Pubertät

Vollzeitbeschäftigung Pubertät

SPIESSER-Autorin Ida ist 17 und steckt in Mitten von Schulstress, Zukunftsplänen und Erwartungen. Bei SPIESSER-Redakteur Henric ist die Pubertät schon ein paar Jahre her, aber er kann sich bestens an diese aufregende Zeit erinnern. Zusammen skizzieren sie persönliche Momentaufnahmen des ganz alltäglichen Pubertätswahnsinns.

04. April 2017 - 08:41
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Beigetreten: 25.04.2009

 

Ida M., 17, Abiturientin

Mein Wecker klingelt. Jetzt könnte der klischeehafteste Satz aller Teenager folgen: „Viel zu früh.“ Allerdings ist das kein Klischee, sondern eine Tatsache, die auch auf mich zutrifft.

Mich, Ida M., 17 Jahre, Abiturientin aus Halle. Soweit die Formalien. Oft kann ich selber nicht viel mehr sagen. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich meine Haare, die aussehen wie ein explodiertes Sofakissen, nachdem ich sie vor einem Jahr in einer rebellischen Selbstfindungsphase von hüftlang auf drei Millimeter abrasiert habe. Zum Schminken habe ich heute auch keine Lust, Motto des Tages: Nach einem Blick in den Spiegel habe ich beschlossen heute auf innere Werte zu setzen! Zum Glück haben mich meine Hormone gestern so lange wach gehalten, dass ich mir überlegen konnte, was ich anziehe. Eine enorme Zeitersparnis und ein gefundener Schuldiger: die Hormone! Mein ständiger Begleiter, der mir meine Ausreden für Müdigkeit besorgt und auf den ich auch meine Bauchschmerzen während der Regel schieben kann (ich würde mal sagen: „Mädchenbonus“). Meine einzige Frage: Warum nehmen die Lehrer keine Rücksicht auf das, was sie uns im Biologieunterricht beibringen?

7:19

Von meinem Morgensprint leicht aus der Puste, an der Haltestelle. Wieder einmal Glück gehabt und die Straßenbahn kommt verlässliche zwei Minuten zu spät. Ansonsten würde wahrscheinlich die gesamte Schülerschaft zu spät kommen.

Dabei lag ich heute echt gut in der Zeit (wie eigentlich jeden Morgen), bis Mama damit angefangen hat, ob ich das Katzenklo sauber gemacht habe und mein Bett ordentlich ist. Sorry, aber ich habe nicht nur die Rolle einer vorbildlichen Tochter zu erfüllen sondern soll nebenbei auch noch Musterschülerin sein! Das heißt, ich musste das Schulzeug von meinem Schreibtisch (zumindest wäre es praktisch, wenn es dort gelegen hätte) zusammensuchen. Während der 20 Minuten Straßenbahnfahrt wird nochmal bulimiegelernt. Allerdings mit geringem Erfolg, da um mich herum Fünftklässler ihre überschüssige Energie nicht bändigen können. Immer öfter frage ich mich, ob ich auch mal so anstrengend, hyperaktiv und respektlos war?

9:15

1. Hofpause. Deutschtest überstanden. Gekonnt ignoriere ich die Frage: „Und wie lief‘s bei dir?“ Ich hasse es, dass ich, wie so viele, das Konkurrenzdenken nicht abschalten kann. Wie soll das auch gehen, wenn das Einzige, was die Schule dir in der Oberstufe vermittelt, ist: Dein Abitur ist alles! Ohne gute Noten bist du nichts wert! Ich kontere mit der Frage: „Wie war dein Wochenende?“ Genauso bescheuerte Frage, wenn ich an meins denke: arbeiten, lernen, sauber machen. Wahrscheinlich erhalte ich deshalb auch nur ein Schulterzucken als Antwort.

11:10

Auch Mathe ist geschafft. Ich sage nur so viel: Ich bin glücklich, dass es meinen besten Freund, den Folgefehler, gibt.

11:35

Geografie. Lehrerin: „Als nächstes gibt es die Klausuren zurück. Es ist schwer, in kurzer Zeit die passenden Worte zu finden. Deswegen sind manche Noten auch unter eurem Niveau. Aber wenn ihr euch mal eine gelungene Arbeit durchlesen wollt, dann fragt doch mal Ida, ob ihr euch ihren Text ansehen könnt.“ Auch das noch, es ist ja nicht so, als hätte ich nicht schon genug mit dem Streberruf zu kämpfen!

