Kissenschlacht

„Glückliche Menschen
sind mein Fetisch“

Am 3. Dezember erscheint der Film „Wunderschön“ mit Nora Tschirner im Kino. SPIESSER-Autorin Frieda hat die Schauspielerin im Hotel Indigo Berlin – East Side Gallery zur Kissenschlacht getroffen. Mit ihrer liebenswert-lustigen Art hat sie nicht nur vom Filmprojekt berichtet, sondern auch massig Body Positivity versprüht.

10. February 2021 - 10:01
SPIESSER-AutorIn freedy.beedy.
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Beigetreten: 01.08.2017

In unserem Heft widmen wir uns dem Thema „Wohnen“. Wie war das denn in deiner Jugend ‒ WG, Wohnheim oder Einzimmerwohnung?

Nach der Wende war es in Berlin häufig so, dass die Eltern aus den alten Ost-Wohnungen auszogen und die Kinder dortblieben, weil die Mieten so niedrig waren. Diese schönen großen Altbauwohnungen hat man dann für einen Spottpreis bekommen. Ich bin auch in der Wohnung meiner Eltern geblieben, habe aber keine WG gegründet. Ich hatte daher mit 20 Jahren eine absurd große Wohnung für mich allein. Später habe ich auch mal in kleineren Wohnungen gelebt, aber nie in WGs.

Hast du einen Wohn-Tipp?

Ich finde, man sollte nah mit den Menschen beieinander wohnen, die einem guttun. Damit meine ich so nah, dass man sich gegenseitig fast ins Fenster gucken kann. Es ist ein Unterschied, ob man – nach einem gemeinsamen Abendessen – nur mal über den Hof laufen muss oder ob man noch richtig nach Hause fahren muss – dann macht man nämlich bestimmte Sachen nicht mehr zusammen. Egal, wie man wohnt, man sollte nicht vergessen, dass man ein soziales Lebewesen ist, das es gewohnt ist, in einer Herde zu leben, eigentlich natürlich einer Horde, aber ich mag das Wort Herde lieber.

Worauf kannst und willst du in deiner Wohnung nicht mehr verzichten?

Auf ein Dach und meine Wände. Ein Bett ist auch super, aber der Rest? Die Realität sieht natürlich anders aus, aber: Eigentlich kann man wohl auf alles verzichten. Was ich zuhause wirklich in regelmäßigen Abständen am allermeisten feiere, sind Zivilisationserfindungen wie eine Waschmaschine. Ich bin passionierte Camperin und wenn ich dann wieder nach Hause komme und eine Waschmaschine anschmeiße – mind blowing concept! (lacht)

Eigentlich kann man auf alles verzichten.

Bist du denn eher der minimalistische Wohnungstyp?

Also in meinem Kopf bin ich der totale Minimalist – und in der Realität der totale Messi. (lacht) Früher habe ich echt viel gesammelt. Mein Traum ist aber, dass irgendwann alles, was ich habe, in einen Bulli passt. Vielleicht werde ich im Alter minimalistisch wohnen. Aber momentan herrscht noch so ein Open-House-Konzept mit vielen Gästen und vielen Möglichkeiten. In meiner aktuellen Wohnung können spontan mehrere Leute schlafen, ohne dass das ein Riesenproblem ist. Und das Allerwichtigste: Man kann auch töpfern. Ich habe seit Neustem eine eigene Töpferscheibe. (grinst stolz)

Nora Tschirner

stand schon zu ihrer Schulzeit auf der Theaterbühne und mit 16 Jahren das erste Mal vor der Kamera. Seitdem war sie als Moderatorin, Musikerin, Synchronsprecherin, Schauspielerin und Regisseurin (Waiting Area, 2011) tätig. Für ihre Rolle in der Romantikkomödie Keinohrhasen hat sie 2007 einen Bambi erhalten und es folgten diverse weitere Filmpreise. Aktuell ist sie mit Christian Ulmen im Ermittlerteam des Weimarer Tatorts zu sehen – und ab dem 3. Dezember im Film Wunderschön (Regie: Karoline Hefurth).
Ab dem 3. Dezember wirst du in dem Film Wunderschön von Karoline Herfurth in den Kinos zu sehen sein ‒ erzähl doch bitte kurz, worum es in dem Film geht.

Es geht um verschiedene Frauenbilder und um weibliche Rollenmodelle. Diese Rollenbilder bringen Herausforderungen mit sich, auch für die verschiedenen Altersgruppen – das ist ebenfalls Teil des Films. Es werden die Geschichten von fünf Frauen und deren Leben erzählt. Karoline Herfurths Figur hat beispielsweise unter anderem extrem große Schwierigkeiten mit ihrem Körper und ihren Arbeitschancen, nachdem sie ihre beiden Kinder bekommen hat und sich nun fragt, wer sie jetzt noch als Frau ist. Meine Figur, Vicky, ist sehr emanzipiert und hat dem ganzen Konzept von partnerschaftlicher Beziehung abgeschworen. Sie lebt ein erfülltes Leben alleinstehend. Sie ist glücklich mit ihrem Beruf, glücklich mit ihren Freunden – also durchaus ein sozialer Mensch. Außerdem sind da noch Emilia Schüles Rolle, ein Model, und ihre Mama, gespielt von Martina Gedeck, die Probleme in der Ehe und mit dem Älterwerden hat. Und als Letzte ist da noch Leyla; sie passt in die „normalen“ Schönheitsvorschriften nicht rein, ist etwas korpulenter und muss noch ihren Wert entdecken.

