Beim Einkaufen zeigt sich gerade, dass Lebensmittel teurer werden. Zeitgleich breitet sich in einer Welt, in der alles zusammenhängt und die zunehmend komplexer wird, ein Bewusstsein für nachhaltigen Konsum aus. Wie können wir alles unter einen Hut bringen: erschwingliche Lebensmittel und einen möglichst gerechten und umweltfreundlichen Umgang mit Ressourcen? Und wie können die Politik und Unternehmen globale Verantwortung übernehmen und Veränderungen herbeiführen? SPIESSER-Autorin Verena hat mit Wilfried Wunden, Fairhandels-Experte bei Misereor, gesprochen, um Antworten auf diese Fragen zu finden.
21. November 2022 - 14:24 SPIESSER-Autorin heartbook.
Steigende Energiekosten, der Mangel an Ressourcen und Unsicherheiten in Handelsbeziehungen: Alles das sind Gründe, warum Lebensmittel aktuell teurer werden. Auslöser dafür sind vor allem der Klimawandel und der Krieg gegen die Ukraine. Hier wird klar, dass Prozesse und Veränderungen in anderen Teilen der Welt auch Auswirkungen auf das für uns verfügbare Angebot an Nahrungsmitteln und deren Preise haben.
Wahre Kosten
Wir spüren momentan, wie wertvoll Lebensmittel sind, vor allem, wenn sie nicht in Massen vorhanden sind. Neben dem Preis, mit dem die Lebensmittel im Laden ausgezeichnet sind, verursacht die Produktion unserer Lebensmittel weitere, so genannte versteckte Kosten die in der Unternehmensbilanz und auf dem Preisschild nicht auftauchen.
Du willst mehr über das True Cost Accounting erfahren?
Lies mal unser Interview mit MISEREOR-Mitarbeiter Markus Wolter. Er ist Fachmann für Landwirtschaft im globalen Süden und erklärt die Bedeutung nochmal anschaulich.
Die Produktion von Lebensmitteln verursacht auf der ganzen Welt Schäden, wie zum Beispiel die Verstärkung des Klimawandels oder die Missachtung von Menschenrechten. So braucht der Anbau von Avocados sehr viel Wasser, was sich negativ auf unsere Umwelt auswirkt. Ein weiteres Beispiel ist der Anbau von Kakao in Westafrika, für den viele Kinder schuften müssen, was negative Folgen für ihre Bildung und Entwicklung hat. Das Konzept des „True Cost Accounting“ (TCA) setzt genau hier an. Beim TCA werden diese „versteckten Kosten“ von Waren analysiert und berechnet, die wir auf den ersten Blick nicht sehen können. Schädigungen der Umwelt und des Klimas sowie die Verletzung von Menschenrechten, zum Beispiel durch Kinderarbeit, werden einberechnet. Durch diese Bilanzierung werden Unternehmen ehrlicher bewertet und es entstehen andere Produktpreise als die, die wir kennen. Das Ganze dient zum einen der Förderung von ökologischer und gerechter Lebensmittelproduktion, aber auch zur Wertschätzung der Erzeuger und Erzeugerinnen, die für ihr Bemühen oft nicht entsprechend entlohnt werden.
Nach solchen Berechnungen sind die Kosten von Bio- und Fairtrade-Produkten defacto geringer, als die von konventionellen, da sie unter besseren ökologischen und sozialen Bedingungen produziert werden. Bisher haben solche Produkte wenig Chancen gegenüber konventionell erzeugten Lebensmitteln, weil sie im Supermarktregal schlichtweg teurer sind.
Sinn und Zweck des True Cost Accounting für Unternehmen
Wilfried Wunden, Referent für den Fairen Handel
bei MISEREOR.
