Was'n da los?

Unterricht abseits der (Hetero-) Norm

Heterosexualität und Cisgeschlechtlichkeit (also das Gegenteil von Transidentität) sind in unserer Gesellschaft noch immer die Norm. Andere Identitäten werden zumeist als Abweichung wahrgenommen – und auch so behandelt. Der Verein SCHLAU e.V. hat es sich zum Ziel gesetzt, diesen diskriminierenden Vorstellungen so früh wie möglich entgegen-zuwirken. Autor Pierre stellt ihn in diesem Porträt genauer vor und berichtet außerdem von seinen eigenen Erfahrungen.

30. August 2023 - 09:02
SPIESSER-Autorin Cherilia.
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Cherilia Offline
Beigetreten: 04.08.2012

In der Schule lernen wir nicht nur Multiplikation und Rechtschreibung. Der Unterricht soll uns auch auf das sogenannte „echte“ Leben vorbereiten. Wir lernen, was es bedeutet, eigenständige Erwachsene zu werden. Dazu gehört, sich mit gesellschaftlicher Teilhabe und dem wirtschaftlichen und politischen System, in dem wir leben, zu beschäftigen. Und damit auch die Auseinandersetzung mit geschlechtlicher und sexueller Identität. Das finden auch die Ehrenamtlichen, die sich bei SCHLAU e.V. engagieren. Der Verein bietet Antidiskriminierungsworkshops an Schulen an. Sie sollen helfen, Vorurteile gegenüber queeren Menschen abzubauen.

SCHLAU versteht sich als politisches Projekt

2000 aus einem Zusammenschluss mehrerer Aufklärungsprojekte entstanden, hat SCHLAU sich anfangs vor allem in der Sexualpädagogik verortet. Nach und nach kamen jedoch auch politische, menschenrechtliche und moralische Aspekte dazu. Ziel der Workshops ist es, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass alle sexuellen und geschlechtlichen Identitäten gleichberechtigt nebeneinander existieren können. Viel-falt soll als die Bereicherung für die Gesellschaft wahrgenommen werden, die sie ist. SCHLAU agiert dabei aus intersektionaler Perspektive und bezieht auch andere Diskriminierungsformen mit ein – beispielsweise Rassismus, Klassismus oder Ableismus.

... dass alle sexuellen und geschlechtlichen Identitäten gleichberechtigt nebeneinander existieren können.

Bei persönlichen Erfahrungen ansetzen

Das Besondere dabei: Die ehrenamtlichen Workshopleitungen sind in der Regel selbst queer und können deshalb hautnah aus ihren eigenen Lebensrealitäten berichten. Neben einem theoretischen Zugang zum Thema beantworten sie auch persönliche Fragen. So können teilnehmende Schulklassen besser verstehen, wie es ist, Teil der LGBTQ-Community zu sein, mit welchen Vorurteilen man zu kämpfen hat und wie man gegen diese gemeinsam vorgehen kann. Sie sehen, dass hinter all den Begriffen und Labels echte Menschen mit echten Gefühlen stecken.

Intersektionalität
In der feministischen Bewegung beschreibt „Intersektionalität“ den Ansatz, dass Menschen aufgrund verschiedener Identitätsmerkmale Diskriminierung erfahren können, die sich analog zu einer Kreuzung (engl. „intersection“) überschneiden und zu einer spezifischen Erfahrung führen. Eine lesbische Frau beispielsweise hat eine andere Lebensrealität als eine schwarze Frau, eine schwarze lesbische Frau wiederum eine davon zu unterscheidende.
Kinder werden nicht durch Workshops queer

Wenn es um das Thema Aufklärung an Schulen geht, werden oft Stimmen laut, die fragen: Ist es nicht viel zu früh für Kinder, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen? Und denken sie nicht umso mehr, dass sie lesbisch, schwul oder trans sind, wenn man ihnen auch noch alle Möglichkeiten auf „dem Silbertablett“ serviert? Tatsache ist: Einige der Kinder und Jugend- lichen müssen sich ohnehin damit auseinandersetzen – weil sie selbst queer sind. Das Wissen über vielfältige Identitäten kann ihnen dabei helfen, sich selbst zu finden und sich vielleicht zu trauen, sich zu outen. Dass Menschen sich dazu entscheiden, LGBTQ zu werden, ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält – auch damit können Workshops wie die von SCHLAU aufräumen.

