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Wir sind ein Volk!?

Vierzig Jahre war Deutschland geteilt, in Ost und West, in die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Unsere Generation kennt die Zeit nur aus Büchern und von den Erzählungen unserer Eltern oder Großeltern. Aber was war die DDR? Eine Beispielgeschichte von SPIESSER-Autorin Elisabeth.

08. January 2015 - 16:59
SPIESSER-Autorin Das Mädchen aus der Schublade.
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Das Mädchen aus der Schublade Offline
Beigetreten: 17.12.2012

Ein Beitrag zu 25 Jahre Deutsche Einheit

Ja, bei uns gibt es auch Bananen. Nein, Weimar liegt nicht in Brandenburg. Und Ostdeutsch ist auch keine eigene Sprache. Vielleicht hätte ich mir das zu Studienbeginn in Süddeutschland auf ein T-Shirt drucken sollen. Doch mit den verqueren Vorstellungen, die sich meine neuen Freunde vom Leben in Thüringen und dem ihnen völlig unbekannten „Osten“ machten, hatte ich wirklich nicht gerechnet. Nicht an einer Uni und nicht unter Gleichaltrigen.

Ossistempel aufgedrückt

Ich bin nach der Wende auf die Welt gekommen – also kein „Ossi“ und nie einer gewesen. Menschen habe ich auch nicht in Ossis und Wessis eingeteilt, sondern in nette und doofe, große und kleine, in Leute, die Schokolade mögen und solche, die weniger glücklich sind. Kurzum: 20 Jahre lang habe ich mich nicht als Ostdeutsche gefühlt.

Doch als ich fürs Studium in den „Westen“ gegangen bin, hat es weniger als ein Semester gedauert, um das zu ändern. Plötzlich musste ich erklären, warum ich keinen sächsischen Dialekt habe, dass ich weder in Plattenbauten, noch einer rassistischen Nachbarschaft aufgewachsen bin und weshalb ich trotz meiner Herkunft in den Genuss von Bildung kam. Ich fühlte mich wie eine Migrantin im eigenen Land. Dabei sollten mich die Vorurteile eigentlich nicht mehr umhauen, denn ich bin Pastorentochter.

Dran glauben

Ursprünglich hatten meine Eltern nicht im Traum daran gedacht, Pfarrer zu werden. Welcher Jugendliche träumt schon davon, sonntags im schwarzen Kleidchen Predigten zu halten?

"Was war die DDR?"

Ihr kennt die DDR nur aus Geschichtsbüchern oder den Erzählungen euer Eltern? Dann begebt euch auf Spurensuche und reicht eure Zeitzeugenberichte beim Schülerwettbewerb "Was war die DDR?" der Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Länder und Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie Iris Gleicke und der Deutschen Gesellschaft e.V. ein. Sie können als Plakat, Fließtext, Video oder als Fotoreportage gestaltet sein. Mitmachen kann jeder zwischen 12 und 20 Jahren.Einsendeschluss ist der 30. April 2015. Mehr Informationen findet ihr auf www.waswardieddr.de

Psychologie, das hatte meine Mutter studieren wollen. Doch im Eignungsgespräch interessierte man sich nicht für Leistungen oder ihren hellen Geist. Stattdessen ging es ausschließlich um ihre Zugehörigkeit zur Jungen Gemeinde und den religiösen Hintergrund. Psychologiestudium? Keine Chance. Aufgewachsen in einem bekennend christlichen Elternhaus, das beharrlich den Beitritt zur alles beherrschenden Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, kurz SED, und ihren Partnern verweigerte, stellte bereits ihre Zulassung zum Abitur eine Überraschung dar. Ihren drei Geschwistern hatte man das – nicht explizit, jedoch für alle offensichtlich – aufgrund ihres Glaubens verweigert.

Aus der Not heraus, taten es meine Eltern anderen Querdenkern ihrer Generation gleich: In einem Staat, der seine Ideologie zum obersten Gesetz machte und in man nur Karriere machen konnte, wenn man bedingungslos folgte, flüchteten sie 1981 in ein Studium der Theologie. Für ihre jüngeren Geschwister bedeutete das Repressalien und Schikane durch den Staat: Putzdienste in der Schule, Demütigungen, Degradierung zum Hilfsarbeiter in den Zeiss-Fabriken.

 

Wer nicht folgt, kommt ins Gefängnis

Wie in allen Studiengängen, gehörten auch hier die Lehren des Marxismus-Leninismus, des ideologischen Fundaments der DDR, zum Pflichtprogramm. Denn auch das damalige Uni-Umfeld war durchzogen von Spionen der Regierung – sogar ganze Professuren waren durchsetzt von Spitzeln der Staatssicherheit (Stasi).Doch im Theologiestudiengang fanden meine Eltern eine Nische zum kritischen Denken und trafen auf Gleichgesinnte .Der Schutz der Kirche bot einen kleinen Freiraum, der den wenigsten DDR-Bürgern gegeben war.

Im Mai 1989 drängten meine Eltern mit andern Kirchenmitgliedern in die Wahllokale und zählten die Nein-Stimmen, um systematischen Wahlbetrug aufzudecken. Sie verteilten Flugblätter und traten der regimekritischen Bürgerbewegung „Neues Forum“ bei.  Eines Tages reagierte die Staatssicherheit und überführte meinen Vater zum Verhör ins Geraer Stasigefängnis – doch die Kirche beförderte ihn wieder hinaus. Mehrfach manipulierte man das Auto meiner Eltern – fehlende Schrauben an der Lenkung, ein loser Motor – und immer wieder stand die Stasi vor der Tür der damals bereits vierköpfigen Familie. Und das nur, weil meine Eltern die Teilnahme an den „Wahlen“ verweigerten oder weil sie im Schaukasten vor der Dorfkirche Protestplakate angebracht hatten. Um sehen zu können, wer an der Haustür klingelt, brachte meine Mutter irgendwann sogar einen Autorückspiegel am Wohnzimmerfenster an. Als ich in die Grundschule kam, hing der Spiegel noch immer dort. Ständig auf der Hut sein zu müssen, hinterlässt eben seine Spuren.

 

 

 

 

Text: Elisabeth Oberthür
Fotos:
Flickr-User railasia (CC BY-SA 2.0)

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft e.V.

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