Im Cast des Films sind viele Frauen vertreten – was hat sich im Laufe deiner Karriere für Frauen im deutschen Filmbusiness getan und was sollte deiner Meinung nach noch getan werden?

Ich neige dazu, immer auf das zu schauen, was sich jetzt verändert und was ich verändern kann, zurückschauen strengt mich eher an. Wahrscheinlich muss sich eine Menge ändern, aber ich setze mich nicht jeden Tag hin und gucke genau dahin, wo es noch nicht funktioniert. Ich arbeite einfach stringent mit Menschen zusammen, bei denen es vorwärts geht, und sage anderen ab. Wenn ich mir ständig die Prozentzahlen anschauen würde, wie viel Bullshit noch in Sachen Rollenbilder unterwegs ist, würde mich das eher auslaugen. Doch tatsächlich beobachte ich auch, dass sehr weibliche Produktionen, wie zum Beispiel Wunderschön, immer erfolgreicher werden. Natürlich gibt es noch alte Sehgewohnheiten. Wir müssen jetzt alle umlernen, dass es normal ist, wenn auch mal der Mann im Film derjenige ist, der nur durchs Bild läuft.


Konnten sich SPIESSER-Autorin Frieda und Nora etwa nicht
leiden? Quatsch! Während der Corona-Pandemie geht's
eben einfach nicht ohne Abstand.
Apropos Sehgewohnheiten: In Wunderschön werden nur Hetero-Paare gezeigt. Ist die große Kinoleinwand in Deutschland noch nicht bereit für queere Rollen?

In unserer Geschichte ergibt das meines Erachtens insofern Sinn, als dass hier Problematiken thematisiert werden, die sehr eng mit althergebrachten heterosexuellen Rollenverständnissen zu tun haben. Ansonsten denke ich: Bereit ist dafür letztendlich jeder. Wenn du eine Geschichte hast, die gut erzählt ist und die Leute mitnimmt, dann gehen die Zuschauer eben mit der Emotionalität. Ich glaube, der Auftrag besteht eher auf der Seite von uns Filmschaffenden und auf der Seite der Industrie. Wir fangen jetzt gerade erst an, auch die Filmemacher-Gewohnheiten zu verändern und uns zu fragen, wie wir noch diverser werden können. Und dann braucht es mehr und mehr Geldgeber mit dem nötigen Mut beziehungsweise ehrlich gesagt einfach der nötigen Integrität, diesen Geschichten den Weg freizuräumen. Die ersten sehr positiven Beispiele dafür gibt es zum Glück bereits.

Das Thema Body Positivity liegt dir am Herzen – deswegen hast du auch die Dokumentation Embrace – Du bist schön mitproduziert. Was hat sich bei dir verändert durch den intensiven Umgang mit dem Thema?

Das ist ein Thema, das mich eher bei meinen Freunden bedrückt. Zu sehen und schockiert festzustellen, wie Menschen, die ich so großartig fand, mit den Schönheitsidealen zu kämpfen haben. Mich macht es sehr glücklich, wenn Menschen sich selbst annehmen und an ihre Lebenskraft kommen. Ich konnte beispielsweise aus diesem Grund fast die ganzen Lehrerinnenszenen nicht spielen, weil Body Positivity auf ziemlich gute Art auch in Wunderschön thematisiert wird. Ich war sehr nah am Wasser gebaut, weil ich es so berührend und wichtig finde, diese Dinge endlich mal im Popcornkinoformat besprochen zu sehen. Die Erfahrung und das Zuschauerfeedback von Embrace haben mir immer wieder gezeigt, dass solche Kinomomente einen unfassbaren positiven Impact auf einzelne Biografien haben können, weil Leute plötzlich aufwachen und zu Gestaltern in ihrem eigenen Leben und damit auch der Welt werden. Und das ist für mich der schönste Anblick, wenn jemand beginnt, sein volles Potenzial zu leben. Glückliche, wache Menschen sind mein persönlicher Fetisch.

Welche Aufgaben siehst du bei dir als bekannte Schauspielerin in Bezug auf das Thema?

In erster Linie in der Auswahl der Stoffe und dem Prüfen der Strukturen, in denen diese erzählt werden sollen. Allgemein gilt: Ich versuche erstmal, meinem Anspruch dem Leben gegenüber gerecht zu werden, denn dieses Am-Leben-Sein empfinde ich als das Überprivileg schlechthin. Daraus ergibt sich für mich eine moralische Verpflichtung, für mein Lebensglück zu sorgen, und wenn ich das gut hinbekomme, dann für mein nächstes Umfeld. Und dann geht’s aber auch schon direkt an alle anderen. Einzahlung in die Klassenkasse quasi. Ich lebe gerne in Verantwortung.

 

Text von Frieda Rahn, 22, wohnt in einer (Altbau-)Wohnung. 2-Zimmer-Küche-Bad und ein kleiner Balkon.

Fotos von Michael Kuchinke-Hofer freiberuflicher Fotograf, lebt in Berlin, arbeitet überall. Immer bereit, Neues zu entdecken.

Kamera & Schnitt: Paul Henschel

Teaserbild: Paula Kuchta

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