Mittagspause mit ...

„Diverse Teams
sind nicht einfach,
aber erfolgreicher“

Laut dem Female Founders Report waren 2020 nur 17,9 Prozent der Gründer in Deutschland Frauen. Aber wieso ist das so? Dr. Kati Ernst, eine der beiden Gründerinnen der Periodenunterwäschemarke Ooia, berichtet SPIESSER-Autorin Katharina bei der Mittagspause, wie es ist, in einem tabuisierten Markt als Frau zu gründen.

14. February 2022 - 14:16
SPIESSER-Autorin Kathi99.
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Kathi99 Offline
Beigetreten: 01.04.2021

Wie seid ihr, also du und die andere Geschäftsführerin von Ooia, Kristine Zeller, an die Produktforschung und Unternehmensgründung herangegangen?

Ich sehe immer wieder, wie neue Gründer ausschließlich am Produkt und erst zum Schluss an der Marke tüfteln. Viele Produkte sind kopierbar, deswegen muss man eine Marke schaffen, die den Kunden an einen bindet. Deshalb haben wir uns zu Beginn die erste Hälfte des Tages über das Produkt und die zweite Hälfte über die Marke unterhalten. Zuerst haben wir uns überlegt, wie so ein Perioden-Panty funktionieren könnte, welche Anforderungen wir an das Produkt stellen und welche Materialien diese am besten erfüllen. Monatelang haben wir in Kristines Küche mit verschiedenen Stoffkombinationen herumprobiert. Und parallel haben wir uns bei der Markenentwicklung gefragt: Wie heißt die Marke? Wie fühlt sie sich an? Und welche Werte verfolgt die Marke? Daraus haben wir dann unser Konzept entwickelt.

Starte mit deinem Produkt, wenn du zu 90 Prozent zufrieden bist.

Ooia
… ist ein Berliner Unternehmen, das sich Female Empowerment und Nachhaltigkeit groß auf die Fahne geschrieben hat. Mit ihren nachhaltig und fair produzierten Periodenunterhosen und Still-BHs wollen sie Frauen unterstützen und bestehende Tabus rund um das Thema Menstruation auflösen. Die beiden Gründerinnen, Dr. Kati Ernst und Kristine Zeller, haben mit Ooia das Thema Periodenunterwäsche seit 2018 in Deutschland etabliert.
Woher konntet ihr eure Erfahrung in Sachen Unternehmensgründung und -leitung nehmen?

Bei der Gründung eines Unternehmens ist nicht nur fachliches Wissen wichtig, sondern auch Management-Fähigkeiten. Genau diese Fähigkeiten konnten Kristine und ich uns bereits in unseren vorherigen Jobs aneignen. Ich war bei einer großen Unternehmensberatung und Kristine als Führungskraft bei Zalando tätig. Dennoch haben wir vorher noch nie allein ein funktionales Kleidungsstück entwickelt, eine Marke oder eine Webseite aufgebaut. In den Bereichen, in denen wir keine Erfahrung hatten, haben wir daher Experten hinzugezogen und einfach viel ausprobiert.

Wann ist der richtige Zeitpunkt in der Produktentwicklung, um mit seinem Produkt auf den Markt zu gehen?

Da gibt es ein nettes Sprichwort: „If you are happy with your first product you launched it too late.“ Erst wenn viele Menschen dein Produkt ausprobiert haben, kannst du wissen, was du verbessern musst. Ich würde raten, mit einem Produkt zu starten, wenn man zu etwa 90 Prozent zufrieden ist. Am besten legt man für sich selbst fest, welche Punkte perfekt sein müssen und welche auch später noch optimiert werden können.

Welche Tipps könnt ihr an junge Menschen weitergeben, die eine Idee haben, aber keine Expertise und nicht wissen, wie sie loslegen sollen?

Das ist einfacher als anders herum. Bei sehr jungen Menschen würde ich empfehlen, sich Unterstützung zu suchen. Es gibt tolle Programme für junge Gründer, wie der Wettbewerb „Startup Teens“. Dort können sich Teenager mit einer Geschäftsidee bewerben und bekommen einen Mentor zur Seite gestellt. Es gibt aber auch behördliche Stellen, wie die Gründerzentren, die einen gut unterstützen.

Von Frauen geführte Unternehmen sind statistisch gesehen erfolgreicher.

Unterscheiden sich eurer Meinung nach die Herausforderungen, denen Männer und Frauen in der Unternehmensgründung begegnen, voneinander?

Ja, da gibt es auf jeden Fall Unterschiede und das ist keine Meinung, sondern wissenschaftlich belegt. Frauen haben vor allem Nachteile dabei, Kapital zu finden und Netzwerke aufzubauen. Sie haben keine Zugänge zu Machtzirkeln, weil diese nur aus Männern bestehen. Das führt dazu, dass ihnen die Führungskompetenz abgesprochen wird, sie systematisch benachteiligt und schlechter beim Pitchen beurteilt werden. Dabei sind frauengeführte Unternehmen statistisch gesehen sogar erfolgreicher: Ihre Unternehmen haben eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, sind innovativer und sogar an der Börse erfolgreicher.

Woher kommen diese Unterschiede?

