SPIESSER debattiert

Wie viel ist unsere Kreativität wert?

„Für dein Bild bekommst du die Note 4.“ – Eine Beurteilung vom Kunstlehrer, die man nach insgesamt sechs Stunden Arbeit nur ungern hört, vor allem, wenn ein Freund eine 2+ bekommt, obwohl er schon eine Stunde eher abgegeben hat. Aber ganz ehrlich: Wie viel Sinn ergeben Schulnoten in kreativen Fächern überhaupt? Ein Pro und Kontra zur Frage, ob man Kunst und Musik überhaupt benoten sollte.

27. February 2023 - 10:25
SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
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Beigetreten: 25.04.2009

„Für dein Bild bekommst du die Note 4.“ – Eine Beurteilung vom Kunstlehrer, die man nach insgesamt sechs Stunden Arbeit nur ungern hört, vor allem, wenn ein Freund eine 2+ bekommt, obwohl er schon eine Stunde eher abgegeben hat. Aber ganz ehrlich: Wie viel Sinn ergeben Schulnoten in kreativen Fächern überhaupt? Ein Pro und Kontra zur Frage, ob man Kunst und Musik überhaupt benoten sollte.

Sollte man die Schulfächer Kunst und Musik überhaupt benoten?
PRO:
„Das Problem ist nicht die Benotung, sondern der soziale Druck“

Laut einer Forsa-Studie, die im Auftrag des Nachhilfeanbieters Studienkreis durchgeführt wurde, leiden drei Viertel der Jugendlichen regelmäßig unter Schulstress. Schule ist für viele eng mit Leistungsdruck verbunden, insbesondere für leistungsschwache Schüler. Somit scheint es auf den ersten Blick legitim, den Zwang zur Notenvergabe zu hinterfragen. Könnte man die Schüler nicht etwas entlasten, wenn es wenigstens in Kreativfächern keine Noten gäbe?
Diese Sichtweise setzt voraus, dass die Beno-tung grundsätzlich etwas Belastendes ist. Das ist leider tatsächlich oft der Fall in der Schulpraxis. Dabei sollte es eben nicht so sein!
Eine Benotung wird zu einem Gewinn, wenn sie mit einem individuellen Feedback verknüpft ist. Einem Feedback, das die benotete Person über ihren Leistungsstand infor-miert und ihr vor allem aufzeigt, wie sie noch weiter an ihren Fähigkeiten wachsen kann.
Jetzt könnte man argumentieren, dass es ja auch ein Feedback ohne die Note geben kann. Sicherlich. Aber an sich ist nicht die Note das Problem, sondern der soziale Druck, der hinter einer Bewertung steht. Kritisch wird es dann, wenn die Erwartungen des sozialen Umfelds zu hoch sind und keine Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Schüler genommen wird.
Unter den richtigen Rahmenbedingungen kann eine Note sogar sehr motivierend wirken. Sie bietet einen einfachen Leistungsvergleich. Und ganz ehrlich: Jeder freut sich doch, wenn er oder sie sich gegenüber dem Halbjahr in einem Fach um eine Note verbessert hat, oder? Auch als spielerischkompetitiv verstandene Komponente ist die Schulnote unter ambitionierten Schülern an sich nichts Schlechtes. Es ist doch so: In der Berufswelt von Kreativschaffenden sind Leistungswettbewerbe sogar ein fester Bestandteil und auch da kommt man ohne Benotung nicht weit. Denken wir beispiels-weise an die Punktewertung nach Ländern beim jährlichen Eurovision Song Contest.
Okay, aber was ist jetzt mit der „klangvollen Klara“, die schon seit ihrem 6. Lebens-jahr Gesangsunterricht nimmt? Da kann doch nicht der „unmusikalische Udo“ mit demselben Maßstab im Musikunterricht gemessen werden? Das mag unfair wirken, allerdings spielt Begabung in anderen Fächern ebenso eine große Rolle. Wer eine Rechenschwäche hat, wird sich auch in Mathe schwerer tun. Wer es in seiner Freizeit hasst, Romane zu lesen, wird bei der Gedichtinterpretation keine Jubelschreie ausstoßen. Und Schüler, die gut in kreativen Fächern sind, haben so die Möglichkeit, schlechtere Leistungen in anderen Fächern auszugleichen. Um es plakativ auszudrücken: Kunst und Musik können deine Mathe-Note retten!
Und ja, ganz objektiv lassen sich kreative Schulleistungen wohl nie bewerten. Aller-dings wäre es auch falsch, Willkür bei der Bewertung von Kreativleistungen zu unterstellen. Das weiß jeder, der mal einen Mal- oder Zeichenkurs belegt hat. Kunst ist eben nicht nur Begabung, sondern auch ein Handwerk, das man trainieren kann.