15:20

Schulschluss. In einem Tagesablauf, wie ihn sich Unwissende vorstellen, heißt es jetzt eigentlich Freizeit, uneigentlich Schul-freie-Zeit. Sportliche Aktivität wurde in den letzten zwei Stunden abgehandelt, für mehr ist keine Zeit – auch wenn das zu den Gedanken führt, man könne dem gesellschaftlichen Schönheitsideal nicht entsprechen, da man zu dick sei. Freunde trifft man nur noch zum Lernen. Generell stelle ich fest, dass Freundschaften durch die Schule immer mehr zu Zweckgemeinschaften werden.

Für mich steht jetzt Fahrschule an. Noch eine Aufgabe, in der man sich beweisen muss und für die ich Kapazitäten schaffen musste, wo eigentlich keine waren. Denn wie es bei meinem Bewerbungsgespräch neulich hieß: „Es wäre schon praktisch, wenn Sie einen Führerschein hätten.“ Wenigstens habe ich jetzt einen Ausbildungsplatz sicher und es folgt nicht, wie bei manchen, das peinliche Schweigen auf die Frage: „Was sind deine Pläne für die Zukunft?“

17:01

Zu Hause. Alleine. Meine Katze kommt zu mir und für einen Moment kann ich es genießen nur ihrem Schnurren zu lauschen. Sie gibt mir das Gefühl geliebt zu werden. Die Sehnsucht nach der großen Liebe steigt in mir auf, die Sehnsucht nach jemandem an meiner Seite, der versteht wie es mir geht.

18:53

Papa kommt nach Hause. Kein „Hallo“, kein „Wie war dein Tag?“, sondern nur: „Meine Arbeit heute war echt anstrengend“ Dafür habe ich überhaupt keinen Nerv, aber das kann ich so nicht sagen, das würde ihn verletzen. Aber Moment mal, tröste ich jetzt meinen Papa? Sollte es nicht andersherum sein, dass Eltern für ihre Kinder da sind? Ja, nur dass ich irgendwie kein so richtiges Kind mehr bin. In diesen Momenten vermisse ich meine große Schwester. Seit sie von zu Hause ausgezogen ist bewundere ich sie noch mehr dafür, wie sie das alles geschafft hat.

23:04

Mit dem um-22-Uhr-ins-Bett-Gehen, um acht Stunden Schlaf zu bekommen, ist mal wieder nichts geworden. Die Schuld dafür gebe ich diesmal nicht den Hormonen, sondern den hohen Ansprüchen, die das Leben zurzeit an mich stellt. Doch was wäre ich ohne diese? So kann ich immer einen Plan machen, was als nächstes kommt und diesen Punkt für Punkt abarbeiten. Was wäre ich ohne meine Sehnsüchte? Ich hätte nichts mehr, wovon ich träumen könnte. Was wäre ich ohne Mitmenschen, mit denen ich mich vergleiche? Ich hätte keinen Antrieb mehr. Wie oft am Tag denke ich mir „Irgendwie habe ich doch Glück“, denn das scheint es ja immer noch zu geben.

Teaserbild: Lena Schulze

Henric A., 25, Redakteur

Mein Wecker klingelt. Mein neuer Freund die Morgenlatte sagt mir freundlich „Guten Morgen“. Ich bleibe noch zwei Minuten liegen, nicht dass meine Eltern mein hyperaktiv Geschlechtsorgan zu sehen bekommen. Also wenn ich schon hier liege, könnte ich natürlich auch gleich … hab ich noch Taschentücher?

Ich, Henric A., 25, Redakteur in Dresden, versetze mich in mein pubertäres, 16-jähriges Selbst zurück. Eine so hochemotionale, hormonkontrollierte Zeit, dass meine Erinnerungen frischer sind als an das letzte ganz erwachsene Wochenende vorm Fernseher.

Nachdem sich mein Glied beruhigt hat, ziehe ich mir wie jeden Morgen das an, was oben im Schrank liegt und hoffe auf das Beste. Ich begreife es als Teil mein Protests gegen alle und jeden, mir keine Gedanken darum zu machen, was ich anziehe. Trotzdem bin ich natürlich  wohlbehütet genug, dass meine Mama mir weiterhin Brote schmiert. Mein treuer Begleiter das ständige Hungergefühl, dass mich seit der ersten Wachstumsphase zwischen Moppelchen und Bohnenstange schwanken lässt (zur Zeit eher Moppelchen), hat eine Rebellion gegen das uncoole Pausenbrot bislang verhindert.