Das Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor e. V. setzt sich seit über 60 Jahren für faire Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und gerechte Handelsbeziehungen ein. Das True Cost Accounting spielt hier eine große Rolle. Misereor-Experte für den Fairen Handel, Wilfried Wunden, betont: „Es geht beim True Cost Accounting nicht um Schuldzuweisungen. Vielmehr geht es darum, auf die Folgen der Lebensmittelproduktion hinzuweisen. Außerdem sollen Unternehmen darin bestärkt werden, sich für die Einhaltung von Menschenrechten, für gerechte Löhne, gute Böden und sauberes Wasser stark zu machen.“
Der Trend, Unternehmen in Bezug auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu bewerten, zeigt sich übrigens nicht nur im TCA. Auch Banken und Kreditinstitute legen immer mehr Regeln fest, nach denen sich ein Unternehmen als sozial oder ökologisch nachhaltig auszeichnen lassen kann. Für solche Unternehmen steigt oftmals die Chance, Kredite zu erhalten, da Risiken gut einkalkuliert werden können, sie zukunftsfähiger und zeitgleich nachhaltiger sind.
Einsatz zeigen
Um das True Cost Accounting bekannter zu machen, werden sie von Aktionen, Pressearbeit und Kampagnen begleitet. Eine beliebte Aktion war die von einer Berliner Penny-Filiale im Jahr 2020. Der Supermarkt schrieb die durch TCA ermittelten Wahren Kosten neben die üblichen Preise ihrer Lebensmittel. Eine aufrüttelnde Aktion, die die Bilanzen auch für die Gesellschaft sichtbar machte.
Auch die Wissenschaft beteiligt sich intensiv daran, diese Kosten so gut wie möglich darstellbar zu machen. So wurde in den letzten Jahren viel geforscht und man fand heraus, dass es auf Dauer weniger wirtschaftlich lukrativ ist, die günstigen Preise zu erhalten. Wenn wir weiterhin nicht die wahren Kosten für Produkte zahlen, verändert sich der menschliche Konsum nicht in Richtung Nachhaltigkeit, wir richten die Umwelt zu Grunde und lassen Menschen entlang der Produktionskette leiden. „Das ist nicht nur ethisch unkorrekt, sondern auch noch kurzsichtig, da wir unsere Produktionsstätte, die Erde, zerstören.“, sagt Wunden. Und: Die Gesellschaft zahlt letztlich auch die versteckten Kosten: Zum Beispiel in Form von stetig wachsenden Kosten für Trinkwasser.
Was also mache ich, wenn ich günstig, aber gleichzeitig umweltverträglich einkaufen und konsumieren möchte? Die klassischen Richtlinien für Nahrungsmittel, an die wir uns halten sollten, sind fair, regional, saisonal und bio. Wenn wir darauf achten, ist unser Konsum ein Stück weit nachhaltiger. Genauso einzukaufen ist aber für viele zu teuer. Ist billig denn immer schlechter? Wunden betont, dass „informiert günstig einkaufen“ und selber kochen die beste Möglichkeit ist, wenn das Budget nicht unendlich groß ist. Nach dem True Cost Accounting könnten auf lange Sicht biologisch produzierte und faire Produkte sogar günstiger werden als konventionelle Lebensmittel, da ihre Schäden weniger groß sind. Besonders für Menschen mit kleinem Budget wäre ein nachhaltiger Konsum dann erschwinglicher.
Und wohin könnte sich TCA weiterentwickeln?
Misereor hat Anfang des Jahres ein Positionspapier erstellt, welches sich an die Bundesregierung richtet. Darin fordert das Werk für Entwicklungszusammenarbeit eine Reform der Bilanzierung von Marktpreisen und beschreibt diese als „Game Changer“ für Produktion und Konsum. Ein guter Schritt in Richtung mehr Menschlichkeit, mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
Du willst Misereor unterstützen?
Schon 9 Euro reichen, um eine Familie im Norden Kenias für eine Woche mit Maismehl, Reis, Bohnen, Öl und Handseife zu versorgen. Mehr Informationen zu den verschiedenen Spende-Möglichkeiten gibt es auf www.misereor.de/spenden. Unter www.2-euro-helfen.de/weltbessermacher-werden erfährst du außerdem, wie du dich aktiv engagieren kannst.
Text von Verena Tribensky
Fotos: Misereor
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