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Kommilitone, die Angst

Indien, das Land der Vergewaltigungen. Dieses Bild wird zumindest nach Bekanntwerden von immer neuen Vergewaltigungsfällen von deutschen wie internationalen Medien gezeichnet. SPIESSER-Autor Paul war für ein Semester Austauschstudent in Indien und hat sich mit Kommilitoninnen über dieses Thema unterhalten.

14. May 2014 - 17:38
SPIESSER-Autor PaulHe.
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PaulHe Offline
Beigetreten: 05.03.2014

Am 20. Juni 2012 erschütterte ein Vergewaltigungsfall mit Todesfolge die Welt: Auf dem Heimweg wird eine 22-jährige Studentin von einem Rikscha-Fahrer und zwei weiteren Männern auf offener Straße entführt und vergewaltigt. Einer von insgesamt 24.923 Fällen im Subkontinent - allein im Jahr 2012.


Dichtes Gedränge in Indien - zumindest am Tag

„Ich versuche immer, mich in Orten aufzuhalten, wo viele Menschen um mich herum sind. Aber ja, manchmal, vor allem wenn ich allein bin, bete ich zu Gott wieder sicher nach Hause zu kommen. Ich versuche, nach 20 Uhr nicht außer Haus zu sein“, erzählt Malvika Kiran. Trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen war auch die 21-jährige Kommunikations-Studentin der Manipal University schon in schwierigen Situationen. „Einmal bin ich um die Mittagszeit allein zu Fuß gelaufen und ein Kerl kam hinter mir her, klatschte mir auf meinen Hintern und rannte weg während er mir Luftküsschen zuwarf. Ich war einfach nur leer und traumatisiert.“

„Die meisten meiner Freunde und ich haben eine nächtliche Ausgangssperre. Ich treffe sehr viele Maßnahmen, um nicht in gefährliche Situationen zu kommen“, berichtet hingegen Bhavani Seetharaman. Sie und ihre Eltern wohnen in einer Schutzzone der 4-Millionen-Einwohner-Metropole Bangalore. Das Wachpersonal erteilt nach Kontrolle des Ausweises nur Personen zutritt, die hier wohnen oder einen Anwohner besuchen möchten.


Junge Frauen auf dem Weg zur Uni

In einigen Gebieten Indiens sieht man tagsüber kaum Frauen auf den Straßen. Nachts sowieso nicht. Wer es sich leisten kann, hat ein Auto, Motorrad oder nimmt die Rikscha – oder bleibt den Großteil seines Lebens einfach Zuhause. „Die Massenvergewaltigungen haben einen großen Einfluss auf unser Leben. Wir können nicht das Leben leben, das wir Frauen wollen“, so Malvika Kiran.

Davon, alle indischen Männer über einen Kamm zu scheren, hält Bhavani Seetharaman nichts: „Jeder Mann von jedem Teil der Welt könnte mich zu jederzeit irgendwo vergewaltigen. Es gibt Millionen von indischen Männern, die ihr ganzes Leben hart arbeiten, um ihrer Frau und ihren Töchtern ein schönes Leben zu ermöglichen.“


Indien ist ein kinderreiches Land.

Die Vergewaltigungen sind dabei nur die Spitze eines in Frage zu stellenden Gesellschaftssystems. Indien ist laut Studien das frauenfeindlichste Land der G20-Länder. Die Geburt eines Mädchens gilt in vielen, vor allem armen Familien als großes Unglück. Zwar seit 1961 verboten, dennoch weit verbreitet, ist die Tradition der Mitgiftzahlung bei der Vermählung, bei dem die Familie der Braut der Familie des Bräutigams horrende Summen zahlen muss. Söhne werden deshalb bevorzugt, weibliche Föten zehntausendfach pro Jahr illegal abgetrieben. Dies führte über Jahrzehnte zu einem Männerüberschuss. Biografien von Männern, die bis Mitte Zwanzig keinerlei sexuelle Erfahrungen gemacht haben, sind keine Einzelschicksale. Hinzu kommt die vielerorts verankerte Scham vor dem anderen Geschlecht und gesellschaftliche Ächtung bei einem Aufeinandertreffen sowie das nach wie vor existierende Kastensystem. Eine tendenziell getrennte Gesellschaft ist die Folge.


Die Taten werden auch in Indien scharf verurteilt.

„Vergewaltigungen passieren hier täglich. Nur die Wenigsten kommen raus, die meisten nicht. Dies geschieht, weil die Opfer nicht bereit sind, ihre Achtung in der Gesellschaft zu verlieren“, erzählt Malvika Kiran. „Ich wundere mich, warum über derartige Fälle vorher nicht berichtet wurde. In jedem Fall sind die Berichte gut, da ein trügerischer Schein der Sicherheit schlechter ist, als die Gefahr neue Ängste auszulösen“, fügt Arathi Ramesh hinzu.

Die Berichte über Vergewaltigungen schüren in Indien keine neuen Ängste. Sie sind bereits seit Generationen in den Köpfen der Inderinnen verankert, widerspricht Bhavani Seetharaman: „In den letzten Jahren wurde viel berichtet. Das lässt jeden denken, die Anzahl der Vergewaltigungen sei rapide gestiegen. Die Wahrheit ist: Die Frauen erheben einfach häufiger Anzeige als zuvor.“

Text: Paul Henschel
Fotos: Flickr-User niyam bhushan (CC BY 2.0), { pranav } (CC BY 2.0),
Adam Jones (CC BY-SA 2.0),  Paul Henschel, Flickr-User ramesh_lalwani (CC BY 2.0)

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