Mittagspause mit ...

"Die Aktion Mensch ist nicht nur das Thema Inklusion"

Eine Rollstuhlfahrerin im Alltagsverkehr, ein blinder Student im Hörsaal, ein Kind aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Sie alle sind nicht anders als die Mehrheit der Menschen. Christina Marx von der Aktion Mensch ist sich sicher: Sie brauchen eine Gesellschaft, die jeder mitgestaltet, damit jeder so sein kann, wie er ist und am Leben teilhaben kann. Die Lösung dafür: Inklusion. In der SPIESSER-Mittagspause erklärt die Sprecherin von der Aktion Mensch unter anderem, wie man gleichberechtigt am Leben teilhaben kann.

05. May 2022 - 18:53
SPIESSER-Autorin Noe_SB.
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Noe_SB Offline
Beigetreten: 05.10.2017

Wann hast du für dich herausgefundend, dass dein Herz für die Themen Inklusion und Teilhabe schlägt?

Ich habe lange in Agenturen gearbeitet.Irgendwann habe ich die Stelle bei der AktionMensch angeboten bekommen. Da habe ichfestgestellt, dass es super ist, etwas Sinnstiftendes zu machen und gesellschaftlichrelevante Themen in die Öffentlichkeitzu tragen. Ich habe auch vorher langefür den Deutschen Behindertensportverbandberatend gearbeitet, dadurch war mir dasThema nicht ganz fremd.

Christina Marx
… hat vor ihrer Arbeit in der PR und Unternehmenskommunikation ein journalistisches Volontariat absolviert. Sie leitete mehrere Kampagnen und Projekte für Behindertenorganisationen und Ministerien. 2013 kam sie dann zu der Aktion Mensch und verantwortet als Leiterin die Bereiche Aufklärung und Kommunikation.
Wieso hast du dich für die Unternehmenskommunikation entschieden anstatt diese Themen aus journalistischer Sicht zu behandeln?

Das war ein wenig Zufall: Ich habe tatsächlich noch ein journalistisches Volontariat nach dem Studium gemacht, habe dann aber eine Anstellung in einer PR-Agentur gefunden. Ehrlicherweise wusste ich im Alter von 23 gar nicht, was ich jetzt machen will. Und dann habe ich diese Möglichkeit ergriffen und bin bei der PR geblieben. Habe aber großen Respekt für die Journalist*innen.

Was liebst du an deiner Arbeit am meisten?

Ich liebe die Vielfältigkeit. Mein Arbeitsspektrum ist total breit gefächert. Ich verantworte Werbekampagnen, ich stoße Studien an, um mehr Zahlen und Fakten zu haben und dementsprechend aufklären und fördern zu können. Events und Veranstaltungen gehören noch dazu. Vor Corona hatten wir zum Beispiel ein Jugend-Aktionscamp organisiert. Dort haben sich Jugendliche mit und ohne Behinderung zum Thema Inklusion und Teilhabe ausgetauscht. Bei solchen Aktionen ist es unheimlich toll zu sehen, was ankommt.

Gibt es Momente, die dich dort sehr berührt haben?

Im Rahmen des Jugend-Aktionscamps ist ein Song entstanden, ganz spontan. Er heißt „Bunt“. Da hat ein Rapper, der im Rollstuhl sitzt, einen Songwriting-Workshop gegeben. Und da war auch eine junge Frau dabei, die selbst Gitarre spielte und sie hat mit ihm zusammen und den Jugendlichen diesen Song gemacht. Tamara Köcher heißt sie. Aktuell (Anm. d. Red.: März 2022) ist sie sogar bei DSDS im Recall.

Es gibt ganz viele junge Menschen, die sagen: Ich will etwas tun.

Wie denkt ihr bei der Aktion Mensch junge Menschen mit?

Junge Menschen wollen sich engagieren. Sie wollen sich für oder auch gegen bestimmte Dinge einsetzen. Also beispielsweise gegen Umweltverschmutzung, für Klimaschutz. Für mehr Gleichberechtigung, für mehr Diversität. Es ist natürlich kein Selbstläufer, aber es gibt ganz viele junge Menschen, die sagen: Ich will etwas tun. Und das kann ein freiwilliges Engagement sein, eine Mitarbeit in einem Förderprojekt. Oder das kann eben auch die Arbeit hier bei uns sein.

Hast du das Gefühl, dass die Begeisterung von jungen Menschen für solche Themen zugenommen hat?

Wir haben uns das sehr stark im Rahmen der Corona-Pandemie gefragt – wo sich niemand mehr treffen konnte – ob das vielleicht nochmal die Begeisterung und den Zusammenhalt verstärkt hat. Mein Eindruck ist: ja. Viele Menschen möchten etwas tun, etwas in der Gesellschaft voranbringen. Natürlich gilt das nicht für alle. Aber ich glaube schon, dass viele in der Krisensituation und der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine sagen: Hey, ich muss etwas tun, weil meine eigene Zukunft vielleicht in Gefahr ist.

Wie können mehr Begegnungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen vor allem auf Social Media stattfinden?

Wir versuchen natürlich zum einen, Reichweite zu erzielen, sodass Leute, die sich bisher noch nicht persönlich mit Inklusion beschäftigt haben, uns auch wahrnehmen und sehen. Das ist teilweise gar nicht einfach, weil wir das Thema in die Lebensrealität der jungen Menschen transportieren müssen. Das andere ist, wirklich zu versuchen, in Interaktion zu treten. Wir zeigen auf Social Media konkrete Geschichten. Menschen und deren Alltag und ihren Umgang mit Behinderung. Das sind oft auch Influencer*innen mit und ohne Behinderung, die junge Menschen kennen und denen sie folgen. Eine blinde Influencerin erzählt zum Beispiel, wenn sie sich durch die Stadt bewegt und ein Fahrrad im Weg steht, sei das ein großes Problem für sie. Und dann fragt sie in dem Social-Media-Beitrag: „Hey, hast du auch schon mal Barrieren gesehen? Gibt es Dinge, die dir im Alltag auffallen?“ So kommen wir mit den jungen User*innen direkt ins Gespräch.

