Ist in Deutschland eine Bildungsrevolution überfällig?
Das deutsche Schulsystem steht bereits seit geraumer Zeit in der Kritik. Doch verändert hat sich trotz heftiger Diskussionen nicht viel. Ganz ehrlich: Wie hast du deine Schulzeit erlebt? Hattest du Spaß am Lernen? Bist du gern zur Schule gegangen?
08. April 2020 - 12:53 SPIESSER-Autorin Celina Gries.
Mehrere Stunden Stillsitzen, Notenstress, Frontalunterricht mit Zahlen und Fakten – das ist Schule in Deutschland … STOP! Sollte Lernen nicht Spaß machen? In der ersten Klasse ging ich gern zur Schule, nach dem Abitur war ich erleichtert, nicht mehr hingehen zu müssen. Das Lernpensum, die Art der Wissensvermittlung, die zur Verfügung stehenden Lernmittel sowie die maroden Räumlichkeiten trugen leider dazu bei.
„Unterricht sollte so ein, dass das Gebotene als wertvolle Gabe empfunden wird und nicht als eine harte Pflicht“, das stellte Einstein bereits fest. Um gegen diese jahrelange Unzufriedenheit anzugehen, entschied ich mich nach dem Abitur für einen einjährigen Freiwilligendienst an einer australischen privaten Mädchenschule in der Nähe von Brisbane. Auch um einmal zu schauen, wie das Schulsystem hier funktioniert.
System von gestern kollidiert mit Ansprüchen von morgen
Unser konventionelles Schulsystem ist an die Gegebenheiten des vergangenen Jahrhunderts mit überholten Relikten und Ritualen früherer Epochen angepasst. Jedoch sorgen heute die zahlreichen optischen und akustischen Signale für eine ständige Reizüberflutung. Wissensvermittlung steht in ständiger Konkurrenz mit sozialen Netzwerken.
Gerade in den Bereichen Informatik, Soziales und Pflege sowie Technologie werden immer mehr Arbeitskräfte benötigt. Unverzichtbar in diesen Berufszweigen – digitale Technologien! Statt diese bereits in den Schulen zu integrieren, herrscht Handyverbot, weder an WLAN noch an Online-Schulportale ist zu denken. Hier sind uns die Australier eine Riesenschritt voraus: An meiner Schule erhält jeder Schüler einen Laptop mit eigenem Account, womit er über E-Mails mit allen Lehrern kommunizieren kann. Außerdem erhält er damit Zugang zu verschiedenen Lernprogrammen, kann sich online Bücher ausleihen, Lernvideos sehen oder geplante Events im Kalender finden. Bereits in der Grundschule lernen sie den Umgang mit Tablets und dem Internet. Die Schule besitzt ein eigenes IT-Büro. Hausaufgaben werden zu 90% am Laptop erledigt. In Anbetracht der aktuellen Situation aufgrund des Coronavirus wird digitaler Unterricht so wichtig wie nie. Bildung muss weiterhin stattfinden. Ich war beeindruckt von den eingeleiteten Planungen der australischen Schule vor ihrer Schließung: der komplette Unterricht wird über „Google Classroom“ oder „Skype“ weitergeführt. Ein Test dazu fand zeitnah und erfolgreich statt.
Lernfreundliche Schularchitektur
Den begrünten Campus ihrer australischen Schule hat Autorin Celina
besonders genossen.
Wichtig für ein angenehmes Lernklima ist auch die Schularchitektur bzw. die Atmosphäre. Deutsche Schulen befinden sich häufig in maroden, tristen Gebäuden, die wenig einladend wirken. Bei einer Umfrage von 3.000 Eltern gaben fast die Hälfte der Teilnehmer an, dass ihre Kinder in baulich schlecht ausgestatteten Schulgebäuden unterrichtet werden, berichtete „Zeit Online“.
Das Gelände an meiner australischen Schule ist weitläufig und wundervoll begrünt. Farbige Klassenräume mit vielen Fenstern, Sofas und Sitzkissen, Bibliothek, ein Kunstraum, der auch in Pausen offen steht, ein großzügiger Garten, Kapelle – all das gehört zu den wichtigen Wohlfühlfaktoren. Kindergarten, Grundschule und Highschool: Alles befindet sich auf einem Gelände, was beim Wechsel der Einrichtung kein Umgewöhnen notwendig macht.
Richtiges Lernen lernen
Der Bildungsexperte Reinhard Kahl spricht vom „Bulimie-Lernen“ an den Schulen in Deutschland: Schnell das Gehirn mit Informationen füttern, schnell wieder in Klausuren von sich geben und danach alles wieder schnell vergessen. Ergebnisse aus der Hirnforschung belegen, dass Schüler sich Wissen in kürzester Zeit aneignen, wenn sie sich für etwas interessieren und motiviert fühlen.
Konfuzius sagte: „Das, was man erklärt bekommt, vergisst man. Das, was einem vorgemacht wurde, daran erinnert man sich. Nur das aber, was man selber gemacht hat, kann man.“ Neugier und Begeisterung sind also Voraussetzung für erfolgreiches Lernen.
Meine australische Schule setzt – ganz im Sinne von Konfuzius – auf Lernprojekte. Wir haben an der Schule beispielsweise selbst Humuserde hergestellt und die einzelnen Erdschichten untersucht. In jedem Schuljahr findet ein Camp statt, bei dem Themen wie Teamarbeit, Leadership, Mut, Courage und Hilfsbereitschaft gelehrt und trainiert werden. Die Schüler lernen, aus der Komfortzone herauszutreten und zum Beispiel einen Schlammpfad zu durchqueren. Das fordert die Kinder auf, gegen ihre Ängste zu kämpfen und als Team sich gegenseitig Mut zu machen. Der Französisch-Kurs besucht französische Restaurants oder schreibt Briefe an französische Schüler. Die 11. Klassen führen einen Schüleraustausch durch.
Mein Fazit
Meiner Meinung nach gibt es also einige grundsätzliche Probleme, die eine Bildungsmisere in Deutschland hervorrufen. Eine Bildungsreform reicht hier nicht, sondern wir brauchen eine Bildungsrevolution und zwar schnellstmöglich, bevor wir den Anschluss verpassen.
Text: Celina Gries
Fotos: Glennie School
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