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Positiv

Vor zwei Jahren hat sich Marcel, 22, mit HIV infiziert. Trotzdem ist er heute glücklich – und setzt sich für Aufklärung und gegen Diskriminierung ein.

01. December 2013 - 16:52
SPIESSER-Autorin Ingalore.
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Ingalore Offline
Beigetreten: 15.03.2011

„Ich freue mich bereits jetzt, auf den Gräbern derer zu tanzen, die mich heute schon totsagen!“ Marcel schreibt in seinem Blog darüber, dass er nicht in Schubladen gesteckt werden will – weder in die Homosexuellen- Schublade, noch in die Aids-Schublade. „Ich höre Slipknot und bin schwul, ich bin HIV-positiv und voller Lebensfreude – viele Menschen finden das unnormal“, sagt er.

Es ist Sonntagnachmittag und ich treffe Marcel in der Kölner Innenstadt. Die Sonne scheint, überall auf den Straßen sind Leute unterwegs, essen Eis oder trinken Kaffee. Marcel nimmt einen Milchkaffee. Seine Haut ist leicht gebräunt, die Haare sind frisch geschnitten und seine Wangenknochen schauen markant hervor. Man sieht ihm die Lebensfreude an, von der er spricht.

Aber natürlich war Marcel nicht immer glücklich. Als sich 2010 sein Leben grundlegend ändert, ist Marcel verliebt in Tim*. Er trifft sich schon seit längerer Zeit mit ihm, sein Herz klopft schneller, wenn er ihn sieht. Marcel ist 20 und er schläft nicht zum ersten Mal mit einem Mann. Aber mit Tim soll es ernst sein, vielleicht etwas fürs Leben oder zumindest für die nächsten Jahre. Er ist verliebt und unbedacht. „Viele haben mal Sex ohne Kondom – ich hatte halt Pech, dass es schief gelaufen ist.“

Ich hasse es, dass alle immer von der Schuld reden

Ob Tim – der hübsche Junge, mit dem Marcel so gut reden konnte – von seiner eigenen Infektion mit dem HI-Virus wusste, will Marcel mir nicht verraten. „Ich hasse es, dass alle immer von ‚der Schuld‘ reden. Das ist mal wieder so eine Schublade. Niemand ist Schuld! Menschen machen nun mal Fehler.“ Seine Stimme erhebt sich ein wenig, als er das sagt – fast wie ein Vorwurf.

Zwei Wochen nach dem Sex mit Tim wird Marcel krank. Alles sieht nach einer Grippe aus, außergewöhnlich ist nur, dass seine Lymphknoten angeschwollen sind. „Als es auch nach drei Wochen nicht weg war und der Arzt mir nicht hatte helfen können, bin ich zum Gesundheitsamt – da hab ich es aber schon geahnt. Das Internet hatte bereits sein Bestes gegeben, um mich aufzuklären.“

Marcel macht einen HIV-Test und bangt eine Woche lang. „Das Warten war schlimmer als die Diagnose selbst. Da hatte ich mich ja quasi schon darauf vorbereitet.“ Als er das Ergebnis vorliegen hat, ist sein erster Gedanke trotzdem: „Ich muss sterben.“ Dass man heute mit HIV nur eine knapp zehn Jahre geringere Lebenserwartung hat als alle Nicht- Infizierten, weiß er da noch nicht. Er zieht sich zurück, ekelt sich vor sich selbst, will mit niemandem darüber sprechen müssen – aus Angst vor Ablehnung. „Ich dachte, ich bin der einzige Mensch auf der ganzen Welt mit der Infektion.“ Nur Nadja Benaissa, die Sängerin der Girl-Group No Angels, scheint das gleiche Schicksal zu haben – und sie wird damals in den Medien an den Pranger und schließlich vor Gericht gestellt. Für Marcel ein klares Zeichen: HIV-Positive sind in der Gesellschaft nicht erwünscht.

Mit einem Stapel Infobroschüren zu den Eltern

Er verkriecht sich, spricht weder mit Eltern oder Freunden noch mit Tim. In Internet- Foren trifft er auf Aussagen wie „ekelhaft“, „selber schuld“ und „man sollte Infizierte wegsperren, dann löst sich das Problem von alleine“. In ihm wächst eine unbändige Wut. Wut über die Ignoranz der Menschen, die Angst davor, wie seine Freunde reagieren werden, und darüber, dass es niemanden zu geben scheint, der auch infiziert und in der gleichen Lebenslage ist wie er.

Die Leute von der Aids-Hilfe sind die einzigen, mit denen er sich austauscht. „Da sind viele völlig verschiedene Menschen, mit denen ich normalerweise wohl auch nichts zu tun hätte – aber die Infektion verbindet uns.“ Frauen und Männer fast jeden Alters und jeder sexuellen Orientierung sprechen ganz offen mit ihm, erzählen von ihren eigenen Erfahrungen und geben ihm Tipps, wie er es seiner Familie und seinen Freunden beibringen soll.

So hat er einen Stapel Info-Broschüren dabei, als er es seinen Eltern erzählt. Zwei Wochen lang hatte er gar nicht mit ihnen gesprochen aber dass sie die Ersten sein würden, war für ihn keine Frage. „Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander und ich wusste, sie würden mich verstehen. So war es auch – auch wenn sie geschockt waren.“ Überhaupt erlebt er die Zurückweisung, die ihm im Internet entgegen schlug, im engeren Freundeskreis nicht. Als er es seinem besten Freund Mario* erzählt, sagt der: „Es ist mir egal, ob du HIV-positiv bist oder nicht – du bist ja immer noch du.“ Mario ist es auch, der ihn sanft dazu zwingt, wieder auszugehen, wieder am Leben teilzunehmen. „Zuhause zu sitzen, macht dich doch nur unglücklich“, sagt er.

Wie Marcel inzwischen mit seinem Sexleben umgeht, könnt ihr auf der nächsten Seite lesen.

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Kommentare

Sechs Kommentare
  • ich hab den artikel auch schon in der gedruckten ausgabe gelesen und fand ihn auch wirklich ausgesprochen gut
    finde es sehr bewundernswert von ihm das er so offen darüber spricht. Sehr gut geschrieben auch.

  • und diesen Artikel sehr interessant.
    Was an homosexuell und slipknot hören nicht normal sein soll ist mir zwar schleierhaft,jedoch wünsche ich Marcel nur Gutes für die Zukunft.

  • Ich finde , gerade bei dem Thema gibt es immer noch Klärungsbedarf. Und es ist gut, dass mal so offen drüber geredet wird.
    Danke ! :)
    Und Respekt an Marcel ! Super, dass er so ein Kämpfer ist .
    Ich wünsche Ihm einfach nur das Beste .

  • Das ist ein super interessantes Thema und der Artikel war sehr aufschlussreich. ;) Mehr davon!

  • Ich kann mich nur an oben anschließen und finde ich richtig super, dass der Artikel in der aktuellen Ausgabe seht. War einer der 1. Artikel, die ich gelesen habe.

  • Ich fand den Artikel schon in der gedruckten Ausgabe einfach klasse ... es ist unglaublich offen und sehr gut geschrieben.

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