Das Wissen über vielfältige Identitäten kann ihnen dabei helfen, sich selbst zu finden ...

Soziale Verantwortung lernen

Natürlich profitieren nicht nur queere Kinder von diesem Bildungsangebot. Auch ihre heterosexuellen Schulkameraden lernen, wie sie ihre Freunde am besten unterstützen können. Die Schule ist ein Mikrokosmos, in dem wir üben können, wie wir mit ande-ren Menschen umgehen wollen – auch und gerade dann, wenn sie anders sind als wir selbst. Dazu gehört auch, über bestehen-de Diskriminierungsformen zu lernen, um ihnen so früh wie möglich etwas ent-gegensetzen zu können. Die Verantwor-tung, gegen bestehende Ungerechtigkeiten zu kämpfen, kann und darf nicht immer nur bei den davon Betroffenen liegen. Es braucht Verbündete, die sich der Pro-bleme bewusst sind und mit uns gegen sie kämpfen können. Letztendlich geht es dabei um Menschenrechte. Ob im Kleinen in der Schule, wo Mobbing gegen queere Kinder und Jugendliche verhindert werden kann, oder im Größeren später in der breiten Gesellschaft.

Es braucht Verbündete, die sich der Probleme bewusst sind und mit uns gegen sie kämpfen können.

Angebote für queere Jugendliche
Antidiskriminierungsarbeit beinhaltet nicht nur, Wissen zu vermitteln und über bestehende Probleme aufzuklären. Es braucht auch Empowerment für junge Menschen und Räume, in denen sie sich frei entfalten können. Zwei Beispiele dafür sind das Jugendnetzwerk Lambda e.V. sowie „TRANS*-JA UND?!“, ein Jugendprojekt des Bundesverband Trans* e.V. Beide bieten Workshops an, bei denen sich queere Jugendliche kreativ austoben und unter-einander austauschen können. Das alle drei Monate erscheinende Magazin „out!“ von Lambda beispielsweise wird komplett von jungen Menschen aus der Community gestaltet und mit Inhalten gefüllt.

Jede Veränderung fängt klein an

Als ich in den 2000ern selbst zur Schule gegangen bin, war „schwul“ ein täglich verwendetes Schimpfwort und im Sexualkun-deunterricht keine Rede von nicht heterosexuellen Beziehungen. Ich habe bis in meine 20er gebraucht, um mir meiner eigenen Queerness bewusst zu werden. Sie zu akzeptieren, steht noch auf einem anderen Blatt. Ein Workshop wie der von SCHLAU hätte mir vielleicht die Möglichkeit gegeben, früher zu mir selbst zu finden.

Wenn wir zur Schule gehen, sind wir noch mitten in unserer Sozialisation. Alles, was wir dort lernen, sei es im Unterricht oder auf dem Pausenhof, nehmen wir mit in unser späteres Leben. Deshalb ist es umso wichtiger, sich gerade dort so früh wie möglich mit Lebensrealitäten auseinanderzu-setzen, die von unserer eigenen abweichen, und diskriminierende Normen zu hinterfragen. So können Kinder und Jugendliche direkt eine positive Einstellung zu gesellschaftlicher Vielfalt entwickeln, bevor sich problematische Vorstellungen zu sehr festsetzen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ein Antidiskriminierungsworkshop ist eine davon und kann große Wellen schlagen.

Andere Bildungsprojekte
Beim ABqueer e.V. leiten junge Menschen bis 27 Jahre Workshops für Schulklassen ab der 5. Stufe. Auch sie sind selbst queer und berichten so aus eigener Perspektive. Zusätzlich bietet der Berliner Verein mit teach out Fortbildungen zum Thema für Lehrkräfte an. Zu finden unter abqueer.de

QueerTausch ist aus dem AFS Interkulturelle Begegnungen e.V. entstanden und bietet eine Mischung an Workshops an. Die Themen reichen von geschlechtergerechter Sprache über queere Repräsentation in den Medien bis hin zu „How To Be a Better Ally“. Mehr dazu auf queertausch.de

Auf der Website queere-bildung.de ist eine Auflistung von Antidiskriminierungsprojekten zu finden – bundesweit wie auf lokaler Ebene.

Text von Pierre Hofmann,hat beim Recherchieren große Lust bekommen, sich selbst bei SCHLAU zu engagieren.
Grafiken: Paula Kuchta

 

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