-Implantats hören. In einem Kommentar zu Clubhouse für die Tageszeitung Neues Deutschland kritisiert er die App scharf und bezeichnet sie als barriereunüberwindbar: „Wie nachhaltig sind diese Safe Spaces und der Versuch, antirassistische Kämpfe voranzutreiben, wenn nur ein exklusiver Teil der marginalisierten Communities darauf Zugang hat? Sind Schwerbehinderte nicht auch Menschen, die ein Recht auf genau diese Safe Spaces haben?“
Als Safe Space werden Räume (auch physische) bezeichnet, die dafür da sind, Erfahrungen zu teilen und sich zu vernetzen. Sie versuchen, Diskriminierungen abzubauen. Da dies auch dort nicht immer möglich ist, spricht man auch von Safer Spaces, weil es keine vollkommene Sicherheit um die Bemühungen um Diskriminierungsfreiheit gibt. Es gibt zum Beispiel Safe Spaces für LGBTIQ*, Schwarze Menschen, People of Color und Menschen mit Behinderung.
Eine ziemlich berechtigte Frage. Der Versuch, diskriminierungsfreie Räume zu schaffen – übrigens kein expliziter Anspruch der Clubhouse-Entwickler, sondern eine Wunschfantasie von Anhängern der App – scheitert für mich sowieso schon am Grundsätzlichen: Der Repräsentation ebenjener Gruppen, die dort angeblich einen solchen Safe Space vorfinden sollen.
Im Kampf gegen Diskriminierung von Queers, Persons of Color oder Menschen mit Behinderung hilft uns die App nur bedingt weiter. Denn diese App schafft Exklusivität statt Inklusion. Damit setzt sie die Ausgrenzung und das Nicht-Gehört-Werden aus dem „normalen“ Leben weiter fort.
Das gilt aber nicht für alle sozialen Medien. Generell fördern diese Netzwerke die Repräsentation und Vernetzung von ganz unterschiedlichen Gruppen. Und sie verschaffen Gehör abseits des Mainstreams. Aber frei von Diskriminierung sind sie nicht – es wäre zu schön. Denn dazu reichen die Community-Richtlinien von Twitter, Instagram und Co. nicht aus – jedenfalls nicht, wenn sie nicht auch konsequent umgesetzt werden.
Diskriminierung allein durch soziale Medien zu bekämpfen, ist unmöglich
Die Autorin und Politikerin der Linkspartei Julia Schramm beschreibt den Versuch, soziale Ungleichheiten durch soziale Netzwerke zu bekämpfen, in einem Artikel in der Zeitung Neues Deutschland treffend folgendermaßen: „Social Media gibt uns [...] das Gefühl, unmittelbar etwas tun zu können. Ist ein Post [...] ein Akt des Widerstands? Ein einzelner Post von einem anonymen Account vielleicht nicht, aber viele Posts von vielen Accounts können Druck aufbauen und etwas verändern.“ Vermeintliches „Drama“ aus den sozialen Medien kennen vermutlich alle, im Szenejargon auch „Beef“ genannt. Es gilt: Umso lauter und kontroverser gegen eine andere Person geschossen wird, desto häufiger wird man geklickt. Das Phänomen findet sich vor allen Dingen auf Twitter, wo es leider häufig schon einer Art Sport gleicht, andere User zu zerlegen.
Mein Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir die Kraft, die wir durch die sozialen Medien haben, bündeln, um Diskriminierung abzubauen, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und Protest auszuüben? Das wird natürlich nicht reichen, um Ungerechtigkeiten aus dem Weg zu schaffen. Aber es kann ein Anfang sein, Menschen zu mobilisieren, auf das eigene Anliegen aufmerksam zu machen. Und dafür ist es enorm wichtig, die Betroffenen sprechen zu lassen. Genau aus diesem Grund sollten die sozialen Medien auch wirklich für alle zugänglich und Barrierefreiheit die Norm sein. So könnte mit etwas Glück tatsächlich ein gesellschaftlicher Wandel erreicht werden!
Fest steht also: Soziale Netzwerke sind nicht der Feind, der abgeschafft werden muss. Vielmehr müssen wir sie nutzen, um Stimmen laut zu machen, die wir in den anderen Medien oder im Alltag traurigerweise nicht finden. Das schaffen wir nur, wenn sie auch für alle zugänglich sind. Ein exkludierendes Projekt wie Clubhouse ist in diesem Zusammenhang klar als Rückschritt zu verstehen.
Text: Philipp Schröder