Welche Möglichkeiten haben Schülerinnen und Schüler sich im Bereich Inklusion und Teilhabe zu engagieren?

Das Beste, was ich empfehlen kann, ist im eigenen Umfeld zu gucken. Was gibt es da für Möglichkeiten? Vielleicht gibt es einen Verein in der Nähe, den man so gar nicht kennt. Oder man kann zu einem Jugendtreff gehen und sich eine Aktion überlegen. Das kann zum Beispiel eine Müllsammel-Aktion sein von jungen Leuten mit und ohne Behinderung. Man sollte in jedem Fall schauen, dass man verschiedene Kräfte mobilisiert. Wir als Aktion Mensch haben selber auch eine Freiwilligendatenbank. Man kann bei uns auf der Website suchen und die Angebote natürlich auch nutzen. Wir versuchen auch – weil wir wissen, dass sich viele für den Klimaschutz einsetzen – zu prüfen, ob die Klima-Demos barrierefrei sind. Einfach, weil wir finden, dass man auch dort die Voraussetzungen so schaffen sollte, dass alle mitmachen können.

Inklusion umfasst verschiedene Dimensionen.

Gibt es dazu schon Daten oder eine Studie, die ihr erhoben habt?

Nein. Hier bei uns in Bonn haben wir uns beispielsweise rund um die Fridays For Future-Demos mit einer der Organisatorinnen ausgetauscht und haben gesagt: Hey, der Weg ist irgendwie so lang und holprig. Da können jetzt keine Rollstuhlfahrer*innen mitmachen. Und wir hatten eine Kollegin, die wollte gerne mitlaufen bzw. mitfahren. Und dann haben wir die Demo gemeinsam barrierefreier gemacht. Und sie hat auch als Klimaschutzaktivistin und Rollstuhlfahrerin ein starkes Statement abgegeben. So kommt beides zusammen.

Inklusion versus Integration: Welche Vor- und Nachteile haben beide Konzepte?

Bei Integration denkt man eher an Migrant*innen und bei Inklusion an Menschen mit Behinderung. Aber eigentlich ist für mich der Inklusionsbegriff der bessere: Inklusion umfasst ja verschiedene Dimensionen. Der Begriff bezieht sich auf Gender-Gerechtigkeit, auf Menschen mit Behinderung, auf Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Religion. Inklusion ist insofern das bessere Konzept, weil es nicht heißt: Da ist eine Gruppe, die anders ist als die Mehrheit und die sich irgendwie anpassen muss. Inklusion bedeutet: Wir müssen von Anfang an unsere Gesellschaft so gestalten, dass jede bzw. jeder so, wie sie oder er ist, auch wirklich teilhaben kann.


Christina Marx hat SPIESSER-Autorin Noelia erklärt, wie vielseitig die
Aktion Mensch als Arbeitgeber ist und was Inklusion für sie bedeutet.
Welche Voraussetzungen müssen Universitäten erfüllen, um als inklusiv oder barrierefrei zu gelten?

Einmal müssen sie räumlich und physisch barrierefrei sein, das heißt: Sind da irgendwie Stufen im Weg oder gibt es im Hörsaal entsprechend Verstärkung oder Induktionsschleifen, damit auch Studierende mit einer Hörbehinderung folgen können? Auch kommunikativ muss die Barrierefreiheit gegeben sein. Eine einfachere Sprache finde ich gut, vielleicht auch für Studierende, die nicht deutscher Herkunft sind. Und das andere ist tatsächlich, dass man an der Haltung der Professor*innen arbeiten muss. Sie müssen natürlich auch bereit sein, auf spezifischen Bedarf einzugehen. Es wäre zudem auch schön, wenn das Thema Diversität im Allgemeinen Studierendenausschuss eine große Rolle spielen würde. Dass man da auch guckt, dass Vorstände bunt gemischt sind und die Studierendenschaft abbilden.

Welche Karrieremöglichkeiten bietet die Aktion Mensch?

Die Aktion Mensch ist nicht nur das Thema Inklusion. Wir sind auch eine Lotterie, die die Förderung von sozialen Projekten überhaupt erst möglich macht. Wir betreiben dementsprechend auch beispielsweise E-Commerce. Wir haben eine sehr große IT-Abteilung. Da wir viel mit Daten arbeiten, brauchen wir natürlich Leute, die sich damit auskennen. Außerdem spielen die Themen Aufklärung und Kommunikation eine große Rolle in unserer Organisation. Die Möglichkeiten sind total vielfältig. Von Azubis wünschen wir uns, dass sie engagiert sind und Lust darauf haben, sich bei der Aktion Mensch im Sinne der guten Sache einzusetzen. Jemand, der zum Beispiel eine Abschlussarbeit bei uns schreiben möchte, kann sich natürlich auch mit seinem Thema bei uns bewerben.

 

Text von Noelia Sanchez Barón, hatte ihre erste wertvolle Begegnung mit Inklusion, als sie eine junge Praktikantin im Rollstuhl einarbeitete.

Fotos von Jakub Kaliszewski, Werbefotograf, Fotodesigner und Teilzeithedonist aus Köln.

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