Der Grund, warum Frauen benachteiligt werden, ist der Unconscious Bias (Anm. d. R.: die „unbewusste Voreingenommenheit“). Das führt dazu, dass viele Menschen immer die Leute unterstützen die ihnen ähneln, da sie davon ausgehen, dass genau diese gleichen Eigenschaften sie damals selbst zum Erfolg geführt haben. Da fast ausschließlich Männer in hohen Positionen tätig sind, werden auch weiterhin meistens nur Männer befördert. Auch bei kulturellen Hintergründen tritt dieses Problem auf.

Die Generation von heute ist aufgeklärter als die letzten.

Was würdet ihr Frauen gern mit auf den Weg geben, die selbst gründen möchten?

Ich würde raten, sich eine Co-Gründerin zu suchen. Gemeinsam sind die Höhen höher und gleichzeitig die Tiefen nicht so tief. Viel wichtiger als ergänzende Fähigkeiten zu haben, ist dabei, dass man sich gut versteht und gut miteinander funktioniert. Jede Kompetenz kann man einkaufen, aber Vertrauen und Sympathie nicht. Der zweite wichtige Punkt ist die aktive Vernetzung mit Menschen und Mentorinnen.

Ein wichtiges Anliegen eurer Unternehmensstruktur und auch ein Grund für eure Unternehmensgründung war eine familienfreundliche Arbeitsstruktur für Frauen. Inwiefern unterscheidet sich euer Arbeitsalltag von dem in anderen Unternehmen?

Da Kristine und ich beide Mütter sind, war uns klar, dass wir eine Firma gründen wollen, die die Flexibilität ermöglicht, die man braucht, wenn man aktiv am Heranwachsen seiner Kinder beteiligt sein möchte. Aber was für den einen Mitarbeitenden die eigenen Kinder sind, ist für andere ein zeitintensives Hobby neben dem Beruf. Deswegen geben wir all unseren Angestellten die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig zu arbeiten. Abgesehen davon leben wir in gleichberechtigten Partnerschaften und teilen uns die Care-Arbeit gleichmäßig auf. Bei mir übernimmt mein Mann mittlerweile sogar 85 Prozent der Kinderbetreuung. Um alles unter einen Hut zu bringen, nutzen wir ein breites Spektrum als Unterstützungsnetzwerk, wie Großeltern, Babysitter, Schule und Kita.

Wie hoch ist der Männeranteil in eurem Unternehmen? Welche Motivation bringen Männer mit, die sich bei euch bewerben?

Momentan haben wir einen Mann in der Firma, aber es werden bald noch mehr dazukommen. Natürlich haben sie weniger Bezug zum Produkt als weibliche Mitarbeiterinnen, aber das Produkt allein ist ja nicht die einzige Motivation für einen Job. Das können auch die Arbeitszeit, die Unternehmenswerte oder das Gehalt sein. Uns alle bei Ooia verbindet, dass wir in einem innovativen Unternehmen arbeiten wollen, das etwas bewegt. Uns ist es wichtig, ein diverses Team zu haben – zwar ist es schwieriger, diverse Teams zu leiten, aber die Endergebnisse sind viel besser. Gender ist dabei für uns nur eine Dimension: Es geht vielmehr um unterschiedliche Persönlichkeiten als um unterschiedliche Geschlechter.

Wie läuft der Prozess zusammengefasst ab, von der Idee bis zum fertigen Produkt?

Zunächst überlegen wir uns, wie das neue Modell aussehen soll und fertigen dazu Skizzen an. Unsere externe Produktentwicklungsagentur stellt dann das Schnittmuster für uns her. Um die Transparenz der Wertschöpfungskette zu gewährleisten, kaufen wir jedes Teil, also alle Stoffe, selbst ein. Diese werden dann zusammen mit dem Schnittmuster an die Näherei geschickt. Erst werden Samples angefertigt, die von Frauen mit verschiedenen Größen anprobiert werden. Wenn wir zufrieden sind, geht es in die Produktion.

In eurem „Teenage Topic“ habt ihr Frauen aus eurer Community zu ihrer ersten Periode befragt. Es zeigt sich, dass Scham und Unsicherheit im Zusammenhang mit der ersten Periode heute weniger empfunden werden als früher – Angst und Traurigkeit nehmen allerdings zu. Woran könnte das liegen?

Die Generation von heute ist aufgeklärter als die letzten, da der Zugang zu Aufklärungsangeboten leichter ist. Anders als noch vor einem Jahrzehnt übernehmen heutzutage Influencer einen großen Teil der Aufklärungsarbeit. Das führt aber nicht unbedingt dazu, dass Teenager weniger Angst haben. Durch soziale Netzwerke sind Jugendliche generell mehr mit Angst konfrontiert und auch die Rate an depressiven Jugendlichen ist höher. Durch diese Faktoren erkläre ich mir den Anstieg an Angst und Traurigkeit. Um dem entgegenzuwirken, müssen sichere Räume für Gespräche und Fragen geschaffen werden. Wir versuchen mit Ooia einen Raum zu kreieren, in dem sich ausprobiert werden darf und der Unsicherheiten auflöst.

Text von Katharina Ziegler, 22, wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Tabuthemen.
Fotos von Tony Haupt 

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