Ins Herz der Parlamentarischen Demokratie kommt man dankenswerterweise ohne Medizin-Studium. Ihr wählt die Parteien, die wählen ihre Abgeordneten, die wiederum ihre Mitarbeiter. Einer davon bin ich. Mitglieder des Bundestags (MdB) haben ein Personalbudget, mit dem sie selbst wählen können, wie sie ihr Team ausstatten. Es müssen Büros im Heimat-Wahlkreis und in Berlin besetzt werden, denn die MdB sind in den Sitzungswochen des Bundestags in Berlin tätig und in den Wochen dazwischen in ihren heimischen Wahlkreisen – dort wurden sie schließlich gewählt und dort wollen sie wiedergewählt werden. Neben Wissenschaftlichen Mitarbeitern wie mir, die sich um fachliche Zuarbeit bei Presseanfragen, Bürgerbriefen und Anträgen kümmern, gibt es üblicherweise eine Büroleitung an den verschiedenen Standorten, die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit sowie weitere studentische Mitarbeiter. Die MdB sind jeweils in einem Fachausschuss, die sich wie die Ministerien aufteilen – also in Umwelt, Soziales, Innen, Landwirtschaft etc.
Wie macht man Politik?
Da sich die politische Arbeit viel mit Gesetzesfragen beschäftigt, sitzen in den Büros des Bundestags viele Juristen und Politikwissenschaftler. Alternativ gibt’s Mitarbeiter, die aus dem jeweiligen Fachbereich kommen, den der bzw. die MdB bearbeitet. So ist es bei mir. Ich habe Agrarwissenschaften studiert und bin nun im Bereich Agrarpolitik tätig. Bereits im Studium absolvierte ich mein Praktikum im Büro der Abgeordneten und bin inzwischen seit über sechs Jahren dort tätig.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde ich durch den Abschluss meines Studiums, vorher war ich ein studentischer Mitarbeiter. Gerade verpflichtende Praktika im Rahmen des Studiums bieten sich an, um bei politischem Interesse über Telegram-Gruppen hinaus Einblick in den Bundestagsalltag zu erhaschen.
Gratis gibt’s auf jeden Fall den Hass von allen Parteien im Bundestag, für die ich nicht arbeite.
Die Arbeitsbedingungen variieren je nach Arbeitsweise des Abgeordneten, für den oder die man arbeitet, aber eines ist immer gleich: Das Arbeitsverhältnis ist befristet. Der Job hängt direkt am Mandat des MdB, also nie länger als bis zur nächsten Wahl, und dann heißt es Daumen drücken, dass es weitergeht. Auch wenn die meisten meiner Freunde das denken, bin ich daher nicht im öffentlichen Dienst angestellt. Allerdings sind meine Arbeitsbedingungen daran angelehnt, sodass beispielsweise der Corona-Bonus auch an mich und meine Kollegen gezahlt wurde – was Ende des vergangenen Jahres eine hitzige Debatte auslöste.
Im Lebenslauf macht's was her Das klingt alles wenig verlockend. Was gibt es also außer einem hübschen Bundestagsausweis zum Herumzeigen? Gratis gibt’s auf jeden Fall den Hass von allen Parteien im Bundestag, für die ich nicht arbeite. Auch abgesehen von diesem Bonus ist die Bezahlung gut und für viele ist es der natürliche Weg, um Dinge in Deutschland zu verändern oder langfristig selbst eine politische Karriere zu machen. Zu wissen, wie die Abläufe in der Politik sind, hilft auch, um später in Verbänden und Vereinen mit Lobbyarbeit erfolgreich zu sein. Oder im schlechtesten Fall für fiese Konzerne.
Was machen die Mitarbeiter im Deutschen Bundestag eigentlich den
ganzen Tag? SPIESSER-Autor Christian weiß es, denn er ist einer von
ihnen.
Hinter der Annahme, ich würde im öffentlichen Dienst arbeiten, die mir häufig entgegenkommt, vermute ich oft die Unterstellung, dass ich nicht richtig arbeiten würde. Das stimmt im Vergleich zum Spargelstechen sicher, allerdings ist in den letzten Jahren durch die schnellere Berichterstattung auch das politische Handeln hektischer geworden. Die Nachrichtenlage bestimmt, wozu Stellung bezogen werden soll, und wer sich zu spät äußert, findet in den Leitmedien, also allen deutschlandweiten Online-Nachrichtenseiten, nicht statt. Ansonsten besteht der Hauptteil meiner Arbeit in der Vorbereitung der Ausschusssitzungen, die in jeder Sitzungswoche eine Tagesordnung mit verschiedenen Themen des Fachbereichs haben sowie Vorlagen aus der EU. Ebenfalls unerlässlicher Bestandteil des Politbürojobs ist es, jederzeit informiert zu sein. Dafür gibt’s neben stapelweise Fachmagazinen auch eine Vielzahl von Veranstaltungen und Tagungen, die neue Erkenntnisse aus Forschung, Wirtschaft oder Praxis aufzeigen und zur Kontaktpflege einladen, um auch mal schneller informiert zu sein als über die Presse.
Die Arbeit im Bundestag ist fordernd und das wiederum fördert einen selbst – durch die Vielzahl an Themen bekomme ich einen guten Überblick über die Lage der Nation und ich fühle mich, als würde ich zum Wohle der Gesellschaft nach meinem besten Gewissen etwas beitragen. Das stiftet Sinn und Erfüllung.
Never change a running system?
Allerdings wird auch deutlich, wo wir dringend etwas ändern müssen. Viele Abläufe sind überholt. Fast alles ist sehr komplex und schwer verständlich für den Durchschnittsbürger, sodass hier mehr Verständlichkeit und Transparenz hergestellt werden müssen. In den letzten Jahren wuchsen mit dem Unverständnis auch die Unzufriedenheit und eine generelle Skepsis über das Vertrauen in die Politiker. Gerade weil der Großteil 16 Stunden am Tag probiert, seine Politik in die Tat umzusetzen, braucht es diesen Einblick. Denn nur so können diejenigen, die ihre Macht nur zum eigenen Vorteil nutzen, auffallen. Das ist aber Aufgabe der MdB selbst. Die Gesellschaft muss es nur einfordern zum Schutz vor politischen Scharlatanen, deren Einfluss gerade weltweit beängstigend wächst.
• ausgeprägtes politisches Interesse
• abgeschlossenes Studium
• „Nein“ sagen können zu Geldkoern
Du magst:
• Lesen von komplizierten Texten
• ständiges Lernen
• Angela Merkel mal von Nahem sehen und selbst mal auf Pressefotos sein - auch wenn man nur deinen Haaransatz sieht
• die Rahmenbedingungen der Gesellschaft verändern
Einstiegsgehalt: 2.800 bis 3.400 Euro brutto
Text von Christian Schneider, 29, ist eigentlich nur im Bundestag, um in der heute-show aufzutauchen.
Fotos von Bianca Bodau