Text von Tom Albiez,der gerne eine Note für kreatives Schreiben in der Schule erhalten hätte.

Teaserbild: Paula Kuchta

KONTRA:
„Kreativität fördern: ja. Kreative Leistung in Noten pressen: nein!“

Ich selbst war nie besonders gut im Kunstunterricht. Das kreative Schreiben von Texten im Deutschunterricht fiel mir hingegen meistens leicht. Die kreativen Einfälle kamen mir ohne große Eigenleistung einfach zugeflogen – oder eben auch nicht. Benotet wurden diese Leistungen letztendlich trotzdem immer und ich konnte meine Kunstnote einfach partout nicht verbessern, egal, wie sehr ich meinem Kopf und meiner Hand befahl, kreativ zu sein.
Vielleicht resultierten die verschiedenen Noten einfach nur aus den unterschiedlichen Arten der Lehrer, meine Arbeit zu bewerten. Denn obwohl es durchaus auch im Kunstunterricht objektive Bewertungskriterien gibt, so sind Lehrer trotzdem nur Menschen, welche kreative Leistungen immer auch ein Stück weit subjektiv beurteilen. Auf die Frage, ob ein Gemälde oder ein Musikstück den Betrachter bzw. Zuhörer anspricht, geben verschiedene Gefragte ja auch verschiedenste Antworten.
Selbst wenn die Bewertung jedoch komplett objektiv möglich wäre, gäbe es trotzdem noch Probleme, welche ich im Folgenden darstellen möchte. Das Prinzip der Benotung funktioniert in der Theorie wie folgt: Schüler möchten einen guten Schulabschluss schaffen und brauchen dafür gute Noten. Diese bekommen sie durch gutes Abschneiden in Arbeiten – je nachdem, wie gut sie den Stoff wiedergeben oder beispielsweise auch ein Bild malen können. Ich denke, dass dieses System nicht zielführend ist. Wir Schüler sollen doch nicht für ein paar Zahlen, die am Jahresende auf ein Blatt Papier gedruckt werden, lernen – sondern fürs Leben! Die eigentliche Aufgabe von Schule ist nicht, ihre Schüler mit Noten und Arbeiten als Druckmittel zu Leistungen zu zwingen, sondern sie zum eigenständigen Lernen zu motivieren. Wenn ich selbst die Notwendigkeit sehe, für mein späteres Leben meine Kreativität zu steigern, bin ich doch viel eher dazu bereit, dafür im Unterricht aktiv mitzuarbeiten als nur für eine bessere Note.
Die zentrale Frage ist: Ist es überhaupt möglich, sich durch höhere Anstrengung in seiner Kreativität zu steigern? Ist Kreativität eigentlich erlernbar? Prof. Joachim Funke von der Universität Heidelberg schrieb dazu beispielsweise (in „Kreativität – Konzept und Lebensstil“ von Rainer M. Holm-Hadulla), dass Kreativität sowohl abhängig von der Person als auch von ihrem Umfeld sei. Das heißt, dass durchaus eine größere Ausschöpfung von kreativem Potenzial möglich ist, aber nicht alle die gleichen Startbedingungen dafür haben. Menschen, die zwar bereit sind, sich in ihrer Kreativität zu steigern, aber dafür auf einem niedrigeren Niveau beginnen müssen, haben damit schon von vornherein schlechtere Chancen auf gute Schulnoten und am Ende vielleicht auch auf einen guten Bildungsabschluss. Der wichtigste Rat von Funke zur Förderung von kreativem Denken: „Entwickeln Sie eine hohe Motivation dafür, auf einem speziellen Gebiet kreativ zu sein! Lassen Sie sich um keinen Preis durch extrinsische Motivation [...] als Entschädigung für kreative Leistungen bestechen.“ Eine solche extrinsische, also von außen kommende Motivation stellen zum Beispiel auch Schulnoten dar.
Die Benotung kreativer Leistungen wirkt ihrem Zweck also entgegen. Das gesamte System der Benotung stellt den Versuch der Quantifizierung einer menschlichen Leistung dar und wird einem Menschen als individuellem Subjekt nicht gerecht. Kreative Veranlagungen sollten in der Schule wachsen können und auch Teil des Unterrichts sein, nur braucht man dafür keine Noten. Der Leitspruch hier lautet: Fördern und nicht fordern! Hätte ich es nicht nur für Zensuren, sondern auch für mich selbst getan, wäre mir das Kreativsein im Kunstunter-richt vielleicht auch etwas leichter gefallen.

Text von Simon Kretzschmar,der Kunst abgewählt hat und trotzdem findet, dass Kreativität gefördert werden sollte.

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