7:19

Beim Erreichen der Haltstelle wird mir klar, dass ich wohl die Bahn verpasst habe. Meine Tagträumereien  stehen im krassen Konflikt mit der Erwartung irgendwo pünktlich zu sein. Es ist mir jetzt schon peinlich unter den strengen Augen der Lehrerin und dem hämischen Grinsen der restlichen Klasse ins Klassenzimmer zu kommen. Ich spüre Blut im Kopf und kalten Schweiß unter den Achseln. Inständig hoffe ich, dass ich in meinem Halbschlaf Deo benutzt habe. Während meiner 20 Minuten Straßenbahnfahrt höre ich Metal-Alben von meinem großen Bruder und suhle mich im Gefühl, dass mich niemand versteht und nie jemand verstehen wird.

9:15

1. Hofpause. Puh, es gab nur einen kleinen Anschiss fürs Zuspätkommen und es haben auch nicht alle gegrinst. Aber jetzt steht eine Traube Mädchen auf der anderen Seite des Schulhofs, sie schauen in meine Richtung und kichern. Na toll, reden die über mich? Und wenn ja, ist das dann gut? Oder schlecht? Sollte ich rüberschauen und lächeln? Oder weiter gekonnt ignorieren? Ich entscheide mich für letzteres und begebe mich in die Runde meiner Freunde. „Haste Hausaufgaben gemacht? Nee, ich auch nicht …“

11:10

Ich kann mich genau 10 Sekunden auf den Unterricht konzentrieren. In der ersten Reihe sitzt Leonie. Weit lehnt sie sich über ihren Tisch, um mitzuschreiben. Ihre Jeans rutscht tiefer und tiefer und offenbart ihren Tanga. Rot mit schwarzer Spitze. Mein Hormonspiegel explodiert und mein Gehirn schaltet auf Neandertaler. Die nächsten 35 Minuten werden von Kopfkino beherrscht. Danke, Leonie.

11:35

Deutsch. Und das bei Herrn Schulze, dem einzigen kompetenten Lehrer hier. Irgendwas hat der Mann an sich. Natürliche Autorität könnte man sagen. Wenn er den Raum betritt sind alle ruhig, auch die Chaoten aus der letzten Reihe. Lob aus seinem Mund ist wie ein Ritterschlag, den selbst die Jungs anerkennen. Tadel sticht dagegen tief als hätte man gerade den eigenen Vater, Barack Obama und den lieben Gott persönlich enttäuscht. Ich hänge an seinen Lippen. Immerhin eine Stunde, bei der ich etwas mitnehme.

15:20

Schulschluss. Theoretisch müsste man sich jetzt um Hausaufgaben oder ähnliches kümmern. Ich denke an Leonie. Sie sieht immer toll aus und lächelt mich ab und zu an … und dieser  rot-schwarze Tanga … Ob sie mich mag? Bestimmt nicht … warum auch? Jeder andere Junge in der Schule ist interessanter als ich. Vor allem die Älteren. Vielleicht sollte ich doch wieder anfangen Gitarre zu spielen. Mädchen mögen Gitarren oder? Ach das bringt doch eh nichts. Sie steht bestimmt auf Muskeln, so wie die ganzen Supersportler sie haben. Auf sowas stehen die Frauen doch. Oder? Verdammt ist das kompliziert.

17:01

Zu Hause. Ich sitze am Rechner und zocke. Eigentlich sollte ich wohl was für die Schule tun, aber bei der Reizüberflutung wird der Gedanke mit aller Gewalt in den Hintergrund gedrängt.

18:53

Mama kommt nach Hause. Die Lehrerin hat sie angerufen. „Warum musst du denn immer zu spät sein? Und kann du nicht einfach mal Hausaufgaben machen? So schwer kann das doch nicht sein!“ Ich überdecke meine Scham sie zu enttäuschen mit Wut. Ich knalle Türen und verkrieche mich in mein Zimmer. Kopfhörer auf. Metal an. Niemand versteht mich. Alles ist scheiße. In die Dunkelheit meiner Gedanken schleicht sich das Bild von einem kleinen roten Tanga mit schwarzer Spitze. Kann man eigentlich gleichzeitig wütend und erregt sein? Bin ich noch normal?

23:04

Wer hat sich das eigentlich mit dem frühen Aufstehen ausgedacht? Eigentlich ist doch unverantwortlich uns mit so einem Hormonüberschuss in die Schule zu schicken. Im Bett kreisen die Gedanken. Vielleicht sollte ich doch mal Hausaufgaben machen. Ich will ja nicht, dass Mama mir ewig Brote schmieren muss. Ich will ja auch mal raus in die Welt. Raus aus dem Kaff. Raus aus der Schule. Weg von dem gewohnten Umfeld. Vielleicht mach ich morgen alles anders. Morgen konzentrier ich mich. Morgen bin ich nicht zu spät. Morgen lobt mich Herr Schulz. Morgen … sprech ich Leonie an. Morgen.

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